Social Media and a common Brainfuck – Ungeübter Essay über gefährliche (unregulierte) Algorithmen

“Businesses that make money by collecting and selling detailed records of private lives were once plainly described as “surveillance companies.” Their rebranding as “social media” is the most successful deception since the Department of War became the Department of Defense.” Edward Snowden, 2018

“It was the best of times, it was the worst of times, it was the age of wisdom, it was the age of foolishness, it was the epoch of belief, it was the epoch of incredulity, it was the season of Light, it was the season of Darkness, it was the spring of hope, it was the winter of despair, we had everything before us, we had nothing before us, we were all going direct to Heaven, we were all going direct the other way – in short, the period was so far like the present period, that some of its noisiest authorities insisted on its being received, for good or for evil, in the superlative degree of comparison only.” Charles Dickens, Two Cities

Abstract: (will follow).

Ihre Jungfräulichkeit haben die sozialen Medien nach dem Skandal um Cambridge Analytica und politische Manipulationen während Wahlkämpfen in Demokratien verloren. Man muß kein sonderlich guter Beobachter sein, um einige gesellschaftliche Trends in Digitalisierung und Politik zu erkennen, die einen einzigen, großen Zusammenhang zu beschreiben scheinen. Die sozialen Medien sind ein besonderer Beschleuniger von einigen Entwicklungen, die uns durch die intensive Nutzung des Internet so oder so passieren, nämlich insbesondere die Polarisierung der Gesellschaft und die Verbreitung von aller Unwahrheiten und manipulativen Nachrichten, von Propaganda bis zu absichtlich aufwühlenden Nachrichten, die emotionale Überreaktionen auch im politischen Leben sofort fordern. Da die Globalisierung und technologischer Fortschritt Hand in Hand geht, werden auch die Folgen wirtschaftlicher Ungleichheiten geradezu katalytisch benutzt, um politische Prozesse in populistische Schlammschlachten zu verwandeln. Es erinnert an die Erfindung des Radios, die den Nazis eine willkommene Propagandamaschine war und doch anfänglich eine unschuldige, unbeschriebene Technologie, die selbst keinerlei Werte kommuniziert. Der Begriff “Fake News” oder “Alternative Fakten” sind die konzentrierten Attribute für eine Gesellschaft, in der Skeptizismus und Kritikfähigkeit dazu geführt hat, dass die Wissenschaft Ihre Autorität eingebüßt hat. Im populären Kanon sind Wissenschaftsskeptiker von Impfgegnern über Klimaskeptiker bis hin zu Naturträumern oder Anwälten der Homöopathie auf dem Vormarsch. Es ist teilweise nicht einmal mehr möglich, sich auf die Basis von Diskussionen zu einigen. Selbst die Fakten werden bestritten oder in einem anderen Zusammenhang vollkommen umgedeutet, dass es George Orwell eine Freude wäre. Die Fronten sind verhärtet in einer zusätzlich medial aufgeladenen Polarisierung, bei denen die einen “Political Correctness” zur moralischen Untermauerung totalitärer Positionen benutzen, während die andere Seite von amoralischen Glaubenskämpfern bevölkert wird, bei denen man mit Gottes Wort die schlimmsten Verbrechen rechtfertigbar werden. Politisch zeigen die Wahlergebnisse überall einen Vormarsch von populistischen Vertretern, der gerade den saturierten 68ern und Babyboomern die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Sie hielten die Demagogen für überwunden, Ihre Methoden für entlarvt und sind erschrocken, das autoritäre wie populistische Figuren, ob Xi, Erdogan, Putin oder Trump nun den Lauf der Welt steuern.

