Deutscher Wald

“Das Liebenswerteste an Deutschland ist aus meiner Sicht der Wald. Die Deutschen sind ausgesprochene Waldmenschen. Alle ihre wichtigsten Geschichten, Legenden, Märchen, Sagen, ob “Hermannsschlacht” oder “Hänsel und Gretel” finden im Wald statt. Der Wald wurde hier immer als die eigentliche Heimat empfunden, als ein Ort, an dem die deutsche Seele zu Hause ist. In deutschen Legenden wird in den Wäldern gegen Räuber und fremde Soldaten gekämpft, Ritter verlaufen sich zwischen den Bäumen, und tapfere kleine Kinder werden von ihren Eltern schnöde im Wald ausgesetzt. Eines der beliebtesten Lieder der Deutschen ist “Mein Freund der Baum”. Und überhaupt mögen die Deutschen jede Art von Holz. Die deutsche Architektur, Wohnungseinrichtungen, Kneipen – alles strotzt vor Holz. Der asketische Pragmatismus verbindet sich hier eher mit “Gemütlichkeit”, indem er viele nützliche und unnütze Dinge auf einem kleinen Raum verteilt, immer in Griffweite, dazu möglichst viele kleine Vorratskammern, die einem die Möglichkeit geben, viel Proviant für später zu verschachteln. Wer schon einmal eine Eichhörnchen-Baumhöhle von innen gesehen hat (…), wird diese Lebenseinstellung darin sofort wieder erkennen.”

So gut beobachtet hat dies ein Russe in der deutschen Ausgabe der Elle (März 2010), Vladimir Kaminer, der sich in Berlin eingerichtet hat und unsere Kulturlandschaft nicht nur mit offenem Herzen und sehendem Auge bereichert hat, sondern auch mit seinem außergewöhnlichen Humor. Deutschland, so der Naturhistoriker, war tatsächlich fast eine einzige, große zusammenhängende Waldlandschaft. Der deutsche Urwald ist fast völlig verschwunden, nur im südlichen Polen, im Naturpark Bayrischer Wald oder der Eifel kann man noch Reste dieses intensiven Bewuchses sehen und erahnen, wie Deutschland noch im 18ten Jahrhundert, vor der großen Industrialisierung, ausgesehen haben muss. Die Neigung zum Proviant, wie Kaminer sie beschrieb, hat allerdings auch einfach viel mit den großen Hungerperioden zu tun (preußischer Winter, beide Weltkriege, etc.). Im Grunde, mit wenigen Ausnahmen wie den Heide- und Moorlandschaften, kennt Deutschland ja fast nur fruchtbare Böden und kann sich gesegnet fühlen.

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