Die Geschichte vom armen reichen Manne

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Ein Freund machte mich auf den Essay von Adolf Loos “Vom armen reichen Manne” aufmerksam. Sagen wir mal eher, es ist eine bitterböse Architekturkritik in Erzählform, äußerst anschaulich und für jeden verständlich. Loos selbst sagte mir, typisch Ökonom, vorher allzu wenig. Er gilt aber als einer der Wegbereiter der Moderne, ohne ihn sind die Entwürfe von Mies von der Rohe oder Gropius eigentlich undenkbar. Seine Entwürfe sind aber nicht unbedingt Teil des kollektiven Architekturgedächtnisses, ich mußte mich also nicht schämen, ihn nicht zu kennen.

Der Originalabdruck der Geschichte:
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Download aus der Princeton University Library, die Geschichte selbst befindet sich auf Seite 4.
Link: http://tinyurl.com/oen7756

Veröffentlicht im März 1910 in der progressiven Wochenschrift “Der Sturm”, beschreibt Loos in seiner Geschichte anschaulich das Ergebnis, wenn ein Mensch sich die Gestaltung seiner Lebensräume aus der Hand nehmen lässt. Der Mensch denkt er sei klug, diese Aufgabe zu delegieren, sich also zu erleichtern und die Qualität der Gestaltung professionell zu verbessern. Doch er betrügt sich damit selbst, wenn er statt Unterstützung den Architekten als Gestalter seines privaten Glückes begreifen will. Diese kann niemand aus der Hand legen, die eigenen Wohnräume müssen vor allem erstmal der Funktion des Bewohners dienen.

Der arme reiche Mann lebte in der Geschichte fortan in der geistigen Vision eines Architekten, der quasi totalitär für jeden Nippes einen Platz bereits gestaltet hatte, den er für notwendig und würdig erachtete. Der Mensch selbst findet jedoch seinen Platz darin nicht, wenn er den Kokoon bewohnt, den ein anderer sich ausgedacht hat. Das Leben findet keinen praktischen Sinn mehr, wenn er die Gestaltung nicht in seiner Hand belässt und sich gerade die intimen privaten Lebensräume dienlich macht. Das ist der Unterschied, die Ästhetik genügt sich nicht selbst, der Wohnraum hat dem Menschen zu dienen. Er muss ihn gestalten, damit er sein Leben erleichtert. Glücklich machen kann nicht die Ästhetik, sondern der praktisch schöne Nutzen des Wohnens. Wobei Glück aus Sicht von Loos eine überzogene Erwartungshaltung darstellt, Glück liegt nicht in der Sache, sie liegt im Menschen.

Analog könnten wir die Kritik von Loos auf heute übertragen: Ein Schrecken ist auch, wenn er moderne Mensch ohne viel Geld sich die Gestaltung von Magazinen und Wohnzeitschriften vorschreiben lässt. Wenn Interieur Designer und Stylisten glauben, sie könnten das Leben Ihrer Kunden verbessern. Deren ästhetisches Ideal besteht vor allem darin, in kurzer Zeit wieder zerstört zu werden und sich im nächsten Trend selbst auszutauschen. Ziel ist die Absatzsteigerung, nicht das Glück des Wohnenden. Und wo sie anfänglich gerne sagen, sie seien dem Auftraggeber dienlich, folgt nach kurzer Zeit die Enttäuschung. Der Mensch ist selten in der Lage, einen Spezialisten zu führen und seine Wünsche klar zu artikulieren. Wenn er das aber nicht kann, so kann es zu keinem guten Entwurf kommen, würde ich ergänzen.

Loos wird eindringlich in Appellform, dass die Kunst seine Grenzen hat und diese Begrenzung zu allererst in der Architektur selbst zu erfolgen hat. Die Baukunst ist aus seiner Sicht eine primär technisch-handwerkliche Disziplin, Architektur schafft Wohnraum, weshalb das Künstlerische nicht seine primäre Natur sein kann. Loos verurteilte jede Art von ornamentaler Architektur, seine Gebäude sind somit von eher euklidischer Strenge, reduziert ohne jede Verzierung und Ornamentik.

