Impulskontrolle an der Börse: Gewinnmitnahme ist Teufelszeug

Sie kennen das: Ihre Aktieninvestments sind im Plus, aber jetzt tun sich dunkle Wolken auf. Noch kein Gewitter, aber vielleicht doch? Und dann kommt die Hiobsbotschaft: Quartalsziele verfehlt, Ihre einstige Lieblingsaktie dreht ins Minus. Jeden Kurspunkt weniger verlieren Sie echtes Geld. Wie lange stehen Sie das durch? Besser jetzt verkaufen? Dann haben Sie sich immerhin 5% Plus gesichert und das Geld auf dem Konto! HALT!!! STOP!!! Das dürfte mit ziemlicher Sicherheit ein Fehler sein und hier im Artikel steht wieso.

In der Kunst gibt es keine Fehler, nur Impulse! Und wer die Impule meistert, der ist ein Meister der Selbstbeherrschung, aber ist er auch ein Künstler?. Können Sie allen Impulsen gut widerstehen? Impulse ereilen Sie wie ein Blitz. Aus heiterem Himmel. Einige schmelzen beim Anblick einer tollen Frau dahin, anderen reicht schon Schokolade um sich zu vergessen. Und wenn Sie sich als kleiner oder großer Investor heimlich für einen Künstler halten, dann drückt der Verkaufsimpuls Sie vielleicht manchmal kräftig. Die Börse ist eine emotionale Achterbahn, wenn man einmal eingestiegen ist. Wenn Sie landläufig ein Forum oder eine Bank fragen, ob man mal Gewinne mitnehmen soll, wird vielleicht schnell gesagt: “Hat noch niemanden geschadet!” Oder: “The Trend is your friend!”

Ich sag es Ihnen gleich, dass ist ein böses Teufelchen, das auf Ihrer Schulter sitzt und Ihnen das zuflüstert. Wenn Sie verkaufen, dann machen Sie Gewinn. Stimmt! Natürlich bekommen Sie auch etwas fassbares, wenn Sie verkaufen: Sie erzeugen sich eine echte Gutschrift. Sie sind also schon mal ein Gewinner und kein Investor, der Geld verliert. Der Gewinn ist realisiert! Ein gutes Gefühl also. Was also soll bitte daran schlecht sein? Nun, die Geschichte der verpassten Verkäufe ist mindestens so lang wie die der verpassten Chancen. Das passiert auch Profis. Und wer realisiert hat erstmal keine Chance mehr. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Am Ende ist an der Börse wie so oft alles eine Frage der Fristigkeit. Kursverläufe sind manchmal aberwitzig, geradezu zufallshaft. Ein klarer Trend ist weder eine Garantie noch leicht zu lesen, mal hoch, mal runter, es ist eigentlich ein Mysterium. Nur langfristig wird ein Schuh draus, Tageskurse dagegen sind oft nicht lesbar. Langristig zählt die echte Firma, die echten Zahlen der Bilanz? Ja, auch. Es zählen aber noch gewichtiger die Zukunftsaussichten und hier sind manche Firmen schlichtweg besser aufgestellt als andere. Die Börse drückt immer einen Zukunftswert aus, keine Realität von heute. Bitte denken Sie daran: Jemand verspricht Ihnen Erträge in der Zukunft und dafür bekommen Sie heute Werte. Das ist ein Aktienkurs, es ist nicht das Zeugnis für die Vergangenheit, das zählt in der Börse soviel “wie ein Napf voller Hunderotz”. Das war jetzt ein drastisches Bild, aber vielleicht merken Sie es sich so einfach besser.

