Auf der Suche nach ein paar guten Flaschen Wein gehen Sie, lieber Leser, im allgemeinen davon aus, dass dort beim Keltern nicht gepanscht wurde. Frei von Giftstoffen leidet man nach dem Genuß ein wenig am Alkohol, doch das ganze geht am Ende ohne dauerhaften Schaden aus. Dafür, dass der Verbraucher so unbesorgt zugreifen kann, sorgen nicht selten irgendwelche Verordnungen, die ähnlich wie das freiwillige Reinheitsgebot beim Bier dafür sorgen, dass man keinen Schabernack mit dem Göttertropfen treibt. Wer Frostschutzmittel nutzt, der mehrt als Winzer kurzfristig den Profit, landet aber dauerhaft im Zuchthaus. Deswegen gehen Verbraucher davon aus, dass diese Form der Regulierung etwas Gutes hat.
Finanzprodukte: Gefährlicher als Nuklearwaffen!
Im Finanzmarkt hält man auch viel von Regulierung, sehr viel sogar. Um es kurz zu machen: Soviel hält man von Regulierung, dass es jetzt wirklich gefährlich wird. Also wegen der Regulierung! Es gibt eine neue Form der Regulierung, diese neue Form nennt sich ESG-Kriterien. ESG-Kriterien schützen Sie erstmal nicht vor gefährlichen Anlageprodukten, dafür gibt es längst ein so starkes Arsenal von Vorschriften für den Verkauf von Kapitalanlageprodukten, dass man in der Praxis denkt: Der Verkauf von Nuklearwaffen ist vermutlich weniger stark reguliert! Dennoch geht die EU exklusiv (denn nur hier findet das Instrument Anwendung) mit ESG noch etwas weiter. Aber kurz zur Erklärung, warum ich dazu überhaupt schreibe und Sie damit vielleicht auch in Zukunft etwas zu tun haben werden. Das ging so:
Warum ich mich bei ETFs überhaupt mit ESG beschäftigen musste
Als passiver Investor verschnarche ich so einige Dellen am Finanzmarkt, aber nicht mein Leben. Meine liebe Depotbank hatte mir wichtige Briefe hinterlegt, die sollte ich als “Dringende Terminsache” unbedingt lesen. 2 von mir gehaltene ETFs würden in 14 Tagen geschlossen, d.h. sie sollen wirklich aus dem Finanzleben scheiden. Ich hätte nur 2 Optionen: Entweder diesen ETF zu verkaufen oder zweitens, bei der Fusion mit einem weiteren ETF zustimmen. Es war dabei ein sogenannter Asien-Pazifik ETF, d.h. ein regional abgegrenzter Fond, der Aktien aus Ländern wie Japan, Australien oder der Wirtschaftszone um Hong Kong beinhaltete. Über solch eine Nachricht ist man als Anleger eh schon wenig erbaut, denn ein Fond, der verkauft werden muss, bedeutet meistens unmittelbare Steuerzahlungen. Also ist das einfachere Los nichts zu tun und der Verschmelzung mit dem neuen Fondvermögen zuzustimmen. Als ich die Namensgebung des Fonds sah, wurde ich aber sofort skeptisch: MSCI Climate Ambition Net Zero Sustainability Invest Asia-Pacific. Was für ein Wortungetüm!
Ich ahnte, dass kann ja nur ein ESG-Fond sein. Mein Impuls war: Auf keinen Fall!
Und so war es auch. Für den zeitlich gebeutelten Leser sei ESG kurz erklärt, es ist ein Kriterienkatalog, der für den Schutz der Umwelt (E wie Enviroment), für eine verantwortliche soziale Sicherheit (S wie Social Responsibility) und für ein nachhaltige Unternehmensführung (sustainable Governance) steht. Bei Finanzprodukten sollen also in all diesen 3 Bereichen vorbildliche Werte erreicht werden, ansonsten sind diese für die investierte Unternehmung als Ganze von Nachteil. Wenn also ein ETF in 1000 Unternehmen investiert, fallen jetzt alle 400 raus, die nicht ESG-konform sind. Das ist natürlich für die Streuung des Risikos schon mal ein Unterschied. Per Definition sind immer weniger Titel verfügbar, die ESG-konform sind, als andersrum. Ich finde, an dieser Stelle kann man gar nicht oft genug nachfragen: Wer sagt uns im Falle der Nachhaltigkeit, was genau darunter zu verstehen ist? Für den professionellen Anleger ist diese Frage immanent wichtig, denn wer diese Kriterien nicht erfüllt, fliegt raus! Ein einfaches Beispiel: Unternehmen wie Apple oder Amazon, zwei der größten Werttreiber in Depots der letzten 10 Jahre, wären gar nicht mit dabei gewesen. Wären Sie nicht auch gerne in Apple investiert gewesen statt einfach nur die Produkte teuer zu kaufen? Apple hat dummerweise einen sehr großen chinesischen Zulieferer, der beim Arbeitsschutz aus westlicher Sicht kritisch ist (wenn auch nicht aus chinesischer Sicht). Ähnliches gilt für Amazon, wo der Betriebsrat auch ein eher unglücklicher Mann sein dürfte. Andere Unternehmen aus dem Wettbewerb wie Samsung jedoch, der ähnliche oder drastischere Sozialstandards besitzt, aber dies in Korea tut (wo der Arbeitsschutz als besser bewertet wird), gelten als ESG-konform. Da mag Apple seinen eigenen Mitarbeitern noch so paradiesische Arbeitsbedingungen bieten, wenn es um Zulieferer geht wird auf einmal alles kaputt gestampft. Noch absurder: Ein chinesischer Hersteller, der vielleicht noch viel schlechtere Standards als Apple verfolgt, mag ESG-konform sein – bei einem anderen ESG-Ranking Anbieter! Sie erahnen schon, ESG ist keine Klarsichtbrille, sondern eher ein Unschärfefilter. Aber das ist nur der Anfang.
