Dan Beudean: How to Kill a Sultan (2018)


Dan Beudean: How to kill a Sultan (2018), Graphite on paper mounted on wood, 30 x 40 cm

“Es ist sicher das Törichste überhaupt, Kunst in Worte und Schrift fassen zu wollen” schrieb Max Beckmann mal an eine Malerin. Was im Kern natürlich zutrifft, meine Bemerkungen sind eigentlich nur Beiwerk und vielleicht Konversationshilfe um über Unsagbares zu reden. Besonders spannend und mysteriös ist es, bei Dan Beudean zu spekulieren und zu mutmaßen, seine Kunst zeugt von einem ziemlich klugen Kopf, nicht nur einem geschickten Zeichner. Auch eröffnet diese Werk die Möglichkeit, eine Deutung einmal im westlichen Geistessystem durchzuführen, welche gerade in Deutschland immer erstmal die Naheliegendste ist. Es braucht oft Zugang zu einigen Symbolen und Schlüsseln, um zu verstehen, was eigentlich gemeint ist. Anspielungen finden sich in Motiven wie Titeln so auch hier “How to Kill a Sultan” ist eine mögliche Anspielungen auf heiß diskutierte Tyrannen und Autokraten, besonders naheliegend natürlich Recep Tayip Erdogan, den man immer wieder als “Sultan vom Bosporus” beschreibt. Es ist aber auch eine universelle Aussage, denn der respektvolle Titel eines Sultans passt zu einem majestätischen Tier wie den hier zu sehenden Tiger, der Sultan ist aber vielleicht auch gar nicht abgebildet.

Einen Tiger zu stellen und gar zu töten ist im offenen Kampf ein höchst riskantes Unterfangen, der Wetteinsatz auf einen Menschen fällt im Kampf Angesicht zu Angesicht lächerlich niedrig aus, nicht zuletzt wegen Kraft und Geschick des Tigers. Die Spezies Mensch ist sicher nicht so kräftig, besitzt nicht so offensive Waffen und erscheint geradezu wehrlos gegenüber einem Raubtier. Was uns aber unterscheidet, dass ist unser Geist. Den müssen wir bemühen, denn so schlau und hinterlistig wie der Mensch ist keine Kreatur auf diesem Planeten. Die Barthaare zu stutzen ausgerechnet in dem Moment, in dem der Tiger schläft, ist eine List. Der Tiger verliert Orientierung, er ist weiterhin gefährlich, aber seine sensible Stelle ist getroffen. Auch in der Auseinandersetzung mit Autokraten ist es empfehlenswert, nicht in Angst zu erstarren vor möglicher Gewalt, sondern stattdessen sein Hirn zu bemühen. Es braucht weiterhin Mut, aber es braucht nur wenig Gewalt, um ein Raubtier zu stellen. Vor dem schlafenden Tiger steht eine Schüssel und ein Löffel. Die Schüssel ist gefüllt, es macht den Eindruck die Schere würde bemüht um die Barthaare wie Kräuter zu kürzen. Der Ansatz der Hände sieht nach einem Könner aus, wir sehen jemanden, der die Schere geschickt hält und auch die Haare mit einer feinen Wahrnehmung spürt. Die Barthaare als Würze zu verwenden für ein Mahl erscheint paradox, worin besteht die Absicht? Der Titel verrät letztlich immer die Absicht, etwas muß getötet werden namens Sultan. Natürlich ist auch eine indirekte Lesoption möglich, der Sultan ist gar nicht der Tiger, sondern wir brauchen das Barthaar wie eine Art Gift, um einen menschlichen Sultan zu töten. Üblicherweise endet hier die westliche Lesart der dargestellten Geschichte, es bleiben Fragen.

Beudean fokussiert gerne das spirituelle Schicksale unserer Zeit und seiner Zeitgenossen. Antworten suchen wir deswegen aber auch in alternativen Heilslehren, die uns Antworten zu geben suchen. Antworten geben, dass ist im Heimatland des Tigers, Indien, die Aufgabe von Gurus. Und in diesem Umfeld findet sich die zweite Lesart des Bildes, die eine indische Geschichte der Sikh aus dem Yoga Vidya eröffnet und im folgenden einen recht langen Exkurs bildet.

