Kunstmarkt: Das Syndikat vom Bärenfell

Anzug, Melone und Attitüde: „Selbstbildnis Florenz“, 1907, Hamburger Kunsthalle, Leihgabe aus einer Privatsammlung, 
© VG BILD-KUNST Bonn, 2015, Foto: Elke Walford

Die Auffassung hält sich im Feuilleton beständig: Der Kunstmarkt als ein ausser Rand und Band geratenes Sinnbild für maßlosen Kapitalismus. Galeristen wie Kritiker halten die Behauptung aufrecht, dass die Moderne am Kunstmarkt und erst recht die Zeit davor noch ganz anders funktioniert hätte. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass dies weder Ausnahmen und dass es genauso relativierbare Exzesse sind, denen immer noch größere Exzesse voraus gegangen sind.

Dort gab es Personen wie Rainer Speck als Sinnbild für den gebildeten Experten, den Kennersammler, der mit den Künstlern in intensivem Austausch steht. Sprich, damals, im 19. Jahrhundert bis zum Ende der Bundesrepublik West hätten nur Experten und Sammler von Rang und Namen, die sich wirklich auskannten, gehandelt und gesammelt. Sie hätten den Wert der Kunst gesucht, nicht die spekulative Geldanlage. Ich habe diese Ansicht zu gerne lange geteilt, aber sie ist vollkommen falsch. Es gibt die Specks immer noch, aber sie waren immer eine besonders kleine Gruppe. Das Gros der Sammler und seiner Geschichte ist genauso eine Geschichte von Machtstrukturen, Propaganda der Kirchen, Perversion von Preisen bis hin zu Symbolen für Verschwendung und Missachtung des Marktes – die Auktion von Damien Hirst als “Fuck off” war der vorzeitige Höhepunkt, doch Augenblicke später kam “Salvator Mundi”. Wer “Salvator Mundi” für den Höhepunkt hält, der soll den Petersdom dagegen halten. Was Sammlerei angeht, so sind einige Gesetze eigentlich immer gleich geblieben und haben sich kein Stückweit verändert von den Gesetzen des 21. Jahrhunderts, der Globalisierung und der Spekulation von Milliardären. Es mag an Geschwindigkeit zugenommen haben, agreed, vielleicht werden Künstlerkarrieren schneller beendet als sie überhaupt beginnen, doch das steht alles im Einklang mit der Welt um sie herum und ergibt noch keinen Exzess, der sich als besondere Abweichung von der Mitte qualifiziert.

Die Geschichte geht ja im üblichen Jargon so: Die Großen fressen die Kleinen und ihr Übermaß an Geld manifestiert sich in Statussymbolen, neben Yachten oder Häusern eben auch Kunstwerken. Die Auktionspreise (siehe “Salavtor Mundi” von Leonardo da Vinci für geradezu absurde 451 m $) für Kunstwerke stellen also ein ebensolches Statussymbol dar. Ich habe die Aussagen der Galeristen gerne geglaubt, dass die meisten dieser Sammler keinen Verstand hätten und nur mit Geld sich einfach alles zusammenraffen. Das zu viel des Geldes mit einem Mangel einhergeht, klingt ja durchaus plausibel. Das streichelt die eitle Sammlerseele, sie gibt einem eine weitere Existenzberechtigung und auch der kleine Sammler hofft ja insgeheim, dass ein von ihm gesammelter Künstler einmal weltweit anerkannt wird und sich damit nicht nur der künstlerische Wert, das Qualität des Sammlerauges und nicht zuletzt der Wert des Werkes vervielfacht. Die Erfahrung zeigt dem kleinen Millionär von heute, dass er nicht sonderlich reich ist, denn was bedeutet schon ein Millionenvermögen, wenn ein Werk allein für diesen Betrag die Hände des Besitzers wechselt. Auch mag der kleine Sammler gerne glauben, dass sein Auge besser ist: dass er Kunst von Rang durch seine bessere Bildung sieht, sein Gefühl für Ästhetik, weil er kultivierter ist. Aber was nützt es, so sophisticated zu sein, wenn ein Scheich einen mit 450.312.5000 US-Dollar platt walzt. Es ist ein Gefühl der Ohnmacht, wenn die Liebe zum Kunstwerk so groß ist, dass es aber niemals erreichbar sein wird.

