buzZas Kochstudio No. 88. Fricassé de Poulet de Bresse aux Morilles Mère Brazier (Paul Bocuse)

Frankreich liegt in der Luft. Leider waren es die Attentate von Paris, die jüngst unsere Augen wieder auf dieses schöne Land richten liessen. Dabei verbinde ich statt Terror so viele glückliche Momente mit diesem Land, nicht Trauer, dass es besonders schmerzt nun dieses Unglück mitzuerleben. Frankreichs ist doch nicht Tod, Frankreich ist Leben!

Seit meinem Schüleraustausch in der nördlichen Industriestadt Lille habe ich eine enge emotionale Verbindung mit diesem Land, insbesondere natürlich mit der Kultur des Speisens und des Kochens, bei dem kein anderes Land Europas Frankreich auch nur nahe zu kommen scheint. Meine Gasteltern führten mich nicht nur in Meeresfrüchte ein, es war für mich damals von A bis Z Essen von einem anderen Stern. Kein Land hat eine reichere Geschichte und niemand hat die Küchen der Welt mehr beeinflusst als die Franzosen. Die Italiener sind vielleicht gut dabei, global beliebter mit Pizza und Pasta zu werden, aber unser Verständnis von gehobener Küche, der Erfindung des Restaurants, vom neuen Bild des Kochberufes, von der Art des Kochens überhaupt, das ist alles maßgeblich französisch (wie es bspw. in dem tollen Buch “Die Erfinder des guten Geschmacks – Die Kulturgeschichte des Kochens” von Jörg Zipprick reichhaltig erzählt wird).

Einer dieser besonderen Glücksmomente in Frankreich ist knapp 2 Jahre her. Da habe ich auf dem Weg nach Südfrankreich einen Zwischenstopp bei dem kleinen Dörfchen Collonges au Mont D’Or eingelegt. Nicht zufällig und nicht ungeplant, aber dennoch spontan habe ich im Heiligtum französischer Kochkunst angeklopft und zu meinem Glück einen Tisch für mich allein bekommen. Eine zufällige Absage eines anderen Gastes war mein Triumph! Wo jetzt genau? Na, in der Nähe von Lyon, bei dem Großmeister aller Großmeister, dem Koch der Köche, niemand trägt die Haube höher, niemand trägt sie stolzer, vielleicht niemand verdienter – Paul Bocuse! 3 Sterne Koch seit 60 Jahren (!), Zauberer, Empressario, Exporteur, Mitglied der Academie Francaise oder auch nur liebevoll Monsieur Paul genannt. Auch heute noch sind die Reservierungslisten lang, ein großes Glück im vollbesetzten Restaurant an diesem Abend einen Platz zu ergattern. Ich werde mal bei einer anderen Gelegenheit diesen enorm eindrucksvollen Aufenthalt detaillierter beschreiben. Das für mich aber wichtigste war das Gefühl, dass ich damals hatte. Ich war so glücklich, ich habe danach wirklich eine Träne der Glückseligkeit vergossen. Sowas ist wegen dieses rein kulinarischen Anlasses sicher kurios, aber es war auch Lohn der Spontanität und längerer Anreise; die große Anstrengung dorthin zu kommen, hatte sich gelohnt. Das Essen war so anders und so viel leckerer, als ich es erwartet hätte – es waren allesamt nahrhafte Leib- und Seelenstreichler.

Das Geheimnis dieser Küche ist einem eigentlich schnell klar, wenn man es einmal probiert hat: Es sind nicht irgendwelche Zutaten, es sind die besten und frischesten Produkte der Welt, die diese Küche möglich machen. Diese Zutaten werden gekonnt und auf den Punkt verarbeitet, alles andere in der Küche erscheint wie unnützer Chchi und fast nichts so wichtig wie die Ausgangsprodukte. Ich habe damals bei ihm das Menü Grand Tradition bestellt. Neben Foie Gras und Trüffelsuppe stach dieser Gang heraus, den ich heute kochen wollte: Poulet de Bresse aux Morilles de la Mme Brazier. Diese Dame, Mère Brazier, war eine der großen Köchinnen aus der Rhône-Gegend, bei der Bocuse sein Handwerk lernte, die aber nur Experten ein vertrauter Name war. Die Mütter, also die Mères, nicht die männlichen Köche, hatten in der Küche um Lyon eine viel größere Bedeutung als im Rest Frankreichs. Auch Mère Brazier kochte schon mit 3 Sternen schon in der Nachkriegszeit- bis heute ist es selten, dass Frauen in dieser Männerdomäne so erfolgreich waren und sind. Das Gericht ist ein regionaler evolutionierter Klassiker, alle Zutaten fand man dort, auch die heute so kostbaren Morcheln. Also so eine Art nobler Hausfrauen-Klassiker; was können die Damen schon dafür, dass in Ihrer Gegend so tolle Produkte heimisch sind, die man anderswo als teure Exportdelikatesse beziehen muss.