Die recht verworrene Geschichte der Sikh handelt von der Zeit des Guru Har Rai (16 Januar 1630 – 6 Oktober 1661), welcher im Jahre 1630 n. Chr. von Gurditas Gemahlin Nihal Kaur oder Nathi in Kiratpur geboren wurde. Ein Guru ist ein hoher spiritueller Lehrmeister, der in Kontakt zu gottgleichen Wesen steht, aber eben noch kein Gott ist. Im Westen erinnert man sich an die vielen Scharlatane, die sich als Gurus betätigten, aber davon ist hier keine Rede. Der Guru Har Rai war ein besonnener und zufriedener Mensch. Er hatte keinerlei kriegerische Ambitionen und zog es vor, ein friedliches und zurückgezogenes Leben zu führen. Dennoch nahm er großen Einfluss auf den Lauf der Welt, wie es viele Gurus tun, wenn sie die höchste Stufe erreicht haben. Seinen Vater verlor er früh, weil er ein Wunder wirkte und eine heilige Kuh zum Leben erweckte, die er kurz zuvor im Irrtum getötet hatte. Gottgleich zu sein war eines werdenden Gurus aber nicht würdig, also gab der Vater im Einklang mit der Leere des Gurus seine Seele auf und starb mit nur 24 Jahren. Die Geschichte des Vaters holte den Sohn später in ähnlicher Form wieder ein, als dieser zum Guru bestimmt wurde.

Im Kampf um weltliche Macht tat der muslimische Prinz Aurangazeb einige Tiger-Schnurrhaare in das Essen seines Bruders Prinz Dara Shikoh, um ihn loszuwerden. Dieser wurde daraufhin sehr krank. Wir sehen also genau diese Szene auf dem Bild von Dan Beudean. Die besten Ärzte wurden zu Rate gezogen und entschieden, dass nur eine Arznei ihm helfen könnte: eine Myrobalan (Frucht), allerdings mit einem Gewicht von achtundzwanzig Unzen und ein Gewürznelke, die ein Masha wiegt. So eine große Myrobalan Frucht und so eine schwere Gewürznelke waren jedoch nirgends aufzutreiben. Dem Großmogul, also dem Vater des Vergifteten, wurde geraten, sich an Guru Har Rai zu wenden. Shah Jahan sträubte sich anfangs dagegen. Später jedoch schickte er dem Guru einen Brief, in dem er ihn demütig um Hilfe bat. Der Guru holte darauf eine Myrobalan Frucht und eine Gewürznelke mit der benötigten Größe aus seinem Vorratsraum und gab sie dem Boten des Moguls. Zusätzlich gab er ihm einige Perlen mit, welche feingemahlen mit der anderen Medizin vermischt werden sollten. Dies wurde Dara gegeben, die Tiger-Schnurrhaare wurden aus seinem Körper geleitet und er erlangte wieder seine Gesundheit. Guru Har Rai half also Dara Shikoh im Kampf um den Thron. Somit hatte Guru Har Rai zwar einen Todgeweihten lebendig und gesund gemacht wie sein Vater es bei einer Kuh tat, doch er wollte gar nicht gottgleich sein, sondern versuchte Menschen zu heilen und gab Ihnen somit eine zweite Chance im Leben. Auch heilte er somit die Niedertracht des Prinzen Aurangazeb aus der Welt. In der weiteren Geschichte ist das aber nicht von Dauer, im Gegensatz zu westlichen Geschichten haben wir es selten mit Einleitung, Höhepunkt und Finale zu tun, die Geschichte hört nie auf, bis der nächste Guru ernannt wird von seinem Vorgänger:

In späteren Jahren wurde der geheilte Dara vom niederträchtigen Aurangazeb gefangengenommen und hingerichtet. Die Heilung war zwar nicht ohne Nutzen, letztlich half sie jedoch nicht, den Tod zu vermeiden im Kampf um die Macht. Har Rai versuchte, mit dem neuen Großmogul Aurangazeb, der von Hause Moslem war, Frieden zu schließen. Als Aurangazeb bald darauf Har Rai bat, am Hofe des Moguls zu erscheinen, fürchtete der Guru aber Verrat und sandte seinen ältesten Sohn an seiner Stelle. Aurangazeb behielt Ram Rai an seinem Hof für eine recht lange Zeit und behandelte ihn mit großem Respekt. Ram Rai hatte die strikte Order von seinem Vater bekommen, seinem Glauben treu zu bleiben und nicht von ihm abzuweichen, wie immer die Umstände sich auch entwickeln würden. Aurangazeb lernte in dieser Zeit vieles über die Religion der Sikh von Ram Rai. Er verehrte aufs Höchste den Heiligen Granth, denn er war zu der Meinung gekommen, dass die Glaubensgrundsätze des Sikhismus in vielem mit den Lehrsätzen des Islam übereinstimmten. Eines Tages fiel Aurangazeb ein Satz in den Sikh-Schriften in Rag Asa auf und er fragte Ram Rai nach seiner Bedeutung. Der Satz bezog sich auf das körperliche Leid eines Muselman (Moslem) nach dem Tod. Die Asche der Moslems würde zu Töpferton werden; aus ihr würden Behälter und Ziegel geformt werden; sie würden laut aufschreien, wenn sie dann zersprangen. Ram Rai dachte, dass dieser Satz den Mogul sehr kränken würde, da dieser in seinem Glauben sehr voreingenommen war. Deshalb ersetzte er das Wort “Muselman” mit dem Wort “Beiman” (Ungläubiger), um ihn zufrieden zu stellen.