ESG kann Wirtschaftsentwicklung torpedieren
Stellen wir uns eine typische Wirtschaftsentwicklung vor, um mal zu verstehen, wie Länder sich entwickeln. Seit der Industrialisierung beginnt dies mit der Erschließung von Bodenschätzen. Dafür benötigt man etwas Geld, um den Stollen zu bauen. Kurz darauf ist das Bergwerk ein großer Vermögenswert, der benutzt werden kann und für das Land die Energie günstig zur Verfügung stellt: Ohne Kohle kein Dampf. Ist der Dampf erst da, werden damit auch erste Fabriken betrieben: die Textilindustrie, ein weiterhin sozialkritischer Bereich der Gesamtwirtschaft, der auf günstigen Arbeitskräften weiterhin weltweit beruht. Es dauert meist noch lange, bis komplexe Industrieunternehmen oder geistige Dienstleistungen entstehen. Auch muss erst Bildung eingeführt werden, was viele Jahre benötigt, um Früchte zu tragen. Bevor Sie dies alles aber tun, erfüllen viele Volkswirtschaften kaum die in Europa definierten ESG-Kriterien. Man kann auch sagen: Wer sich nach europäischem Vorbild entwicklen kann, bekommt dafür kein Geld. Denn die ESG-Kriterien erfordern schon heute, dass die Energie aus importierten Windrädern, statt Textilien direkt geistig potente Dienstleistungen in Ingenieurbüros entwickelt werden können. Das ist jetzt eine Vereinfachung, aber ich will darauf hinweisen, dass nicht jedes Textilunternehmen, dass mit niedrigen Lohn- und Gehaltskosten arbeitet (mit westlichen Löhnen kostet das T-Shirt einfach das X-fache), per se ein ausbeuterisches Unternehmen ist. Nein, es kann die Grundlage für eine weitere Entwicklung darstellen. Was auch immer passiert: Es braucht am Anfang Geld. Es braucht Investoren, denn niemand kann von Null anfangen. Wenn dieses Kapital ihm nicht zugeführt wird, weil bestimmte Finanzprodukte wegen ESG-Kriterien aussieben, wird das schwierig.
“Ein Performance gefährdendes Element ist immer Regulierung und immer Zwang.”
Dr. Andreas Beck, Portofolio-Experte und Mathematiker
Wer kennt schon die Zukunft?
Wir alle kennen die Zukunft nicht und ob bspw. Windenergie in 22. Jahrhundert nachhaltig ist oder nicht vielleicht die Kernfusion, das weiß niemand. Vor 70 Jahren galt die Kernenergie als das größte Zivilisationsgeschenk überhaupt, heute verfluchen sie viele Menschen. Wären die CO2-Emissionen jedoch schon vor 30 Jahren so wichtig gewesen wie heute, hätten wir da Kernkraftwerke abgeschaltet oder nicht lieber zuerst Kohlekraftwerke? Wohin Menschen Ihr Geld investieren, das hat auf Dauer für die kapitalistischen Wirtschaftsmodelle die wichtigste Steuerungsrolle. Nur die Unternehmen ziehen Kapital an, die das Kapital ausreichend verzinsen. Und so entwickelt sich mit diesem Markt eine feine Auswahl der Unternehmen, die Kapital bekommen und anderer nicht.
ESG als Filter für Investmentalternativen
Wir haben also jetzt die außergewöhnliche Situation, dass Kapitalgeber eine Vorselektion nach ESG-Kriterien bekommen, deren genauen Aufbau sie nicht kennen. Befürworter der ESG-Kriterien sind wohl überzeugt, dass das Geld jetzt nur noch “in das wahre schöne gute” investiert wird. Es steckt also viel Politik in den ESG-Kriterien, mehr als man vielleicht denkt. Aber wie gesagt, wer welches Kriterium erfüllt erscheint willkürlich, zudem gibt es keinen bislang bewiesenen Zusammenhang damit, dass ESG-Unternehmen eine bessere Verzinsung für die Aktionäre liefern als die “Dreckschleudern”. Ja, auch wenn es der Salonsozialist nicht hören kann: Der ganze Zirkus des Kapitalismus dreht sich natürlich um den zu verteilenden Profit.