Als Investor wollen Sie Vermögen aufbauen und Sie wissen, dass Aktien langfristig die beste Anlageklasse sind. Daran kann ich alles unterschreiben, es gibt keine Bessere und bitte reden Sie nicht von Bitcoins! Nichts schlägt langfristig Eigenkapital, wenn Sie gut diversifiziert sind und die Kosten im Griff haben. Aber was ist garantiert und wie ist der Zeiten Lauf? Keiner weiß es, weder Faust noch das Teufelchen auf Ihrer Schulter, dass Ihnen zum Verkauf rät. Die größten Fallstricke für ungeübtere Investoren liegen eigentlich nicht so sehr im Intellekt als im Temperament: Alles eine Frage der Selbstbeherrschung. Fragen Sie sich das bitte mal ganz, ganz praktsich: Halten Sie die starken Kursschwankungen der Börsen wirklich aus? 10-30% in einem Jahr nach oben oder unten, das gehört zu vielen Titeln dazu. Das heißt: Tante Erna vererbt Ihnen 100.000 €. Sie haben eigentlich nichts auf dem Konto. Jetzt ist das an der Börse plötzlich nur noch 70.000 € wert – was macht das emtional mit Ihnen? Genau, das putscht Sie auf und das macht vor niemandem halt. Während Sie 10% im Plus vieleicht schon mit Gier vergiften (Tante Erna hat Ihnen also 110.000 € vermacht und morgen? Noch mehr?!?). Der Mensch ist ein Mensch und Gefühle sind wie Schall und Rauch. Das Sein bestimmt das Bewusstein, dieser Marxsche Satz hat es an die Börse geschafft und jetzt wissen Sie, was er bedeutet: Mal sind Sie im Bewußtsein ein Gewinner, mal Verliere – aber realisiert ist all das erst, wenn Sie verkaufen. Erst wenn Sie das mal durchgestanden haben, wissen Sie, was das für Anleger heißt – es ist ein ziemlicher Kampf. Also sagen Sie mir bitte nicht, dass es leicht sei, das Minus zu ignorieren, sei es auch noch so kurzfristig sichtbar. Und sagen Sie mir auch nicht, Gier würde sie niemals befallen, wenn sich der Kurs verdoppelt hat – die einen sehen Juwelen auf sie niederprasseln, andere wollen ganze Autohäuser leeren. Seien sie glücklich, wenn Sie von kühlem Blut sind – an der Börse kann dies eine große Hilfe sein.

Auf und nieder an der Börse, das heißt auch einen Namen: Volatilität (oder auch historische Standardabweichung). Je schlimmer die Achterbahn, desto größer die Volatilität. Sie können diese Volatilität auch vorher, vor dem Kauf übrigens prüfen: Viele Aktieninformationsportale geben Ihnen nicht nur die Spreads an (Differenz von Kurs und Kassa oder Zinsen zum Marktniveau), sondern auch die Vola bzw. die Volatilität eines Kurses. Manchmal versteckt sich dieser Wert in der AVERAGE TRUE RANGE (ATR), das ist das gleiche Maß auf englisch bezeichnet.

Sie können so zumindest lesen, wie stark der Wert historisch geschwankt hat um den Kurs der Aktie und können die Werte, deren Achterbahnfahrten Ihnen Übelkeit erzeugen, besser ausschliessen. Eine Aktie mit geringer Abweichung fährt sich ruhig und angenehm, hat aber weniger Chancen. Wenn die Kurs der Aktie also sich nach unten bewegt und Ihr Gewinnmitnahme-Impuls Alarm schlägt, dann sollten Sie vorab (Tipp Nr. 1) schauen, ob die Kursschwankungen sich im Rahmen der typischen Volatilität dieser Aktie bewegen. Wählen Sie den Betrachtungszeitpunkt dafür nicht zu kurzfristig, sonst entscheiden Sie viel zu situativ. Jetzt wissen Sie, ob es eine normale Achterbahnfahrt ist oder der Wagen tatsächlich aus der Kurve getragen wird. Eine wichtige Unterscheidung. Eine zweite Kennzahl wäre übrigens der Beta-Faktor. Sie ist etwas weniger intuitiv als die Volatilität: Der Beta-Faktor ist ein Maß für die Schwankungsbreite eines Finanztitels im Vergleich zum Gesamtmarkt (repräsentiert durch einen Index). Ein Beta von 1 bedeutet, dass das Preisschwankungsrisiko des Finanztitels (z.B.: einer Aktie) gleich groß ist wie das des Gesamtmarktes. Das ist natürlich eher selten, denn ein Index wird aus vielen Papieren errechnet und nicht aus wenigen. Er ist also von Natur aus ruhiger als eine Einzelaktie. Schauen Sie sich das mal auf Seiten wie Yahoo Finance o.ä. an. Beispielsweise hatte die Aktie von Apple am 8. August 2023 ein Beta von 1,29. Das heißt sie schwankte mehr als der Gesamtmarkt und in Ihrem Falle hat sie sich positiv bspw. zum S&P500 Index abgesetzt. Eine gute Erklärung dafür übrigens, warum viele Anleger heute auf ETFs setzen, deren Volalität in etwa genau dem Index entspricht und somit viel weniger schwankt als Einzeltitel.