Besitzt also der Scheich wirklich das Auge, die Expertise, den Geschmack? Fördert er die Richtige, die bessere Kunst? All dass sind leider eitle Feststellungen, denn den Wert der Kunst setzt niemals ein Einzelner fest – sie entsteht durch die Betrachtung von vielen Augen, die alle gleichsam zu dem gleichen Urteil kommen: Was für ein fantastisches Werk, was für eine Besonderheit in seiner Zeit. Was für ein Statement für diese Zeit. All das zu erkennen, ist unheimlich schwer: Der Blick auf die Jetztzeit ist dadurch verstellt, dass wir selbst darin leben. Die Selbsterkenntnis, in was für einer Zeit wir nun leben, ist auch nicht möglich ohne Kenntnis der Zukunft. Vielleicht ist es die Ära der Globalisierung und Digitalisierung, in der sich der Kapitalismus in seiner extremsten Art und Weise zeigt. Gigantische Vermögen sind nun vorhanden, einerseits in Rohstoffen, andererseits in Internet- und Elektronikimperien geschaffen. Sie sind aber in einem auch nie da gewesenen Maße ungleich verteilt. Doch zugestehen müssen wir, dass wir auch das nur glauben zu wissen, denn in welchem Verhältnis stand bspw. das Vermögen Karls des Größen zu dem Durchschnittsverdienst seiner Zeit? War die Errichtung des Aachener Doms nicht hunderte Male teurer als der Kauf von Da Vincis “Salvator Mundi”? Vielleicht leben wir also in viel gerechteren Zeiten, als wir es glauben.

Für die Seite der Museen ist es heute eh ein Offenbarungseid: Natürlich kann kein öffentliches Museum in Deutschland auch nur ansatzweise soviel Geld zusammenbringen, um heute noch Spitzenwerke von Richter oder Polke zu kaufen. Alleine das bringt das Sozialistenherz in uns dazu, uns zu ereifern. Die öffentliche Hand solle doch bestimmen und kaufen, aber zu gerechten Preisen, die irgendwo zwischen normal und besonders schwanken, in einer noch vertretbaren Relation zum Normalverdienst liegen und den Künstler wohlhabend, aber doch bitte nicht absurd reich machen. Und wenn einer denn soviel Geld angehäuft hat, dass er die Werke kaufen kann, so hat er sie doch in jedem Falle zu verschenken an eine öffentliche Stiftung. Die Welt ist aber weder kommunistisch noch sozialistisch und große Kunst hat der Kommunismus nach heutiger Ansicht nicht vollbracht. Große Künstler hatten oft ein Gespür für den Wert Ihrer Werke und ob es nun Albrecht Dürer oder Hohlbein der Jüngere war: Sie haben die Werke dem Adel verkauft und wollten durch das Werk ebenso besonders sein wie zumindest ein kleiner Adliger. Sie ließen sich fürstlich honorieren, auf Durchschnittsverdienste eines Bauern hätten sie keinen Deut gegeben.

Ein Milliardär, sei es aus dem Silicon Valley, der russischen Oligarchie, der Finanzindustrie oder worher sein Vermögen auch immer stammt, kann mit einem Wimpernschlag Unsummen aufbieten, die kleine Sammler erschlagen. Die Arbeit des Künstlers steht da gern in einem Missverhältnis zum Preis, wenn man diesen auch nur ansatzweise aus der Leistung und dem Vermögen, gar der reinen Arbeitsleistung des Künstlers ableitet. Ein mittelmäßiger Künstler sagen wir mal arbeitet 2-3 Monate an einem großen Ölbild, vielleicht bringt er davon 10-12 Werke zu einer Ausstellung, die er dann versucht mit Hilfe des Galeristen zu versteigern. Ist der Künstler überhaupt nicht etabliert, werden vielleicht 3 bis 4.000 € dafür aufgerufen, davon bekommt der Galerist zunächst mal die Hälfte. So wird schnell deutlich, dass selbst beim Verkauf aller Werke keine Reichtümer zusammen kommen können. Auf Sammlerseite sieht es aber genauso “bescheiden” aus: Sagen wir mal der Sammler hat ein Vermögen von 10.000.000,00 €. Damit entspricht ein Werk zum Kaufpreis von 4.000,- Euro etwa 0,04% seines Vermögens. Würde er alles in Kunst investieren, es kämen 2500 Werke zusammen von unklarem Wert. Ein Milliardär kann da anders operieren. Sagen wir mal, er ist jetzt nicht gleich Warren Buffet, sondern hat eine beträchtliche Milliarde in Vermögenswerten. Wenn er von dieser 1.000.000.000 Milliarde Euro 0,04% in einem Kunstwerk bereit ist auszugeben, dann sind das nicht 4.000, sondern gleich 400.000,- €. Damit kann man aktuell zumindest in Galerien eigentlich nahezu alles direkt kaufen, es gibt quasi keine Künstler, die für ein Werk sofort mehr als das ausgeben wollen. Gehen wir in den Verhältnissen nochmal weiter und rechnen erneut: Für einen zehnfachen Millionär wäre ein Kunstwerk von 100.000 € schon eine gewaltige Festlegung auf ein einzelnes Werk. Das ist für einen Künstler, sagen wir mal wie den durchaus gefeierten Daniel Richter, ein hoher, aber möglicher Marktwert. Es wäre 1% des ganzen Vermögens dieses Millionärs. 1% eines Milliardärs sind aber fucking 10.000.000 €, wir bewegen uns da einfach in anderen Dimensionen.