Die Folgen der Globalisierung zeigt nun mehr und mehr auf, welche Verwerfungen und Spannungen entstehen können in dieser nur bedingt auf Ausgleich regulierten Welt. Medial ist die Wahrnehmung eindeutig, einige wenige wenige werden die Sieger, viele die Verlierer sein. Die einen werden unglaublich reich, andere jedoch schwinden wie Sand in einer Eieruhr nach unten aus dem sicheren Terrain der Mittelklasse in das Prekariat. Gewinner und Verlierer in der Globalisierung, das erscheint genauso sicher und unversöhnlich eine Manifestation des Bipolaren. Es gibt nicht mehr das Große Reich der sicheren Mitte, sondern gefährliche Pole. Wer nicht effizient ist, wer schlecht funktioniert, wer nicht sich selbst optimiert, verliert? Last but not least fragen sich die politisch interessierten Beobachter drängender denn je, welchen Einfluss soziale Medien wie Google und Facebook nun auf den öffentlichen Diskurs haben. Also sind sie „Don’t be evil?“ wie das Google Motto? Aber aus welcher Perspektive ist welches Verhalten böse? Der Satz ist schlicht unbestimmt und relativ, da er keine Werte trägt. Man ist überrascht, wenn „to be good“ plötzlich mit „proud to be American“ übersetzt wird. Genauso kann das Netz aber den Stolz der Türken, den Nationalismus der Polen, die Lehre des Xi Jinping oder die Predigt von ISIS mit „Don‘t be evil“ rechtfertigen, die Zustimmung zu diesen Werten ist für die Anhänger dieser Doktrin ja gut und richtig. Lange waren die grössten Unternehmen von Facebook bis WeChat nur sozial, nun reden wir über Zensur, Überwachung und Regulierung nicht mehr in China, sondern auch im Westen. Das anarchische, unregulierte Netz der Hacker, der Bitcoiner und Nerds ist politisch gesehen ein unkultivierter Haufen, naiv und schlicht uninteressiert an den Konsequenzen der Weltgemeinschaft. Die Methoden der Überwachung sind überall gleich, die Folgen in offenen Gesellschaften aber besonders destruktiv. Fast ist es wie im 20.ten Jahrhundert, als wir die Chemie neu entdeckten: Die Technologie ist jung und neu, segensreich in jeder Hinsicht. Alchemie, bringt Gold und Segen. Die Jungen adaptieren am schnellsten spielerisch und lernen, die Alten schauen erstaunt dabei zu. Chemiebaukästen werden verschenkt, die Kinder spielen und bauen sich Knallkörper. Erst macht es nur Puff. Wir lassen sie weiter basteln und sind plötzlich erstaunt, dass auch Chemiewaffen dabei entstehen können. Ist es so überzeichnet oder sind wir naiv? Jugendliche Hacker bauen Systeme mal mit, mal ohne staatliche Überwachung. Dort, wo die Zensur herrscht, da ist das soziale Netz systemfolgsam. Dort, wo freie Rede herrscht, können alle manipulieren, verführen und vernebbeln. In Deutschland, digital verschnarrcht und überaltert, mögen wir nicht mehr prägend für diese Entwicklung und diesen Fortschritt sein, aber wir können trotzdem Opfer sein. Es verwundert, dass unser Land, dass aus den Erfahrungen der Nazivergangenheit überall Sicherungen und Wächter in die Verfassung, Rundfunk und staatliche Gewalten eingebaut hat, hier unaufgeklärt und quasi unreguliert ist. Weil man kommerziellund technologisch abgehängt ist, wirkt Regulierung wie ein weiterer Bremser, entsprechend schwierig ist es auch hier, Einfluss auf diese Enteicklung an führender Stelle zu nehmen. Das wirtschaftliche Gewicht Deutschlands schwindet so oder so, denn in kaum einer Zukunftstechnologie sind wir führend. Der Alltag in sozialen Medien bleibt erregend und ungebrochen populär, eine verführerische Droge, von der viele kaum lassen können.

