Das Prinzip Sarah Kuttner – Gequassel 2.0

Im Freitagspflichtblatt, dem SZ Magazin, beschreibt Andreas Bernard heute “Das Prinzip / Sarah Kuttner” und zerlegt die “Trittbrettfahrerin” hinsichtlich ihres “Mängelexemplars”. Gemeint ist die neueste Ambition der Dame zur Popliterarin zu werden, nachdem die Kolumnen “Das oblatendünne Eis des halben Zweidrittelwissens” und “Die anstrengende Daueranwesenheit der Gegenwart” zwar schöne Titel, aber wenig bewegende Inhalte verbreiteten, dafür aber aber in Buchform gestanztes Dauergequassel. Das neue Werk soll einerseits Experiment und Tabubruch sein, man kann es auch als schlimmste Verharmlosung ernsthafter, psychischer Erkrankungen titulieren. Oder aber einfach nur als Konsumprodukt.

Nachdem Bernard dieses Prinzip so schön beschrieb, drängt es mich das Prinzip zu ergänzen. Psychologisch mag ich bei der Heldin von Kuttners Roman keine schwere Depression diagnostizieren, mögen auch die Lebensumstände (Kündigung, Vereinsamung, Therapie) starke Indizien sein. Verstimmung und Niedergeschlagenheit, vielleicht. Denn was nützt die Depression, so Bernard, wenn die benutzte Sprache vom Gegenteil spricht. Wer über Depression lernen will, der will ja nicht gleich depressiv fühlen, mag man entgegnen. Bei Kuttner ist weder ironisch-flapsiger Ton noch stimmt die Leichtigkeit der Beschreibung den Leser auf die Wehen einer Depression ein. Ob Hesses Steppenwolf, Bölls trauriger Clown, solch Schwermut läßt TV-Unterhalterin Kuttner gar nicht aufkommen. Damit führt Sie uns zu den Prinzipien Ihres TV-Dasein und zum Prinzip Sarah Kuttner, daß nahezu alles verkuttnern kann und im Dauergequassel und Regenbogenlächeln überstrahlt.

Spürt man der Verbindung von Inhalt und Sprache hinterher, dann zeugt es von chronischer Persönlichkeitsspaltung eines Charakters, der in kleinen Formaten (Kleinanzeigen) einfühlsam kleinen Schicksalen nachspürt, aber auf pubertären Schwatzformaten (Kuttner Show) die große Ironie des Showbizz pflegt. Ein Reifeprozess? Ein Wunderwerk der TV-Evolution? Nun, eher die Einsicht daß das zweite Prinzip nur begrenzt funktioniert: Die latent unauthentisch Authentizität einer jungen Frau, die immer distanziert und trotz Dauerverbalattacke nichts von sich selber preisgeben mag, weil sie ahnt, daß wenig mehr als das zu zeigen ist, was schon gezeigt ist. Kuttner ohne Bühne stellt man sich als Heißdüse ohne Ventil vor, als Dauerverbalattacke der Mediengesellschaft. Woher kommt die Energie dazu, vielleicht aus der Familie? Papa Kuttner, fast schon Urgestein und Kulturikone, war als Radiomoderator vermutlich lange Jahre Vorbild und Messlatte. Und Dauerquasseln ohne Punkt und Komma, da ist auch der Papa ganz stark (Netzzeitung). Sarah hat ihn ohne Zweifel längt überholt, wenn es um die Reichweite geht. Sarah gibt immer Gas. Andauernd. Wo andere den Burnout erleben, schöpft Sie erstmal Reserven aus.

Dabei ist die “Sarah” ohne Zweifel klug, versteht eine Menge der Spielregeln ihres Geschäftes als altersgleiche Moderatorinnen ohne jedes Publikum und lernt, daß es manchmal wohl schlicht mit dem begrenzten Einfluss der eigenen, jungen Zielgruppe in einer alternden Gesellschaft zu tun, wenn man nicht mehr Zuschauer erreicht. Sarah lernt schnell und sattelte um, auf Formate, die auch den reiferen Zuschauern zusagen könnten. Leider blieb “Kleinanzeigen” ein fad gestaltetes Sendungskonzept mit wenig Aufregung. Der Zuschauer merkt aber auch, es gibt viele noch schlechtere Alternativen (wie lange ertragen wir noch Heidi Klum?) und wohl auch einige Zuschauern, die dem schnellen Quasseltakt der Kuttner kaum folgen können. Kuttner moderiert nicht für Doofe, das war schon auf Viva so. Kuttner bringt mit Ihrem Buch und Ihrer Person die Kost, die auch WDR-Redakteurinen gut dem Programmdirektor verkaufen können: Kann alles, ist jung und frech, aber nicht zu frech. Sarah, das ist die Tochter, die sich eine verbeamtete Intendantin wünscht: Klug, moderat, quasselig und nicht zu hübsch und zudem brünett. Ein bisschen Links zudem, auf dem John-Lennon-Gymansium sind nur Kinder des Friedens zuhause. Für diese Entscheider keine Frage, hinter all dem jungen Mediengedöns steht gute Erziehung und ordentliche Manieren. Charlotte Roche war stets schmutziger, gar nicht so “hübsch”, ein glaubwürdiger Freiheitskämpfer der Jugend, die den Langweilern Ihre verschwitzen Achselhaare in die Fresse gab. Sarah Kuttner kämpft im Grunde für nichts, außer die Karriere. Tabubruch? Für wen? Haben die Depressiven nach Ihrer Hilfe gerufen? Hat sie glaubwürdig eine Depression, oder aber eine übertherapierte Stimmungsschwankung verarbeitet? Dazu hat nur Kuttner eine Antwort. Bernard nennt sie die ewige Epigonin. Und als solche interessiert sie sich einfach auch gerne für sich selbst. Und die Karriere. Und hat Spaß dabei. Quasseln kann ja so schön sein.

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