Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Immer wieder dieser Name. Immer wieder diese Bedeutung. Angeblich war er ein Neurastheniker, der sein Bett nicht verläßt, dessen Werk unverständlich ist, so Anatol France. Eine Legende, daß Prousts Leben sich in eine Phase des dandyhaften Müßiggangs und dann anderthalb Jahrzehnten verbissenen Schreibens im abgeschirmten Arbeitszimmer aufteile, nein, das gilt als widerlegt. Prousts Hauptwerk ist „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ (À la recherche du temps perdu) in sieben Bänden. Dieser monumentale Roman gilt als eines der bedeutendsten erzählenden Werke des 20. Jahrhunderts.

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist eine fiktive Autobiographie mit raffinierter Struktur: Ein anonymes „Ich“, von dem nur an einer Stelle des Romans erwähnt wird, dass sein Name „Marcel“ sein könnte, erzählt von seinen zum Teil vergeblichen Versuchen, sich an seine Kindheit und Jugend zu erinnern.

Was ihm willentlich nicht gelingt, ermöglichen ihm schließlich eine Reihe „unwillkürlicher Erinnerungen“ – Sinnesassoziationen, welche Erlebnisse der Vergangenheit auf intensive Weise vergegenwärtigen und damit erinnerbar machen; das berühmteste Beispiel ist der Geschmack einer in Tee getauchten Madeleine, der den Ort seiner Kindheit, Combray, in ganzer Fülle wiederauferstehen lässt. Am Ende des Romans entschließt sich das „Ich“, die auf diese Weise wiedererlebte und damit „wiedergefundene“ Zeit nun in einem Roman festzuhalten.

Während sich die historisch zuerst entstandenen Anfangs- und Schlussteile des Romans hauptsächlich mit dem Thema der Erinnerung befassen, tritt dieses Thema im Mittelteil, etwa ab „Sodome et Gomorrhe“ in den Hintergrund zugunsten einer präzisen, immer wieder ironischen Beschreibung der mondän-dekadenten Gesellschaft der Jahrhundertwende.

Literaturhistorisch bedeutend ist Prousts Roman vor allem deshalb, weil er mit einer bis dahin unbekannten Konsequenz die Subjektivität der menschlichen Wahrnehmung inszeniert, mit all ihren Nachteilen und Möglichkeiten: So zeigt er einerseits, dass kein Mensch die Wirklichkeit oder Wahrheit als solche erkennen kann, sondern allenfalls eine subjektive Wahrheitsvorstellung besitzt. Andererseits entfaltet jeder Mensch in seiner subjektiven Wahrheit eine einzigartige Welt, jeder Mensch ist ein eigener Kosmos.

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