Plakativ erlebte ich die Kurzgeschichte von Loos an eigener Haut, als mir ein Architekt einen Wohngebäude-Entwurf realisierte, an dem er nachher an seiner praktischen Umsetzung zu mäkeln begann, die ich ihm mehr und mehr aus den Händen nahm. Ihm gefiele nicht die Typographie der Eingangsschilder, die Balkone seien unnatürlich verkleidet durch den Sichtschutz, er habe offenes Wohnen realisieren wollen; der Wunsch die offenen Küchen wieder zu verschließen müsse man den Mietern verbieten, das würde die Qualität des Entwurfs reduzieren. Prompt fand sich der Bau auch aus seiner Referenzliste gestrichen. Das war sein ästhetischer Wunsch und die Erfüllung seiner Vision, der das natürliche Bedürfnis von Initimität verurteilte als bürgerliche Kalamität. Ein guter Architekt, der eine Diva ist, verrät also seinen Beruf. Er solle sich dann besser als Künstler verdingen, dort ist er frei und seine skulpturalen Entwürfe müssen nicht bewohnt werden und sind niemanden dienlich. Dass das dienlich sein immer eine Beleidigung ist, ist natürlich Humbug. Im Kapitalismus ist Dienlichkeit des beste Grund, ordentlich bezahlt zu werden.

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Entwurf Loos der Villa Müller, Prag. Erschreckend, wie wenig die klassische Moderne heute in Neubauten dieses Stiles an Neuerungen erfahren hat, sie wird, wenn auch mit neueren Baumaterialien (vor allem Fenster) quasi 1:1 umgesetzt, wie seine Erfinder sie vorgesehen hatten. Aus meiner Sicht nicht nur eine langweilige Wiederholung, sondern überhaupt kein Fortschritt mehr. Noch ärgerlicher, dass diesen Entwürfen euklidischer Schärfe heute die Bezeichnung “Bauhaus” entgegen schlägt – dieser war nur wahrlich eine Fortentwicklung und verlor seine Strenge schon durch seine bunte Farbenwelt im Inneren (siehe restaurierte Meisterhäuser in Dessau).bmtnabg_1910-03-03_01

Besonders war eigentlich für mich die Interieurs dieser Zeit. Der Muff des Biedermeiers ist weg, üppige Dekorationen werden reduziert und dennoch bringen schöne Teppiche ihre volle Wirkung zur Entfaltung.

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Geradezu urgemütlich ist der Entwurf der American Bar von 1910 – ich würde meinen Gin Tonic dort mit Liebe trinken, muß dazu allerdings erst nach Wien reisen. Für damalige Zeiten ein revolutionär sparsamer Entwurf, der den Barock und die Opulenz des alten Wiens verneinte und durch das moderne Amerika ersetzte.

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Kurzbiographie Adolf Loos:

Adolf Loos ist einer der wichtigsten Wegbereiter der Moderne in Architektur und Design mit ihrer entsprechenden Programmatik von „form follows function“. Durch eine Reise 1893 in die USA entdeckt Loos seine Vorliebe für die moderne Architektur, die sich in krassem Gegensatz zur damaligen kaiserlichen Architektur in Wien verhält. Bekannt wird er dann 1898 durch seine Artikelserie für die Neue Freie Presse in Wien, in der er später auch seinen Artikel Ornament und Verbrechen (1908) veröffentlicht. Er wird zum Architektur-Revolutionär und beginnt zuerst mit Inneneinrichtungen des Cafe Museum (1899) und der American Bar (1908), die für großes Aufsehen sorgen. Sein bis heute bekanntestes Werk, das Looshaus, errichtete er 1910 für die Bekleidungsfirma Goldman & Salatsch in Wien. Man sagt der Kaiser habe alle Fenster seines Palastes in Richtung des Looshauses zunageln lassen, um dieses „scheußliche“ Haus nicht sehen zu müssen. Nach der Auflösung der Monarchie Österreich-Ungarns 1918 wird er tschechischer Staatsbürger und in den späten 20er Jahren emigriert er nach Paris und entwirft dort u.a. ein Haus für die Sängerin Josephine Baker.

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