Wenn der Verkaufsimpuls immer noch anhält, nützt die Theorie nichts. Es kann ja sein, dass der Himmel uns auf den Kopf fällt! Was nützt da die Standardabweichung! Dabei wird selten etwas so heiß gegessen wie es gekocht wird. Machen Sie sich immer erstmal klar:
Faktisch passieren mindestens 5 Dinge gleichzeitig beim Verkauf, weswegen Sie immer mal mindestens eine lange Gedenksekunde einlegen sollten!

Wenn Sie Gewinne mitnehmen, passiert neben der eigentlichen Mitnahme noch folgendes:

– sie erzeugen min. 25% Steuern auf Ihre Gewinne – puff und weg!
– sie tragen Kosten für den Verkauf (mindestens die Handelsgebühr bei der Depotbank, teils auch des Fonds/Rücknahmegebühren, etc.)
– ein Verkauf erfolgt etwas ungünstig für Sie (oft) über einen Marketmaker, also einen Zwischenhändler, der den Markt liquide hält (auch hierdurch entstehen Differenzen d.h. Kosten)
– sie lösen sich von einem langfristigen Investment, wollen Sie das denn auch wirklich? Ihnen entgehen Dividenden und Kursgewinne der Zukunft!
– sie müssen wissen, wohin sie das Geld danach reinvestieren, denn sonst frisst die Inflation Ihr Geld auf. Haben Sie eine bessere Idee in der Hand?

Sind Sie ein Spieler oder ein Investor?

Für manche Menschen sind Börsen so eine Art Spielcasino. Und sind wir nicht alle Teil des Spiels des Lebens? Das mag sein, aber das Leben lässt sich hier und da durch Ihre Entscheidungen für Sie beeinflussen. Für Spieler dagegen gehen Kurse mal hoch, mal runter, wie von Zauberhand. Was hoch geht, muss auch mal runtergehen, was jetzt billig ist, wird sicher wieder teuer. Ganz so wie die Bauernregeln um Fruchtfolgen oder die alte Bibelregel: Auf 7 gute Jahre folgen vielleicht 7 schlechte Jahre? Seien Sie bitte versichert, das mag auf dem Acker stimmen, es stimmt nicht an der Börse. Spieler wollen nicht langfristig in tollen Unternehmen am Gesellschaftskapital beteiligt werden, sie wollen einen Schnitt machen. Ob Börse oder Pferderennen, ganz egal: Mittlerweile kann man die Börse so einfach vom Handy aus machen, es ist eigentlich noch bequemer als zum Pferderennen zu fahren. Das Elend dieses Typus Mensch: Er ist nicht mit viel Impulskontrolle gesegnet. Diese Menschen haben definitiv wenig Geschick darin, Ihre Impulse langfristig zu zügeln und somit harte Phasen auszusitzen und langfristig Ihr Kapital zu mehren. Sie brauchen den schnellen Gewinn, weil dass eben diesen gewissen Kick gibt. Genau deswegen spielen diese Menschen gerne – wollen Sie also spielen oder wollen Sie langfristig investieren?