Exakt so wie Monsieur Paul das Gericht nach Mme Brezier kochte, ist es leider schwierig selbst herzustellen. Denn das Huhn wird nicht in einer Cocotte oder schweren Topf in einem Sud aus Bouillon, Estragon, Noilly Prat und Weißwein gegart, sondern in einer, ja, echten Schweinsblase. ? Was auch sonst mit der Blase tun als sie als kulinarisches Werkzeug einzusetzen, muss sich jeder Koch denken, wenn er Schweinsblase hört. Essbar ist sie zwar theoretisch auch, aber nicht wirklich lecker. Sieht ulkig bis ekelig aus beim Servieren, ist aber auch ein toller Effekt, der für grosses Kino steht. Die Blase sorgt im Ofen für eine optimale Verteilung der Feuchtigkeit und das Fleisch gart darin extrem zart und saftig aus, etwas ähnlich dem Effekt von Pergamentpapier. Für den Hausgebrauch ist dieser Aufwand allerdings nicht nötig, das Ergebnis ist bei genauer Beachtung der Garzeiten fast genauso gut. Nur das Oho beim Servieren fehlt. Erstmal muss man allerdings mit den gleichen Voraussetzungen, also den richtigen Zutaten starten. Es nützt nichts, wir brauchen das französische Nationaltier, ein echter Hahn aus der Bresse! Ein deutsches Masthähnchen kommt da einfach nicht nah dran, weder von der Textur noch vom intensiven, feinen Geschmack. Eine Spezialität, leider, Sie ahnen es, nicht günstig. Die Tiere gibt es zudem auch nicht überall zu kaufen; ich war extra deswegen bei Gustav Brock in der Sankt Apernstrasse in Köln (Nachtrag 2018: Leider hat diese Adresse die Tore endgültig geschlossen, ein Debakel). Dort kann man die Tiere jede Woche frisch bekommen. Aktueller Preis ca. 2,80 € pro 100 g. Das ist bei 2 kg Gewicht pro Tier schon ganz schön viel Geld: 56,- €. Dafür bekommt man aber ein unheimlich tolles Produkt, ein ausgewachsenes mehr als 4 Monate altes Tier, Mischfutter basiert aufgezogen, am Ende mit Milch im Stall schlachtfertig gemästet. Die Tiere laufen selbstredend frei herum und haben enorm viel Platz. Stolzieren gehört natürlich zum Aufzugsprogramm dazu! Alles in der schönen Bresse Region, denn nur da kommen diese Tiere her. Es gibt sie auch nur als Ganzes, deswegen ist die Schlachtung ein Stückchen Kunst für sich. Sowas leistet man sich selten, aber selten heißt auch nicht niemals. Ein Fest beginnt eben auch mit einem Opfer, dass man bringen muss.

Gustav Brock Geflügel und Wild

Warum sie Nationaltiere sind würde mir klar, als ich das Tier vor mir hatte. Diese Hühner tragen tatsächlich die Nationalfarben in sich: die Trikkolore! Der Kamm ist rot, das Gefieder weiß wie Schnee und die Füsse sind tatsächlich blau! Schauen Sie sich mal an, wie wunderbar fest die Haut ist, wie stark ausgeprägt und lang die Keulen sind, wie toll der ganze Körperbau. Dieses Tier ist zu recht ein stolzes Wappentier, einfach beneidenswert schön. Warum haben wir Deutschen stattdessen den Steinadler? Essen tun wir ihn jedenfalls sicher nicht, wir wollen da in unserer Nation offenbar weniger küchenpraktisch denken.

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Poulet de Bresse

Das Rezept ist rechtlich “geschützt” – angeblich. Ich verrate es aber, denn Rezepte lassen sich nirgendwo schützen. Die genauen Mengen werden dem Gefühl und Geschmack des Kochs überlassen. Ich verweise hier mal auf das Verzeichnis Originalrezept der Academie du Gout und gebe es mal in meinen Worten “ungefähr” wieder. Es ist so oder so technisch nicht schwer, es kommt eher auf die Zutaten an. Essenz des Rezeptes ist: Sie bereiten das Geflügel vor und geben den getrockneten Morcheln Ihr Leben zurück. Mindestens 30 Minuten die getrockneten Morcheln in heissem Wasser weich werden lassen. Dann Morcheln halbieren durch eintauchen in Madeira getränkter Bouillon erneut 40 Minuten stehen lassen. Das Huhn wird dann in einen Sud aus 250 ml Bouillon, 500ml Weißwein, 100 ml Noilly Prat, einem Bund frischem Estragon, mindestens 5 feingeschnittenen Escalotte und ca 100 g Champignons in Scheiben gekocht. Geben Sie das Huhn nur 12 (Brustfleisch) bzw. 23 Minuten (Flügel, Keulen) ins das kochende Wasser. Dann Estragon entfernen, letzte Teile Huhn rausnehmen und den Sud mit Pilzen und Zwiebelm lange intensiv einkochen (auf max 0,5 l).