Die Erzeugung von Neid und Eifersucht geht heute bei Facebook, dem mit Abstand bedeutsamsten Netzwerk (inklsive seiner Töchter WhatsApp und Instagram) hand in hand mit offenem Hass, gerne an diejenigen gerichtet, die in der alten Massengesellschaft durch das Fernsehen unerreichbar erschienen. Nun feuert ohne Unterlass der Troll seine Kommentare wie kleine Nadelstiche auf die Zielpersonen ab, gerne Vertreter des öffentlichen Gemeinwesens, an die nun immer absurdere Anforderungen gestellt werden. Wie die Arbeitswelt fordert man auch von der politischen Kaste andauernde Spitzenleistungen, als wenn die Vermittlung des gesellschaftlichen Diskurses ein betriebliches Projekt sei. Besonders niederträchtig aber ist der offene Hass auf das Fremde, auf Kriegsflüchtlinge und Armutsflüchtlinge, der vorher in dieser Form schärfste soziale Ächtung erfahren hätte, nun aber sich an den Rändern des politischen Spektrums immer offener Bahn bricht. Gibt es aber in diesem Zusammenhang mit diesen Entwicklungen sowas wie eine Theorie, die diese Phänomene in einem einzigen Gebilde erklärbar macht? Weder Popper noch Habermas konnten die Entwicklungen hervorsehen, die die neuen Medien bringen würden. Weder Adorno noch Heidegger hätten sich ausmalen können, wie trostlos und entmenschlicht die Stahlbäder der Gefühle denn wirklich aussehen, wenn Menschen sich gegenseitige Wertschätzung und Missachtung nur durch “Clicks” im Schutze der Anonymität mitteilen. Wir haben zumindest eine Phase in der Weltgeschichte erreicht, wo unsere Phantasien über Überwachungsstaat und “Big Brother” keine Science Fiction mehr sind, sondern immer einen Schritt hinter der Realität hinterherhinken. Die Welt muß sich schon jetzt wie ein vollendetes “1984” in den Augen der Globalisierungsverlierer darstellen. Die Angst in der Gesellschaft ist sowas wie eine grundlegende Panik, dass man es selbst nicht mehr besser haben wird als die eigenen Eltern, sondern dass die stabilen Fundamente der Wohlfahrtsgesellschaft zu Treibsand werden und die sichere Mittelschicht eine Illusion der Nachkriegszeit. In Ihrer dunkelsten Auslegung haben die Menschen sich nicht nur auf die Heilslehre des Geldes reduziert, sondern agieren mit “Gefällt mir” Clicks durch eine funktionale Gesellschaft, die nur für Inszenierungen sowas wie Empathie zeigt.

Schon in diesen Bemerkungen stellt sich die offensichtliche Frage, ob unsere Beobachtung nicht ebenso verzerrt ist wie die mediale Darstellung. Mittlerweile haben populäre Demographen und Statistiker auf die Zusammenhänge der modernen Welt hingewiesen, in denen Gewalt, Verbrechen, Kriege, Krankheiten und Armut auf dem vermutlich niedrigsten Niveau seit Jahrhunderten liegen. Dennoch liefern diese Zahlenreihen keine Beruhigung, die Menschen wirken in der medialen Nutzung gestresst und gehetzt, die Zeit verrinnt anscheinend immer zügiger, wir sind immer ausgefüllter und beschäftigter mit Dingen, deren eigentliche Bedeutung uns gar nicht mehr klar wird. Das Smartphone liefert dauernde Impulse, auf die wir reagieren ohne dass uns bewußt wird, wie stark uns diese Reaktion verwirrt oder von unseren inneren Befinden ablenkt. Allzu oft beobachten wir Menschen, die sich erst im “Off-Modus”, also mit ausgeschaltetem Smartphone oder weil sie schlicht keinen Empfang vom Datennetz mehr haben, aufgewühlt und erregt aufwachen aus einem schlechten Traum. Sie waren mit Ihrem Gehirn vollkommen ausgelastet, erregt und sich mit sozialer Interaktion Online Dopaminspritzen gesetzt, tief versunken in die digitale Welt und merken erst bei seiner Entwöhnung, wie beansprucht sie in diesen Minuten wirklich waren. Die Maschine ist viel schneller als unsere eigene Arbeitsgeschwindigkeit, sie passt sich den inneren Rythmen nicht mehr an, denn das Gerät dirigiert seinen Benutzer genauso wie es ihm dienlich ist. Eine Mitteilung, eine Nachricht, ein kurzes Ping und der übliche Ablauf des Tuns ist unterbrochen und die Maschine hat die Herrschaft über die Gedanken übernommen. Es ist ein Pawloscher Effekt, unterbewußt jeden Tag immer wieder trainiert. Und der Benutzer kann im ersten Moment nicht unterscheiden, ob es sich um eine menschliche Interaktion handelt, die seine direkte Aufmerksamkeit erfordert oder eine weitere unaufgeforderte Information, die die Maschine generiert hat.