Nur um das Glück der Spezies “langfristiger Investor” kann ich mich kümmern, diese können durch überlegte Entscheidungen und Impulskontrolle langfristig gewinnen. Spieler gehören manchmal eher in die Suchtberatung, erst recht, wenn Sie das auch noch schuldenbasiert machen. Gehören Sie dazu, dann sag ich es Ihnen freiaus: Sie kaufen Aktien mit Darlehen? Sie spielen mit dem Teufel Roulette und die Chancen, dass es sie ruiniert, sind hervorragend! Ausgerechnet die Volatilität wird sie zerbröseln. Da reicht es manchmal, wenn der Kurs der Aktie unter die Besicherungsgrenze fällt und die Bank kann sie zwingen, das Darlehen sofort zurückzuzahlen. Das bedeutet meist nichts anderes als Privatinsolvenz. Hören Sie damit bitte sofort auf, noch niemand hat mit Aktien und gehebeltem Fremdkapital auf Dauer Glück gehabt.

Das Spiel der Psyche bei der Gewinnmitnahme ist tricky

Wenn Sie Gewinne abschöpfen, befriedigen sie ein kurzfristiges Liquiditätsinteresse, sie wollen sich bestätigen. Mindetens bei dieser Gewinnmitnahme bin ich ein Gewinner und kein Loser! Sie haben Ängste, suchen Sicherheiten. Ein Gemisch, dass der kühle Investor scheuen muss. Sie müssten sich eigentlich überprüfen: Stimmen die Prämissen meiner Investitionsentscheidung denn nicht mehr? . Erst wenn Sie das klar und eindeutig beantworten können, sollten Sie eine Entscheidung treffen. Vorher sind alles nur – Gefühle.

Wenn Sie verkaufen, ist Ihr Geld zu diesem Zeitpunkt nicht mehr investiert und somit unverzinst. Keine Erträge, keine Zinsen, keine Absicherung gegen den Wertverlust der Währung. Das bedeutet eigentlich, dass Ihre gesamte Investitionsentscheidung in Frage steht – denn sie haben den Titel doch vorher nach reiflicher Überlegung gekauft, oder etwa nicht? Nachrichten gelesen, Produkte geprüft, K-10 Statements überflogen oder was auf YouTube gehört, was sie irgendwann überzeugt hat: Den Titel aus der Watchlist, den kauf ich jetzt! Und zwar bin ich überzeugt, dass der Titel in 10 Jahren viel mehr wert ist als heute, min. 7% pro Jahr traue ich ihm zu! Jedoch sind 10 Jahre ziemlich lange Zeit, um seine Impulse im Griff zu halten. Und ein Quartal kann aus vielen Gründen mal schlecht ausfallen, sind diese von so langfristiger Natur? Besonders stark kommen die Zweifel in die Quere, wenn die Aktie schon lange gegen den Trend sehr gut gelaufen sind. Bspw. BigTech seit 2022: Microsoft oder Apple, alle zeigen starke Zuwächse. Aber bleibt das so?

Als Katholik haben sie im Kopf: Nach 7 Guten kommen doch sicher genau JETZT mal 7 schlechte Jahre – ist es jetzt also wirklich soweit? Und damit startet das Auguren-Lesen in den Innereien gestern noch vorbeifliegender Schwalben. Bitte, vergessen Sie das! Denken Sie daran, warum Sie diese Firmenanteile erworben haben: Ist dieses Zukunftsszenario zerstört? Das hat viel mehr damit zu tun, ob das Produktangebot auch in den nächsten Jahren noch überzeugen wird. Mag es nicht mehr so gut gehen, dann mag die Rendite auch langfristig sinken – aber gleich derartig stark in einem Quartal, dass alles vorbei ist? Das klingt bei großen Tanken wie es Konzerne nun mal sind sehr unwahrscheinlich. Eher stottert die Maschine, aber im Großen und Ganzen tuckern Firmen weiter. Die Investoren wie Warren Buffett glauben an Ihren Finanzplatz als den besten der Welt (die USA) und sind überzeugt, dass die Welt immer besser wird und nicht schlechter. Sie sollten diese Art von Optimismus auch versuchen, in Summe hat sie sich für Buffett sehr ausgezahlt und hat auch verhindert, dass er in jeder Baisse verkauft – das tat er nämlich praktisch nie.

