Habermas und die Staatsfrömmigkeit

Jürgen Habermas ist vielleicht das typische Beispiel für den Propheten, der im eigenen Land wenig gilt, anderswo jedoch nahezu vergöttert wird. Das gilt für Ihn, den großen kritischen Theoretiker, der so praktisch nutzbar ist, in besonderem Maße. Was bewegt ihn nun, der Moderne kritisch gegenüber zu stehen und ein Wort für die Religion zu finden? Ist es das eigene, hohe Alter? Oder ist es nach langjährigem Grübeln das finale Eingeständnis des Philosophen, daß sinnstiftende Elemente der Religion für den Menschen als ganzes unverzichtbar sind, ob nun im monotheistischen Sinne eines bspw. christlichen oder muslimischen Gottes oder des buddhistischen Ansatzes, der Erlösung des Menschens und dem Auspüren des seelischen Friedens durch Überwindung des eigenen Selbst.
Seine These: Der Verfassungsstaat soll zwar weiterhin religiös neutral bleiben; er soll sich aber nicht von möglichen Sinnpotenzialen der Religion abschneiden, sondern auch den religiös begründeten Argumentationen im demokratischen Prozess zuhören und dabei vielleicht etwas lernen. Diese Sicht scheint realistisch, denn ein demokratischer Prozess ist in der heutigen Welt weder zwischen Staaten noch innerhalb von Staaten möglich, wenn von vornherein diejenigen nicht beteiligt, deren Argumente religiös begründet sind, also nicht säkularisiert erscheinen. Dies erscheint möglich, denn nicht alle religiösen Hintergründe sind perse zu verdammen, sie sind nicht immer eine von Gott befohlene, sondern oft lang entwickelte Moralphilosophie, die durchaus nützlich erscheint, auch heute noch. So erscheint das Gebot, daß man nicht töten soll, auch heute vernünftig, ist dabei doch auch religiös.

Doch dies ist trügerisch, denn die Anwendung dieser Theorie nicht ganzheitlich umsetzbar, denn unvermeidlich kommt man an die fundamentalen Wesensunterschiede, denn ob nun Christenheit oder Islam, am Ende gibt es nur den einen Gott und der sagt, wo es langgeht. Deshalb ist es nur vernünftig daß zu tun, was im Grunde nötig ist: Diese Debatte gar nicht zu führen, sondern den Sieg weiter zu genießen, daß die religiöse Stimme in unserer aufgeklärten Welt eben als Stimme gar nicht verboten ist, sondern eben nur eine Stimme von vielen ist. Das ist ja gerade der Erfolg der Aufklärung, daß religiöse zu tolerieren, aber sich nicht religiöse, fundamentale Überzeugungen in sein Wesen einzuverleiben.

Wenn der Mensch mit sich zu kämpfen beginnt, erwirbt er sich Verdienst, so Browning. Hier kämpft Habermas vielleicht einen Kampf, den er längst gewonnen hat. Nur mit sich selbst vielleicht noch nicht.

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