Das Gehirn ist nach stundenlanger Sitzung irgendwann heiß gelaufen, aber nicht von einem konstruktiven, konzeptionell komplexen Gedanken, sondern von einer Vielzahl von Themen, Aufgaben und Kommunikation, die ohne Vorwarnung jeder Zeit ganz nah an einen Ihren Nutzer dringen, auf die Smartwach, auf das Smartphone, unter die Haut und das Haar des Nutzers und immer will alles gleichzeitig und sofort beantwortet werden. Die naheliegende Frage ist doch, ob wir uns dies überhaupt noch bewußt machen und seine Konsequenzen überhaupt noch übersehen können. Denn unsere digitale Umwelt greift nicht nur in den Alltag ein, sondern verändert die Denkprozesse des Hirns und stört gleichsam unsere körperliche Wahrnehmung. Arbeitnehmer beschreiben Ihren Tag vor E-Mail und Instand Messengern als einziges Dauerfeuer, doch am Tagesende können sie sich nicht bewußt machen, was sie eigentlich wirklich getan haben. Diese Entfremdung im Denken weist wohl auch daraufhin, was wir in ähnlicher Form in der Industrialisierung erlebt haben – die Beschleunigung dort war noch verhalten, sie bezog sich auf den Einzug der Maschinen in unseren Alltag. Aber dennoch änderte sich auch schon dort mit der Einführung der Dampflock die Vorstellung davon, was die Welt ist, welche Dimensionen sie hat und wie man sie zu denken habe. Dass nun also das digitale, insbesondere die sozialen Medien, einen massiven Einfluss auf unser Denken und Handeln haben, ist relativ unbestritten. Aber wie weit dieser Einfluss geht, in wie weit er das Wohlbefinden und die Stimmung großer Teile unserer Gesellschaft verändert, darüber wird aktuell nur spekuliert. Nicht spekulieren muss man aber über die Menge und die Dauer des Konsums. Die Mehrzahl aller Menschen nutzt ein Smartphone, der Konsum digitaler Medien übersteigt den des Fernsehens mittlerweile – bei jüngeren Personen scheint dieser digitale Konsum den Fernsehkonsum weit abzuhängen. Dieser digitale Konsum verändert sogar unser Denken, wie bspw. Nicholas Carr (“Surfen im Seichten”) untersucht hat. Das Internet steigert unsere visuellen Fähigkeiten der Mustererkennung und auch scannen wir schneller und zügiger Inhalte. Das kann man sogar neurobiologisch nachweisen, bestimmte Areale in unserem Gehirn sind besonders gefordert beim Surfen. Verloren geht uns aber die Fähigkeit zur Einkehr, zur Vertiefung und Fokussierung. Wir erreichen nicht mehr die Tiefe bestimmter Gedanken und fügen so unserem Denken Informationen hinzu, die bestehendes Wissen verstärken, aber nicht das Wissen ändern oder erweitern können. Wenn Informationen aber nicht in einem neutralen Zusammenhang, sondern verstärkt durch soziale Beziehungen weitergegeben werden, so wie dies Facebook kann, bekommen wir noch eine weitere emotionale Dimension hinzu. Emotional positive Verstärkungen in unserem (virtuellen) Freundeskreis werden uns dabei unterstützen, Zweifel und Glaubenssätze in Wissen zu überführen, in prinzipielle Lebensüberzeugungen. Der Algorithmus, der aus unserem Verhalten lernen kann, indem wir immer wieder reagieren, Inhalte loben oder gar verteilen, wird einen Teufel tun, uns mit dem Gegenteil zu konfrontieren. Es erzeugt ein größeres Wohlgefühl, wenn wir Übereinstimmung, also kognitive Konsonanz, statt Dissonanz erzeugen. Der Nutzer bleibt länger in den Fängen des Betreibers eines Portals, wenn ihm angenehme Inhalte gezeigt werden und genauso scheinen die Algorithmen zu funktionieren.