Teilverkäufe sind was für die Sicherheit?

Ich bin kein Fan von Teilverkäufen, die einige unsichere Anlieger bevorzugen. Das soll mehr Sicherheit geben. Sicherheit worin aber bitte? Wissen diese Anleger wirklich, was sie tun? Glauben Sie an das Unternehmen oder sind Sie einem Trend aufgesessen ohne nachzudenken? Denn dann ist mein Fehler reduziert, sagt der Anleger sich, halber Fehler ist kein ganzer Fehler. Ich nehme Gewinne mit und halbiere Verlust? Oder ich nehme ein paar Gewinne mit und verliere 50% meiner Gewinnchancen? Nicht weiß ich sicher, diese Prämisse muss immer gezogen werden. Für mich ist nur eines klar, die Grundlage für die Entscheidung wird bei Teilverkäufen ebenfalls in Frage gestellt. Weil es entweder keine eindeutige Perspektive jemals gab oder man auch jetzt nicht so richtig durchblickt. Vielleicht machen Sie nur das was Little Joe macht und nicht das, was sie für richtig halten? Das sind schlechte Voraussetzungen für ein langfristiges Engagement. Deswegen halte ich auch Teilverkäufe für inkonsequent. Und es ist aus meiner Sicht eindeutig besser, die Entscheidungsgrundlage zu verbessern und erst dann eine Bewertung vorzunehmen. Am Ende ist es besser dann alles zu verkaufen und mit allem drin zu bleiben – das Gegenteil könnten Sie statistisch übrigens auch nicht beweisen. Nur die Kosten Ihres Engagements, die sind mal wieder gestiegen.

Echte Hiobsbotschaften dagegen erkennen lernen

Der Vollständigkeit halber erwähnen wir, dass es natürlich nicht um eine Hiobsbotschaft im Quartalsbericht geht: Wenn dort steht, dass die Produktionsanlage durch einen Wirbelsturm zerstört wurde, dann haben Sie natürlich ein Problem. Wenn der Staat Ihr Geschäftsmodell kaputt reguliert, dann haben Sie ein Problem. Wenn es Krieg gibt, haben Sie eventuell ein Problem. Das sind heftige Einbrüche in Ihre Annahmen, die einen Verkauf rechtfertigen können. Aber bitte seien sie sich dazu über die Information auch sicher. Ist das von der Gesellschaft berichtet worden oder ist es nur ein Gerücht? Die Anforderungen an Berichte über die Gesellschaft gerade in Amerika sind derart scharf, dass sie mit einiger Sicherheit davon ausgehen können, dass der K-10 auch stimmt. Verantwortliche riskieren hohe Strafen, wenn Sie hier lügen. In anderen Ländern ist die Finanzaufsicht nicht so scharf, leider war WireCard, Adler Gruppe und anderen Namen nicht gerade Auszeichnungen für die Bafin. Wenn ein Testat von einem Wirtschaftsprüfer irgendwie hängt: Spitzen Sie alle Öhrchen, die Sie haben, da könnte heftig was im Busche sein!