War die Zeit früher aber wirklich anders? Sammelten früher die Kenner? Eines wissen wir nicht, nämlich ob die unbedeutenden Bilder der Zeit, damals nicht noch teurer verkauft wurden. Das Progressive in der jeweiligen Zeit ist natürlich das, was das größte Wertsteigerungspotential hat, denn wer so malt, wie die Zeit es erwartet, feiert seinen Zenit in der Jetztzeit. Ein kleiner Exkurs dazu liefert Georg Stamm in seinem Artikel “Das Syndikat vom Bärenfell“. Es beschreibt eine historische Sammlergruppe, die jedes Jahr Geld zu stattlichen Beträgen ankaufte. Sie begann dort, wo das Kunstherz schlug, im Paris des frühen 20. Jahrhunderts. Kauften dort also die Kenner? André Level war ein Kenner, er kaufte als Kopf der Sammlergruppe zu dieser Zeit Picasso. Er kaufte ihn zu einer recht frühen Zeit, als er schon die Moderne aufzeigte aber noch weit entfernt von seiner kubistischen Phase malte. Auch zu dieser Zeit hatte Kunst von Rang schon einen hohen Wert. Die Sammlervereinigung kaufte Picassos Werk “Les Saltimbanques” damals für 1.000 Franc. Die Umrechnung auf einen heutigen Wert ist schwierig, das Kaufpreisäquivalent war aber sicher größer als ein Faktor von 10, sprich mindestens 10.000 € heutigen Geldwertes. In der Tat, sowas ist ein Wert, den auch ein Millionär von heute stemmen kann. Wer aber die weitere Geschichte des Werkes im Sekundärhandel verfolgt, wird eines besseren belehrt. Die Sammlung wurde 1914 aufgelöst auf einer Auktion. Die Sensation des Nachmittags bildete Picassos Werk, der seit Beginn seiner kubistischen Phase als der „Zerstörer“ vom Montmartre galt. Die Collection der „Peau de l’Ours“ hatte jedoch nicht die jüngsten, kubistischen Bilder erworben, sondern einige Hauptwerke aus der Zeit, in der sich Picasso in seinem Atelier im Bateau-Lavoir einen Namen machte: Mit ihnen galt er nun bereits als Klassiker der Moderne. Vor allem musste das für „Les Saltimbanques“ gelten, das – ausgerufen bei achttausend Franc – 11.500 Franc erzielte, die Heinrich Thannhauser für seine Münchner Galerie bewilligte. D.h. auch damals schon war Kunst unheimlich teuer und wertvoll, wenn sie einen entsprechenden Rang hatte. Mi einem Kaufpreisäquivalent haben wir als so mindestens mit 100.000 € zu tun gehabt und die Wertentwicklung stieg und stieg weiter, heute wäre das Bild sicherlich in Regionen von 50-100 Millionen zu verorten, würde es nicht einem Museum gehören.
Für die Zeitgenossen wie für die Geschichte des Kunsthandels der Moderne markierte dieser Zuschlag einen Sieg der neuen Malerei in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg. Während die Traditionalisten darin, einmal mehr, ein Zeichen für das nahende „Ende der Kunst“ sahen, stürzten Picassos Freunde, allen voran Max Jacob, aus dem Auktionssaal mit dem Schlachtruf „Auf zu Picasso!“, um ihm die Sensation zu berichten.