Alle 3 Kriterien des ESG strotzen vor Allgemeinheit und Unklarheit. Und in der Tat schaut man auch gar nicht viel weiter hin, wie man diese Kriterien genau definieren soll. Ausgedacht hat sich das ganze die EU, denn die glaubt so eine bessere Zukunft zu erschaffen. Böse Unternehmen, die also Arbeit missbrauchen zum Bau fossil befeuerter Automobile, sollten keinen ESG-Stempel bekommen. Beim Finanzmarkt heißt das: Dieses Produkt sollte dem Verbraucher gar nicht erst empfohlen werden. Erst ESG-konforme Unternehmen, dann der Rest!
ESG: Die totale Definition der Unklarheit
Wenn Sie die Rolle der Unternehmen und die Rolle des Staates streng abgrenzen, dann sollte man sich fragen, wer welche Rolle hat. Aus meiner Sicht überschreitet der Staat bei ESG seinen Ordnungsrahmen. Er hat schon längt ausreichende Instrumente, um ökologische, soziale oder juristische Fragen der Unternehmensführung bewerten oder gar bestrafen zu können. Ich finde es wichtig, dass der Staat das nötige tut und auch versteht, wo er seine Regelungswut im Griff haben muss. Diese Regelung auszutarieren zwischen einem planwirtschaftlichen Modell oder einem astreinen Kapitalismus, ist natürlich schwierig. Die soziale Marktwirtschaft ist ein sehr komplexes Instrumentarium gegensätzlicher Regelungen, um beides, das soziale und das kapitalistische Momentum, in Harmonie zu bringen. Bei ESG will der Gesetzgeber nur den Investoren einen Filter vorsetzen. Nur das gute wählen, das andere bitte nicht. Es ist eine Bevormundung sondergleichen, die auch noch teuer bezahlt werden muss – denn ESG-Kriterien zu untersuchen und zu bewerten kostet viel Geld.
ESG: Offen für Missbrauch und Willkürlichkeit
Was vielleicht anfänglich nach viel gutem Willen und hehren Absichten erscheint, ist offen für Missbrauch. Es fängt im Finanzmarkt damit an, dass natürlich die erste Prospektseite keine unwichtige ist. Was der Interessent als erstes Angebot bekommt, hat eine hohe Verkaufswahrscheinlichkeit. Titel, nach denen man erst fragen muss, werden selten verkauft. Und so ähnlich ist es mit den ESG-Aktien, diese genießen nun besondere Präferenz, andere wiederum nicht. Ist das gut oder gerecht? Ich befürchte, dass es sehr oft nicht so ist. Ich musste also tief das Verkaufsprospekt des MSCI Climate Ambition Net Zero Sustainability Invest Asia-Pacific einsteigen, um das zu verstehen. Wer vergab denn die ESG-Kriterien? Ganz oft sind es die Ranking-Unternehmen wie MSCI, die wir noch in unrühmlicher Erinnerung aus der Finanzkrise von 2008/2009 haben. Sie verdienen an ESG viel Geld, der Nutzen aber bleibt zweifelhaft.
ESG: Ein Fest für die Bürokratie, nicht für Ihr Depot
Was aber bleibt Investoren, die sich wirklich stramm nach ESG-Kriterien verhalten? Es gibt da einige Beispiele, die sicher einleuchten. Sowohl Apple, Amazon als auch Rohstoffunternehmen fallen durchs Raster. Wer einen ETF der S&P500 nach den ESG-Kriterien hielt, mußte auf die erhebliche Wertsteigerung, die Apple mitbrachte, einfach verzichten – was alleine hier 2-3% auf die letzte Dekade nur bei Apple ausmachen dürfte. Seit Anfang 2022 haben Rohstoffe eine wahnsinnige Hausse, die viele Ausfälle traditioneller Aktienwerte kompensierte – auch auf diese Unternehmen von BHP bis Exxon haben ESG-konforme ETFs natürlich verzichtet. Ich vermute, dass die Performance am Ende um 10-20% schlechter sein dürfte als ohne ESG-Filter.
Sie müssen natürlich selbst wissen, ob Sie den ESG-Kriterien zustimmen oder nicht. Ich finde, dass Staaten natürlich selbst Gesetze so festlegen sollten, dass Ihre Lebensgrundlagen nachhaltig sind. Über den Umweg des Investors nur die Unternehmen zu investieren, die meiner Weltsicht entsprechen, könnte sich als sehr teuer herausstellen oder anders gesagt: Das erscheint nicht nachhaltig. Ich weiß nicht, ob Sie an der Börse die Welt verbessern wollen oder Geld verdienen. Mir scheint nur der Umweg über ESG-Kriterien als eine sehr bürokratische und teure Antwort. Wer ein Unternehmen wie bspw. Nike für nicht nachhaltig empfindet, der kann auch andere Formen der Anlage finden. Ich habe jedenfalls Steuern bezahlt und den alten Fonds verkauft. Ich habe wieder reinvestiert, jetzt in 2 Fonds mit niedriger TER und auch thesaurierend. Ich hoffe, die Fondgesellschaft kommt nicht auf dumme Ideen und verschmilzt sie mit dem nächsten ESG-Fonds….