Nerven

Peripheral_nerve,_cross_section

Bei einem Nerv (lateinisch nervus, Abkürzung N., Plural nervi, Abkürzung Nn.; von griechisch νεῦρον neúron was “Faden”, “Sehne” oder auch “Schnur” bedeutet.) handelt es sich um parallel verlaufende Nervenfasern (Zellfortsätze: Axone und Dendriten) mit bindegewebiger Umhüllung. Nerven gehören zum peripheren Nervensystem und dienen dem Informationsaustausch im tierischen Organismus. Sie übertragen auch jede Art von Reizung, die uns widerfährt. Nicht in Ihnen, sondern im Kommunikationszentrum der Nerven, dem Gehirn, dem Bauch und dieser schwer fasslichen Projektion namens Seele entsteht wohl das, was wir das Gefühl des “genervt seins” nennen.

Warum sind wir genervt und warum sind wir nicht gelassener? Sind wir eigentlich stärker genervt als unsere Eltern es waren? Also steht das Gefühl des genervt seins in Zusammenhang mit dem modernen Leben? Das ist natürlich möglich, ebenso wie ein jeder Mensch unterschiedlich sensibel ist. Unzweifelhaft ist, dass eine Ursache für eine besonders unangenehme Reizung, der Lärm, in Zusammenhang mit der modernen Zivilisation steht. Auch wenn der ICE noch so leise rauscht, irgendwo quatscht ein Nachbar dann doch laut ins Mobiltelefon. Auch impliziert unsere moderne Zeit, dass alles ja wie am schnürlichen läuft, der Computer reagiert ins Bruchteilen einer Sekunde, das Internet antwortet, wenn nicht (NERV!) der Internetanschluss gerade lahm liegt. So beschleunigt wie der Alltag, so voller Tätigkeiten und Erledigungen, so wenig akzeptieren wir, wenn etwas nicht gleich funktioniert und reagiert. Das kann soweit gehen, dass einige schon genervt sind, wenn der Gesprächspartner nicht schon beim dritten Läuten den Anruf erwidert. Ist man erstmal gereizt, das wird gleich klar, ist man besonders anfällig für dieses Gefühl.

Ist man erstmal genervt, kann eine Spirale entstehen, die uns von einer kleinen Reizung bis zum cholerischen Wutanfall bringt. Gott bewahre uns von diesem äußerst ungesunden Zustand, der Bluthochdruck, Herzrasen und sonstiges Unheil bringen kann; manche vermuten gar, ein dauernd genervtes Individuum ist anfälliger für eine Depression. Es scheint fast offensichtlich, in unserer hektischen, lärmenden, bürokratischen Welt kann der Mensch gar nicht anders, als manchmal gereizt zu sein. Lärm, räumliche Enge, verwirrende Technik, bürokratische Strukturen – im Vergleich dazu muss ein großer Bauernhof Balsam für das Nervenkostüm gewesen sein. Dort ging alles seinen natürlichen Gang, das Wetter bestimmte das Tagwerk, die Jahreszeiten die Art der Tätigkeit. Das heiß nicht, dass auch in der Bauernstube Bauer und Bäuerin einander nicht nerven konnten, wenn der Nachwuchs mal wieder nicht parierte.

Auch unter Wissenschaftlern herrscht keine Einigkeit. In “Annoying” haben Palca und Lichtman unterschiedliche Sichtweisen zusammengetragen. Manche Forscher betrachten Genervtsein als eine milde Form von Ärger. Andere betonen eher die Nähe zum Widerwillen oder auch zur Frustration. Und irgendwie gehört dazu auch die Eile, die Beschleunigung, denn ein beschleunigtes Erleben reagiert irritiert, wenn auf die Frage nicht zügig die Antwort kommt. Dringend irgendwas pünktlich zu erledigen, also unter Stress bzw. Druck zu stehen, macht besonders anfällig dafür. Und wenn der Computer auf das heftige Rütteln noch gelassen reagiert, so verbreitet sich das Genervtsein im Büro wie ein Virus, meist mit dem ersten Symptom, der schlechten Laune.

Was für schwierige Umstände gilt, gilt wohl auch nicht weniger für schwierigere Charaktere. Wenn der Partner einen dauerhaft und insistierend kritisiert, dann reißt bei jedem irgendwann der Faden der Geduld. Die Wiederholung, die Verletzung des Respektes. Kritik ist auch eine Form des Angriffs, der nicht einfach so hingenommen werden kann. Was gar nicht als Angriff gedacht ist, sind die kleinen Veränderungen in der Welt des Anderen. Die Kleidung im Schrank immer falsch sortiert, benutzte Tempos im Zimmer verstreut, den Müll wiederholt nicht entleert: Was am Anfang noch eine kleine Reizung ist, löst bald Zorn, dann Wut aus. Wer da nicht gelassen sein kann, der hat verloren, so sein Partner nicht die süße Gnade der Verhaltensänderung ausübt. Darauf darf man hoffen, darauf verlassen kann man sich nicht.

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