2 EL Butter mit Mehl zurühren zum verdicken und danach 500 g Creme Fraiche hinein. 5 Min mit dem Sud verrühren. Huhn einlegen,weiter umrühren und aufwärmen und zum Schluss die Morcheln hinzu. Stehen lassen bis sie riechbar ihr Umami abgeben- danach alles mit schlichtem Reis (Butterreis) servieren, ein paar frische Estragonschnipsel – kööööööööstlich!

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Ich konnte das Rezept in Pauls Rezeptbuch (für lächerliche 10 € steht da auf Hunderten Seiten einfach alles drin, was Frankreich und Nouvelle Cuisine Kulinarisch ausmacht) finden oder in Alan Ducaisse neuer Reihe “Best of – Paul Bocuse” – da ist dieses Rezept wunderbar bebildert und alltagstauglich angepasst nach den Vorgaben von Christoph Muller – dem Koch, der jetzt das Werk von Paul Bocuse in Collonges bewahrt und wohl nur wenig modernisiert in die Zukunft führen wird. Auch das ist schon ein großer Verdienst! Ich beende dieses Rezept wie Monsieur Paul stets in seinen Fernsehauftritte und rufe:

Bon Appetit!

3 Comments

  1. Jochen Schwanekamp says:

    Ich habe letzte Woche drei meiner eigenen Hühner geschlachtet. Ein einschneidendes Erlebnis. Die Angst der Tiere wenn sie gepackt und auf den Holzpflock gelegt werden. Ein Huhn hat mich noch vollgeschissen. Dann das Huhn zur Seite drehen auf dem Pflock. Das Huhn versucht alles um loszukommen. Ich denke verdammt die wollen mit aller Kraft leben. Sie wollen leben. Dann das Beil hoch und fest zuschlagen. Das ist wichtig fest und natürlich gut zielen. Zack. Der Kopf ist ab und liegt jetzt neben dem übrigen Körper. Der Schnabel öffnet und schliesst sich noch. Das kopflose Huhn in meiner Hand flattert wie verrückt. Ich halte es ins Gras zum ausbluten. Nach ca. 30 Sekunden flattert das Huhn nicht mehr. Es bewegt sich nur noch ab und zu. Nach einer Minute ist Ruhe. In der Luft liegt ein Geruch nach Eisen, nach Blut. Jetzt nehme ich das tote Huhn und stippe es drei viermal in einen Eimer mit sehr heißem Wasser. Dann fange ich an zu rupfen. Die langen Flügelfedern und die kurzen Deckhaare bis alles ab ist. Dann den Bunsenbrenner anschmeißen und die feinen Hährchen abflammen. Ich lege das enthaarte Huhn rücklings auf eine saubere Unterlage und schneide die Haut über den After vertikal ca. 5 cm auf. Jetzt kann ich in den Hühnerkörper greifen und die noch warmen Eingeweide vom Peritoneum lösen. Ich entferne Darm, Galle, Magen, Herz, Eileiter Ich hole zwei große Eigelb und viele viele immer kleiner werdende Eigelb heraus. Alles schon angelegt und in Warteschlange. Dann noch einen Schnitt am Hals um den Kropf und die Speiseröhre zu entfernen. Im Kropf noch Gras. Jetzt spüle ich das Huhn mit kaltem Wasser aus. Ab in einen Gefrierbeutel. Dann in die Truhe und fertig ist das Suppenhuhn!

  2. Lieber Jochen, danke für die starke Impression Deiner Hinrichtungen!

    Im Ernst, Schlachten ist nun mal für jeden, der ein Nutztier am Ende seines Lebens, wenn es kein Ei mehr legt, kein Korn mehr pickt und kein Unkraut oder Wurm vertilgt, der Lauf der Dinge. Und
    dann haben wir schöne Federkiele, Federn und natürlich ein Huhn zum braten oder für die Suppe.
    Unsere moderne Welt hat sich aber von diesem Kreislauf der sinnvollen Verwendung eines Haustieres vollkommen entfremdet – heute ist der Kreislauf für den modernen Konsumenten nicht mehr erkennbar, also sind KZ-Hühner das Ergebnis.