Die Zeitungen berichteten staunend und irritiert über die Neuigkeit auf dem Kunstmarkt: Seymour de Ricci, Berichterstatter des „Gil Blas“, gab Thannhausers kühlen Kommentar, er hätte auch das Doppelte für Picassos Bild bezahlt, weiter; der Journalist Maurice Delcourt des „Paris-Midi“ witterte die drohende Überfremdung des Kunstmarkts: „Die grotesken, missgestalteten Werke einiger unerwünschter Ausländer haben nun fette Preise erzielt, und wie wir seit vierzehn Tagen aus gutem Grund immer wieder voraussagten, waren es Deutsche, die diese Preise bezahlt beziehungsweise bis zu diesen Preisen hinaufgesteigert haben. … So gehen nach und nach Maß und Ordnung unserer völkischen Kunst verloren – zur großen Freude Herrn Thannhausers und seiner Landsleute, die eines schönen Tages nicht mehr Picassos kaufen, sondern den Louvre ausräumen werden.“ Genau dass sind aber auch die Gesetze der heutigen Zeit. Deutschland war Anfang des 20. Jahrhunderts das Wirtschaftswunderland, es schwang sich auf wirtschaftlich auf immer stärker zu werden. Die großen Vermögen jener Zeit wurde im Maschinenbau, der Chemie und der Automobilproduktion geschaffen. Es waren die modernsten Industrien Ihrer Zeit wie auch heute das Silicon Valley. Die Sammlerin Herta König war nicht nur von Beruf Dichterin, sie war schlicht schon vermögend groß geworden, Ihr Vater Gutsbesitzer, der Großvater Zuckerfabrikant. Als Dichterin alleine hätte sie niemals einen Picasso, also den Starmaler Ihrer Zeit, erwerben können. Auch Max Beckmann wär zu seiner Zeit, als er noch nicht von den Nationalsozialisten geächtet war, ähnlich teuer und wertvoll. Betrachten wir ein frühes Werk von Max Beckmann wie sein Selbstporträt in Florenz, dann erkennen wir aber auch die unerhörte Schwierigkeit, die Bedeutung eines Werkes zu erahnen, welches es in Zukunft einmal haben wir: Es ist unmöglich, denn wir erkennen nur die Attitüde, die Qualität des erlernten Handwerks, aber wir wissen nicht, ob der Maler selbst erkennt, wo die Grenzen der Malerei seiner Zeit liegen und ob er wirklich versuchen wird, über sie hinaus zu wachsen. Er wird dies nämlich in einem Raum tun, den er vollkommen alleine betreten wird – hat er das Vermögen, die Ausdauer, die Kraft, dieses unbekannte Terrain zu erobern und auch für andere heimisch zu machen?

Anzug, Melone und Attitüde: „Selbstbildnis Florenz“, 1907, Hamburger Kunsthalle, Leihgabe aus einer Privatsammlung, 
© VG BILD-KUNST Bonn, 2015, Foto: Elke Walford


Anzug, Melone und Attitüde: Max Beckmann: „Selbstbildnis Florenz“, 1907, Hamburger Kunsthalle, Leihgabe aus einer Privatsammlung

In Summe bleiben die Gesetze des Kunstmarktes also gleich: Der Teufel scheißt auf den größten Haufen, könnte man lapidarisch sagen. Ob Milliardär im Silicon Valley, ob echter Saudikönig oder Oligarch, das sind nunmal die Könige und der Adel unserer Tage. Verschwendungssucht war in jeder Zeit möglich, selbst die Paläste Erdogans sind ein Klacks verglichen mit dem Versailles des Sonnenkönigs. Und ähnlich ist es mit der Kunst, es ist uns nur nicht möglich zu beurteilen, was tatsächlich mit Sicherheit in die Zukunft weist und schon jetzt für unsere Zeit steht. Die Kunst der Zukunft muß schon heute progressiv sein, doch eben das zu erkennen ist verflucht schwer und intellektuell eine ungewöhnliche Herausforderung, den meist weist sie weit über die Person des Sammlers selbst hinaus, der auch gefangen ist in seinen eigenen, begrenzten Möglichkeiten – egal, wie reich und wie klug er ist, in die Zukunft zu schauen ist einfach keinem vergönnt. Es gibt sie natürlich, die Seher, aber wir wissen, wie wir deren Fähigkeiten, Schwalbenflüge und Innereien zu deuten zu nehmen haben: Es sind Scharlatane, die Lotto spielen mit dem Zufall.

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