Market-Timing ist und bleibt Bullshit

Ich könnte jetzt Seiten dazu schreiben, warum Market Timing nicht funktioniert. Es besteht aus der Täuschung, dass man in der Gegenwart seine Position in der Zukunft erkennen kann. Also wenn der Kurs heute 100 ist, dann ist das ein guter Verkaufspunkt dafür, dass der Kurs in Zukunft bei 95 steht. Aber das weiß ich natürlich gar nicht. Genauso ist das Gegenteil immer möglich, Menschen fällen Entscheidungen oder innovieren beständig Neues. Last but not least: Wenn ich erstmal desinvestiert bin, bin ich raus aus dem Spiel. Ich muss die Alternativen kennen. Manche Spieler denken, Sie warten einfach den Einbruch ab, investieren am billigsten Zeitpunkt und warten dann wieder Ihre Gewinne ab. Das ist totaler Käse, bitte glauben Sie niemals, dass sowas geht. Sie können sicher eine Firma bewerten, sie können auch Ihre Chancen einschätzen lernen mit gewissem Aufwand. Aber Sie wissen niemals im Voraus, ob sie jetzt oder erst später einsteigen sollten. Ich habe das bitter selbst gelernt. Nach dem Verkauf stand ich im Regen und überlegte, wann die Aktie wohl billig genug für einen Wiederkauf sein würde. Stattdessen überraschte mich die Volatilität des Marktes – eine Gegenbewegung ist so schnell gewesen, dass ich gar nicht damit nachkam, meine Entscheidung zu revidieren. Ich kaufte die Aktie teurer ein als ich sie verkauft hatte und verpasste dennoch viele Prozentpunkte der Steigerung. Plus: Ich habe die ganzen Gebühren vergessen, die ich schlicht unnötig erzeugt hatte als auch die realisierten Gewinne zu versteuern hatte. Eine Gewinnmitnahme war so zu einem Minusgeschäft geworden. Alles wegen der Illusion des perfekten Timings. Forget it!

Stopp-Loss mit Dynamik ist ein Selbstläufer: Für die Bank!

Besonders kluge Investoren meinen, Sie können Ihre Portfolios absichern mit bestimmten Verkaufsordern. Im Beispiel ist unsere Aktie 110 Euro wert und zu Ihrem Einstieg mit 10% im Plus. Das reicht Ihnen eigentlich und Sie hören nun vorbörslich, dass die Firma Dreck am Stecken hat. Genaueres ist unklar. Also sagen Sie sich: Ich bin clever und stelle direkt eine Stop-Loss Order ein für 105 Euro. Ab diesem Kurs habe ich immer noch 5% verdient und sicher mich gegen weitere Verluste bei meinen Gewinnen ab. Und dann bin ich noch schlauer und baue eine Dynamik mit ein: So der Kurs morgen stattdessen nach oben geht, wird nicht verkauft und meine Aktie zieht dann vielleicht sogar an. Weil die schlechten Nachrichten nicht der Rede wert waren. Wir gehen dann auf 115 Euro und meine Stop-Loss Order wird hochgesetzt um die Differenz von 5 Punkten. Erst wenn die Aktie jetzt unter 110 sinkt, würde sie verkauft – ich stehe mit 10% immer noch toll da. Klingt logisch, oder? Fakt ist, dass vor allem ein Marktteilnehmer davon profitiert: Ihre Bank! Sie erhöht nämlich durch diese Ordern Ihre Handelswahrscheinlichkeit und das bringt Gebühren. Zudem erkennen manche Anleger gar nicht die tatsächliche Volatilität Ihr Aktie, weil diese im Onlinebanking nicht ausreichend detailliert nachgezeichnet ist. Wer seine Stop-Loss Order auf 108 gesetzt hat, wundert sich dann vielleicht, dass seine Aktie in Sekunden verkauft wurde – halt Moment, die liegt doch bei 109! Nein, zwischenzeitlich war sie vielleicht bei 107,9, wenn auch nur für Sekunden. Und das hat sofort gereicht um Nachfrage zu erzeugen und das Papier zu handeln – der Ertrag liegt erneut bei der Bank und Sie haben wegen einer kleinen Schwankung verkauft und verpassen einen Kursanstieg. Ärgerlich! Also, seien Sie bitte vorsichtig mit cleveren Stop-Loss Ideen, meistens erarbeiten Sie diese zum Vorteil Ihrer Bank.