    Schlachten war übrigens seit jeher ein schwerer Beruf. Die Erfindung des Berufes des Metzgers beruht auf einer Erfindung in Europa um ca. 500-800 nach Christus. Damals war es schon schwer, die ersten Zuchttiere zu opfern, wenn dies nicht für religiöse Feiern geschah. Auch das Christentum wußte nicht, wie es die Tötung von Tieren in Einklang bringen sollte mit der Religion: Du sollst nicht töten. Warum davon dass Tier ausnehmen?

    Also erfanden die christen den Metzger: Ein Mensch, der für Geld die Aufgabe eines Henkers übernahm. Der diesen Beruf ausfüllte und dafür Lohn bekam. Durchaus vorstellbar ist, dass es sich um besonders nüchterne Charaktere handelte – solche, die in Kriegszeiten aber zu harten Kriegern würden. In Friedenszeiten nahmen Sie den Menschen den Ablass und töteten sie dass Tier für Sie in Ihrem Auftrage, um selbst nicht unrein zu werden.

    Das Töten des Haushuhns haben von dieser Zeit an nur noch die Menschen durchgeführt, die kein Geld hatten dafür einen Metzger zu rufen. Gerade in ärmlichen Regionen wie dem Münsterland, in denen immer wieder Hunger herrschte, waren Metzger kaum zu bezahlen und wenn, dann sollten Sie nur helfen Rind und Schwein zu zerlegen, was eine harte Arbeit war – das Schwein war einigermaßen zu zerlegen, ein Rind zu zerlegen war abseits von besonderem Brauchtum Schwerstarbeit.

    Die Industrialisierung hat dass auf die Spitze getrieben: Durch Arbeitsteilung, Automatisierung und Maschinen wurde die Schlachterei in Millisekundenbereich hin optimiert. Alles um das Töten billiger zu machen, die Entfremdung vom Tier zu beschleunigen. Es bestehen aus meiner Sicht viele Anlässe um zu befürchten, dass diese Entfremdung soweit gegangen ist, dass das Gleichgewicht in der Natur so aus dem Lot ist, dass es nicht nur die Tiere übel misshandelt, sondern letztlich droht der Mensch Gefahr sich selbst zu verlieren.

    Hierüber habe ich hier schon einmal geschrieben: http://www.markus-bussmann.com/2015/09/chicken-uber-eine-bemitleidenswerte-kreatur.html

    Es ist übrigens ein Ergebnis moderner Zucht, ob ein Huhn heute zum braten taugt oder in die Suppe – nicht, weil dass Huhn eigentlich anders wäre, nein, das weibliche Huhn darf einfach länger leben. Und wir haben die Verfahren vergessen, wie man auch alte, freilebende Suppenhühner so kocht, dass sie zart bleiben. Dazu kann man die gleichen enzymatischen Prozesse verwenden, wie auch bei der Reifung von altem Rindfleisch benutzt werden. Und siehe da, auch eierlegende Hühner kann man braten wie ein Brathähnchen – man muss nur wissen wie und dass erzählt sie, Julia Childs, in diesem Video:

    http://www.markus-bussmann.com/2015/10/nachtrag-polemik-no-2-julia-child-how-to-roast-a-chicken.html

    Alte Hühner sind eben keine Hühner mehr, es sind Kapaune. Und sie sind eigentlich für einen Feinschmecker das beste vom besten – merke: Leckere Tiere müssen lange leben, denn nur Reifheit sorgt für interessante Aromen. Lediglich Kinder bevorzugen junge Tiere, weil sie einfach geschmacksneutraler sind und somit nicht so stark für Irritationen sorgen. Dieses Momentum nutzt die Industrie weidlich aus, indem sie die neutralen Lebensmitteln mit industriellen Produkten verfeinert und die Geschmacksnerven auf Industrieprodukte hin trainiert (bspw. Curry Gewürzketchup von HELA, Knorr, Maggi, Krafft & Co) – ergo passiert dass furchtbarste was man sich vorstellen kann: Das Kind weiß nicht mehr, was passiert und denkt, ein leckeres, gutes Huhn muss schmecken wie ein Industriehuhn. Verfeinert mit Aromen und Sensorikmüll, augepumpt mit zuviel Zucker und Salz, Glutamaten, etc.

    So kriegen wir unsere Kinder am Ende dahin, die Natur nicht mehr zu verstehen und den Planeten weiter aus dem Gleichgewicht zu kriegen. Mahlzeit!

  3. BuZzman! says:

    Übrigens: Wie man Hühner schmerzfrei und ohne Stress tötet steht in Magnus Nilssons Buch Fäviken ausführlich beschrieben – auf keinen Fall so, wie Du es unternommen hast!

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