Diese individuellen Auswirkungen, die wir jeder beobachten können, haben gesellschaftliche Auswirkungen, die immer besser sichtbar werden. Meine Theorie, die ich in Unkenntnis einer besseren aufstelle, basiert auf der Überzeugung, dass unser Onlineerlebnis entgrenzt ist und nicht mehr wirklich beherrscht wird. Die Nutzer unterliegen einer Illusion, dass Ihr Denken und Wissen durch das Internet per se verbessert wird. Stattdessen unterliegen sie insbesondere in der Nutzung sozialer Medien (aktuell die Informationsquelle Nr.1 in der medialen Welt) fortlaufend derart direkten Impulsen, dass diese die Macht über unser Denken übernommen haben. Das im Internet gelernte Surfverhalten des Scannens ist kein vollständiger Scanvorgang, denn die Inhalte wurden durch den Algorithmus von Facebook, Google & Co derart vorgefiltert, dass dieses Sichten vorhandener Inhalte eine weitere Wissensillusion erzeugt.Wie jeder Suchtabhängige gestehen wir uns aber nicht gerne ein, dass wir längst die Beherrschung über das Medium verloren haben und seine Folgen ähnlich wie ein Süchtiger seine Alkoholsucht nicht mehr kontrollieren kann, wir auch die Folgen unserer Internetsucht verharmlosen. Fataler aber ist, dass der Algorithmus einen Charakter hat, dass diese Impulse nach einem Muster erfolgen, welches unser Denken und unsere Gesellschaft nicht mehr demokratisch formen, sondern nach der Natur des Algorithmus. Wir bekommen nicht die Widerrede, den Disput, den wir demokratisch ausfechten müssen. Wir sind innerlich derart verstärkt in unserer Überzeugung, dass wir statisch werden und wie Glaubenskrieger keine Alternative mehr zulassen können. Auch wenn diese Sucht in Abstufungen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, so kann alleine die übliche Konsumdauer von 2h am Tag schon als derart bedenklich eingestuft werden, dass es einen Effekt gibt, der dem Nutzer nicht mehr bewußt ist. Diese allgemeine Sucht gerade der jüngeren Generation ist sowas wie eine Grundvoraussetzung für den “Perfect Storm”. Junge Menschen, die noch lernen und noch keine gefestigten Überzeugungen entwickeln konnten, lassen sich besonders gut manipulieren wären die Generation davor noch die Chance hatte, sowas wie eine kritische Distanz in reflektiver Einkehr zu entwickeln (nicht dass es immer so wäre, aber zumindest hatte die ältere Generation noch die Option ein fokussierteres Denken zu lernen). Die Selbstverstärkung in der Verbreitung von Halbwahrheiten hat jedoch fatale Folgen, denn dieses lukrative Businessmodell beschädigt die Kommunikationsbasis unserer Gesellschaft: Dort wo Aufklärung und Besonnenheit nötig wären, werden wir eingenebelt in einer Wolke aus Halbwahrheiten, Erregtheit, und viralen Posts. Nicht nur Werbung ist im Kontext von Facebook manipulativ, sondern jede Art von Kommunikation, die unsere Gesellschaft eigentlich in gewisser langsamer Dosis benötigt. Wir beklagen den Zerfall unserer Gesellschaft und erkennen nicht, dass eben diese mediale Grammatik die Spaltung unserer Gemeinschaften und Nationen auf der Suche nach finanziellem Gewinn in Kauf nimmt. Da werden menschliche Freundschaft, das Bedürfnis nach offener Kommunikation und aufrichtige politische Überzeugungen mit ungebremstem Konsumismus und Desinformationskampagnen verstümmelt.