Portfolio optimieren ist keine Gewinnmitnahme

Ein Investor strebt nach Risikominimierung. Er sucht Anlageklassen, die auch nicht stark miteinander in Korrelation stehen. 2022 konnte man das gut im Ukraine-Krieg erleben. Während die Aktien nach unten rauschten, waren die Rohstoffe davon sehr unbeeindruckt. Als sich die ersten Knappheiten in Europa manifestierten, legten die Rohstoffwerte stark zu und schaufelten das Portfolio wieder ins Plus. Es war also wirklich das Allerbeste, breiter aufgestellt zu sein und nicht “alle Eier in einen Korb zu legen”. Nicht allen Investoren gelingt das. Manche haben bspw. ein ETF-Portfolio, im dem sich bestimmte Basisindize stark überlappen. Sagen wir mal, Sie haben einen NASDAQ-ETF und einen großen MSCI-World ETF im Depot. In beiden Indizes sind die amerikanischen Tech Werte absolut dominant – aufs ganze Portfolio gerechnet, sind sie also in einer gewissen Schieflage, denn nahezu 10% Ihres Depots könnten in einer Aktie liegen – nämlich bei Apple. Das hilft Ihnen, wenn es dem Apple gut geht doppelt. Es bestraft Sie aber auch doppelt, wenn es dem Apfel schlechter geht. Wir wollen aber langfristig durch ein optimales Portfolio min. Marktrenditen oder gar darüber hinaus erzielen.

Wenn Ihr Depot vor allem aus ETFS besteht, dann sollten Sie von Gewinnmitnahmen eher absehen. Stattdessen sollten Sie nur Ihr Portfolio optimieren durch Rebalancing. Dass ist allerdings sehr kontraintuitiv. Sie müssen Titel, die im Depot zu groß geworden sind (sprich Gewinne erzeugen könnten), verkaufen, um billige Titel (die in Verlusten liegen) nachzukaufen, bis Sie auf Ihre alte Verteilungsstrategie zurückfinden. Was Sie auch machen können, ist Werte gegen bessere gelegentlich auszutauschen. Sie müssen natürlich nicht nur ein wenig besser sein, sie müssen weitaus mehr in Zukunft einbringen als Ihnen jetzt an Steuern oder Kosten durch Verkauf und Neukauf entsteht. Sagen wir mal, Sie möchten Cash neu anlegen. Außerdem sind Sie langfristig nicht mehr von Ihrem Afrika-ETF überzeugt, der 3% vom Depot ausmachte. Sie bemerken bei Anleihen neuerdings, dass die Kupons nun bei Unternehmen mit Investmentrating locker 4% übersteigen. Das sind 4% quasi sicher in einem Jahr. Anleihen sind berechenbar und somit heben Sie bei einem Kauf Ihre Portfolio-Verzinsung insgesamt, wenn Sie diese Anleihen Ihrem Portfolio hinzufügen (sagen wir mal 5-10%) mit einer Laufzeit, die so ähnlich ist wie die Ihrer Investitionszeit in das Afrika-ETF. Die interne Rendite steigt so, das Wunder der Portfolio-Optimierung ist vollzogen (siehe auch die Ideen dazu, Investitionsreserven nach bestimmten Strategien zu fahren).

Also, Sie haben gelernt: Gewinne mitnehmen könnte sich als eine sehr kurfristige Strategie erweisen, die wohl aus dem Spielcasino oder aus der Trading-Landschaft kommt. Dauerhaft erzielen diese Strategien selten einer der Anlageklasse angemessene Rendite. Das Risiko des Verlustes bei schnellem Rein-Raus ist gigantisch. Mein Rat, wenn Sie das nächste Mal mit einer Hiobsbotschaft konfrontiert werden: Genau nachlesen, eine Runde in den Park und nicht überstürzt handeln! Wer seine Impulse im Griff hat, gewinnt langfristig am Allermeisten.

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