Dies kam als Nachricht zu Ohren von Guru Har Rai. Der Guru sagte erbost, dass kein Sterblicher jemals die Worte von Guru Nanak ändern dürfte und dass er den Mann, der es gewagt hatte, dies zu tun, nie mehr sehen wollte. Er erließ einen Befehl, dass ein wahrer Sikh keinerlei Verbindung mehr mit Ram Rai oder seiner Nachkommenschaft haben durfte. Derjenige, welcher sich diesem Befehl widersetzte, würde exkommuniziert werden. Der Guru sagte: “Das Amt des Guru ist wie die Milch der Tigerin, welche nur in einer goldenen Tasse aufgefangen werden darf. Nur derjenige ist es wert innezuhaben, welcher bereit ist, sein Leben dafür hinzugeben. Ram Rai soll mir bloß nicht mehr unter die Augen treten. Soll er doch bei Aurangazeb hausen und Geld an seinem Hofe anhäufen.”

Die strenge Natur der Heilslehre im Yoga macht uns stutzig, denn im Westen ist Yoga vor allem eines, eine angesagte Form der körperlichen Betätigung mit spirituellem Anstrich. Dieser Anstrich bleibt meist oberflächlich, die Tiefe erschöpft sich oft in ästhetischer Ausgestaltung der Yoga-Schulen oder dem Kauf von Yoga Kleidung. Wie jede spirituelle Lehre versucht auch Yoga dem rastlosen und spirituell erschöpften westlichen Menschen aber Antworten zu geben, die weit darüber hinausgehen sollen und den ganzen Kosmos erklären. Der fade Beigeschmack unserer Tage ist, dass die religiösen Unterschiede sich in kulturellem Kampf äußern (Krieg der Kulturen) und die Lehre der Yoga wie andere Religionen um Suchende wirbt. Beudeans Bild zeigt den Moment, in dem ein Moslem zur Gewalt greift und die Haare eines Tigers nutzt, um einen Menschen zu morden. Die Lehre der Sikh und der Yogis wiederum ist stärker als diese andere Religion, sie zu erklären ist Teil der Geschichten der Gurus. Was auch immer mehr wir hier versuchen zu erfahren, alles ist in Beudeans Bild bereits enthalten. Im Kern geht es in diesem traumähnlichen Bild aber um das, was wir sehen und nicht dass, was wir noch an Wissen erarbeitet haben. Es geht um uns, um unseren Mut, unsere Auseinandersetzung mit unseren Feinden, unsere Handlungen und unsere Ansicht der Gefahr, so schön sie auch darniederliegt.

Über Dan Beudean

Dan Beudean (1980) stammt aus Cluj-Napoca und ist in der Szene der Künstler bekannt, um nicht zu sagen berüchtigt. Er wurde dort 1980 geboren, studierte an der Universität der Künste und Design und lebt dort noch heute. Er zählt dort zu dem vermutlich stärksten Zeichnern seiner Generation. Neben Zeichnungen gibt es aber auch Installationen, Skulpturen und Videos von Beudean. Wie auch beim Bild des Tigers sind Schöpfungen durchaus visionär, wie ein Künstler aus dem Mittelalter geht es ihm vor allem um die Natur, Mythen und Symbole, oft allegorisch verschlüsselt. Sein primäres Interesse gilt der historischen Dimension des 21ten Jahrhundert und sozio-politische Themen. Beudeans extrem detaillierte Zeichnungen unterscheiden sich in den Formaten immer wieder. Er fokussiert dabei das physische wie spirituelle Schicksal seiner Zeit.

Beudean’s drawings capture even the smallest details, regardless of the format chosen, focusing on the physical and spiritual destiny of the contemporary man. Dan Beudean is a critical but subtle observer of the man’s attempt to dominate nature in his attempts to acquire it artificially. He admires, however, the perpetual explorational effort that underlies contemporary society. His mostly figurative drawings often drift into the surreal or bear witness to narratives whose truth is ambiguous or somehow twisted. His drawings can be ironic comments on socio-political issues, yet more often seem harmless scenes or objects that reveal a sense of disquietude and disturbance at closer inspection. Domestic scenes or familiar imagery are infused with underlaying tension or thrown off balance through strange and sometimes menacing details. At first glance, Beudean drawings could be a collection of black and white photographs from a family album, yet they turn out to be subversive annotations on a nation with a troubled past going through painful transformation.

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