In der Natur der sozialen Medien selbst liegt ein Algorithmus (effektiv natürlich mehrere, dedizierte Algorithmen, wir vereinfachen es im folgenden auf einen Einzigen), der auswählt, welche Informationen den Nutzern angeboten werden. Wer den Newsfeed von Facebook aufruft oder eine Suche in Google startet, glaubt ohne einen Filter zu arbeiten und zunächst die Grundgesamtheit erkennen zu können. Dabei hat der Algorithmus schon gezielt aus Vergangenheitsdaten und Wahrscheinlichkeiten neue Inhalte errechnet, die erregen, aufwühlen oder verstören, zumindest aber unheimliche Neugier auslösen sollen. Die genaue Struktur der Algorithmen ist nicht transparent, da weder Google noch Facebook veröffentlichen, wie die Auswahl von Inhalten berechnet wird. Aber Untersuchungen zeigen, dass diese Algorithmen vor allem so auswählen, dass sie den Nutzern lange bei der Stange halten. Je länger wir Inhalte konsumieren, desto drastischer werden die Inhalte, bis man quasi zwangsweise bei Horror oder Verschwörungstheorien landet, egal von welcher Ausgangsposition man kommt. Diese merkwürdige Manipulation ist kaum zu durchschauen, aber die Absicht ist uns bekannt seit es Zeitungen gibt: Je dramatischer die Schlagzeile, je persönlicher und näher am eigenen Leben, desto höher die Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit heißt in sozialen Medien Konsumdauer und dafür sorgt die permanente Versorgung der Belohnungszentren: Je öfter meine Beiträge “geliked” werden, desto besser fühle ich mich (“soziale Beliebtheit als Clicks oder Anzahl sogenannter “Freunde”). Facebook und Instagram funktionieren hier nicht weniger perfide als Googles Suchalgorithmus, gleich ist ihnen jedoch, dass sie selbst nicht wahrhaben wollen oder erkennen möchten, dass diese Internetunternehmen durch den Algorithmus keine Plattformen darstellen, sondern die Auswahl von Inhalten sie zu Publizisten macht. Sie sind es nicht, weil sie selber Inhalte keine produzieren, aber weil sie selektieren und kuratieren, um noch effektiver Werbung schalten zu können, die noch höhere Wahrnehmungswerte erzielt als in neutralen Darstellungen ohne digitalen, sozialen Kontext. Influencer in sozialen Medien mögen vielleicht in der Presse durchsichtig sein, aber die Beeinflussung funktioniert, solange eine Beziehung wünschenswert ist. Die Verharmlosung dieser Effekte erinnert an die Debatten über die Wirksamkeit von Werbung: Sie mag auch durchsichtig sein und wir wissen um Ihre Fähigkeit zur Manipulation. Trotz dieser Distanz beeinflusst uns aber wirksame Wirkung doch nachhaltig, Werbeclaims spulen sich im Hirn ab, wenn wir das Produkt im Laden in Händen halten. Es mag geistig sonst regen Nutzern möglich sein, wahrzunehmen, dass sie beeinflusst werden. Aber der emotionale Impuls, dafür sorgt unsere Physis von ganz allein, geht dem Gedanken voraus und dominiert unser Verhalten, zumindest den Impuls, der ausreicht, um weiter zu clicken. In Summe haben wir also ein Konstrukt, dass einerseits aus einem maschinellen Algorithmus besteht, der in Nanosekunden neue Inhalte pushed und den Abhängigen kaum Zeit lässt, sich davon zu distanzieren andererseits Heerscharen von Konsumenten, die sich Ihre Sucht und Beeinflussbarkeit nicht eingestehen wollen. Das wir pausenlos kommunizieren ist mit der Allgegenwart des Smartphones problemlos möglich geworden. Es ist unser “Fixerwerkzeug” für das Gehirn geworden, nicht mehr die effektive Maschine, die Probleme löst, sondern der allgegenwärtige Dopaminlieferant. Angehängt am Algorithmus sind wir dauerhaft aufgekratzt, erregt und beeinflussbar geworden, schnell in unserem Urteil, ohne Zeit für Reflektion und Gelassenheit. Wir urteilen derart schnell, dass auch die Gefühle unser Denken stören: Hass, Wut, Lust und Gier sind wie latente Versuchungen, die jeder Zeit zünden können. Die Momente der Stille oder der Achtsamkeit gehen damit verloren. Unter diesen Gesichtspunkten muß man sich ja schon beinah zwingend wünschen, dass Meditation und Yoga sich schneller verbreiten, um zumindest Momente der Stille und des achtsamen Bewußtseins im Alltag zu integrieren. Damit ist es aber schnell vorbei, wenn man sein Wohlgefühl nach dem erledigten Yoga gleich wieder posten muß. Die Sucht ist schlichtweg immer da, wo die Möglichkeit des Konsums so niederschwellig möglich ist.

Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology veröffentlichten Anfang März eine erhellende Studie. Sie untersuchten, wie sich wahre und falsche Nachrichten im Netz ausbreiten und analysierten hierbei Twitter-Daten zwischen 2006 und 2017. Insgesamt 126.000 Geschichten, die von etwa drei Millionen Menschen getwittert wurden. Natürlich sind Begriffe wie „wahr“ und „falsch“ nicht einfach zu definieren. Die Forscher nutzten hierfür sechs unabhängige Faktencheck-Organisationen und zusätzlich Studenten, die mit der Auswertung und Einordnung in „wahr“ und „falsch“ beauftragt wurden. Die Ergebnisse sind erhellend:

∙ Falsche Behauptungen werden siebzig Prozent häufiger auf Twitter geteilt als korrekte Informationen.
∙ Wahre Geschichten werden selten von mehr als tausend Menschen retweeted, wohingegen die oberen ein Prozent der falschen Geschichten von tausend bis 100.000 Menschen geteilt werden.
∙ Eine wahre Geschichte braucht, sechsmal so lange wie eine falsche, um 1500 Menschen zu erreichen.

Eine explosive Mischung also: Hier die effektive Maschinerie, die in Sekundenbruchteilen Stimmungen und Impulse verstärken kann, quasi automatisch und dauerhaftes Futter für eine polarisierte und aufgeheizte Stimmung in der Konsumentengesellschaft. Die Währung heißt Aufmerksamkeit und somit ist die zeitliche Dauer, mit der man ein Angebot wahrnimmt, extrem wichtig. Das geht mit explosiven Nachrichten besser und wie wie obige Studie aufzeigte, verbreiten sich Lügen noch schneller als “Wahrheiten”, wie auch immer philosophisch man das Konstrukt der Wahrheit behandelt, eher geht es um zumindest falsche Fakten oder verdrehte Fakten, die nur noch manipulativ genannt werden können. Es scheint also in den sozialen Medien noch deutlich schlimmer als die Kritik am relativ undynamischen Medium Fernsehen, deren magische Wirkung uns auch erstmal Jahrzehnte faszinierte, bevor wir lernten, mit dieser Maschine zumindest etwas besser umzugehen. Vielleicht begannen uns aber auch dort nur die Inhalte zu langweilen; TV-Serien neuen Zuschnitts a la Netflix erinnern da schon eher an stundenlange Surfeskapaden, wo sich ein spannendes Thema an das nächste reihen lässt, ohne dass wir auch nur eine Sekunde davon bewußt merken, was wir da überhaupt tun. Die Schnelligkeit, die Nähe und die Intensität von Inhalten, die uns das Netz liefert, kann das Medium Fernsehen nicht erreichen. Wie weit sind wir also davon entfernt, unseren Konsum in digitalen Medien wirklich zu beherrschen? Ist uns bewußt, wie stark die emotionale Beeinflussung auch nur von kleinen Happen diesen Contents wirklich ist? Es ist überhaupt möglich, sich sozialen Medien auszusetzen und seinen Impulsen zu widerstehen? Ich würde mit viel Sicherheit unterstellen, dass wir es nicht können und auch nicht schaffen werden. Wir werden versagen und wir tragen die Folgen, nicht zuletzt in seinen politischen Konsequenzen, die wir vorher für unmöglich gehalten hätten.

Diejenigen, die mit diesen Algorithmen Milliarden verdienen, verweisen auf die Maschine, wenn es um die Verantwortung für diese Konsequenzen geht. Hate-Speech ist unschön, aber wie regulieren wir den, wir nicht quasi eine private Zensur einführen wollen? Was ist passiert mit der naiven Idee, die ganze Welt verbinden zu wollen – war das nicht eine menschlich gute Idee? Oder bedeutet es Überforderung für die Menschen, diese Verbindung zwischen fremden Kulturellen in Sekunden zu ermöglichen? Die sensible, vorsichtige Annäherung ist jedenfalls denkbar schlecht gelöst, wenn wir uns mit Facebook fremden Kulturen gegenüber öffnen möchten – das wir in Ekel, Angst oder Abneigung diesen fremden Ritualen und Traditionen gegenüber stehen, ist eher vorstellbar, als dass wir uns direkt integrieren oder uns adaptieren. Die Schöpfer des Algorithmus können sich letztlich nicht aus Ihrer Verantwortung stehlen, so der Staat ihn zur Verantwortung zwingt. Offensichtlich ist es aber aktuell unwahrscheinlich, dass der Staat (insbesondere die USA) es tun werden und da das Internet noch schwieriger zu regulieren ist als das Fernsehen, über Länder- und kontinentale Grenzen hinaus, wird dieser Versuch in offenen Gesellschaften eventuell misslingen. Die Antwort der totalitären Staaten war immer Zensur und China überwacht seine Alternativangebote Baidu & Co zumindest quasi vollständig. Aber auch dort wird dumpfer Nationalismus geschürt und kann in diesen sozialen Netzwerken nur abgeleitet werden, indem man automatisch fremde Staaten einschüchtert und mit seinem nationalen Chauvinismus bedroht. Das Ziel dieser Attacken ist nicht der Angegriffene, sondern die Beruhigung und Stabilisierung der eigenen Macht im Binnenland, zumindest solange bis nicht ein wirklicher Despot sich diese negative Energie zur Nutze macht, nur um die Welt brennen zu sehen. Die USA unter Trump und Großbritanniens Brexit sind wohl die ersten schweren Betriebsunfälle in unserer westlichen Zivilisation, die durch diese Situation begünstigt wurden. Aber ob diese Algorithmen dafür schon ausreichten oder die Manipulation Putins tatsächlich das Zünglein an der Waage waren, kann man quantitativ kaum feststellen. Dass der Konsum einen Einfluss hat, dass würde aber niemand bestreiten. Die offenen Gesellschaften angreifbarer geworden.

In seiner Verankerung in der persönlichen Umwelt und echten Freundesnetzwerken hat Facebook dabei einen besonders intimen und damit wirkungsvollen Status erreicht. Nachrichten alter Prägung (Zeitungen) waren nicht in der Lage, derart individuelle Inhalte zu liefern. Eine Zeitung adressierte eine anonyme Massengesellschaft. Der Lokaljournalismus war die Krönung der Druckerpresse, denn sinkende Druckkosten ermöglichten sowas wie die Nachbarschaftszeitung täglich. Facebook dagegen entsteht in jeder Sekunde neu, ist immer frisch gedruckt und immer zugeschnitten auf den Leser. In einer von Popstars bevölkerten Medienlandschaft reicht nur das Boulevard hier in seiner emotionalen Wirkung heran, denn tatsächlich verlieren sich Menschen in diesen rein virtuellen Beziehungen und glauben teils daran, dass der Popstar eine individuelle Beziehung mit Ihnen über soziale Medien unterhält. Wenn aber echte Beziehungen aus dem realen Leben sich in ähnlicher Ausprägung im Medium vorfinden wie die Nachrichten erfundener oder stilisierter Medienpersönlichkeiten, ist die Verwirrung komplett. Dass Facebook weiß, in welcher Form es seine Nutzer manipuliert, ist seit den Geständnissen des ehemaligen Mitgründers Sean Parker öffentlich geworden. Dass Facebook der Demokratie vielleicht keinen Dienst erweist, sondern sie attackiert, ist somit der konsequent nächste Schritt der Debatte, den wo sonst wenn nicht im öffentlichen (digitalen) Raum entsteht die Debatte, die eine Demokratie ausmacht? Facebook ist verunsichert, ob seine Position angreifbar geworden ist. Spätestens durch die fragwürdige Rolle im US-Wahlkampf ist höchste Alarmstufe angesagt.
Facebook habe das Problem der “Fake News” erkannt – und wolle jetzt noch gezielter gegensteuern. Ziel sei es, „schlechte Inhalte“ von der Plattform zu entfernen, was man mit nichts anderem als Zensur übersetzen kann. Dafür will Facebook sein Londoner Programmierer-Team personell aufstocken. Auf der anderen Seite gehe es darum, gute Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen. Und da setzt Facebook jetzt besonders auf Gruppen beziehungsweise deren Administratoren, um den Austausch in dem sozialen Netzwerk zu befrieden. Gute Inhalte? Was ist das? Rosa Wolken statt Gewitter? Die Frauen von Stepford? Neusprech oder Black Mirror live? Das ändert freilich wenig am Algorithmus, es ist nur der panische Versuch die Droge positiv statt negativ aufzuladen. Droge aber bleibt Droge und Manipulation bleibt Manipulation. Welche Manipulationen noch möglich sind, wenn das Netzwerk kriminell sabotiert wird, öffnet Phantasien Tür und Tor. Identitätsdiebstahl, das posten fremder oder zensierter Inhalte, die Exposition intimster Themen, von Krankheiten bis politischen Überzeugungen sind denkbar. Die Transparenz in Punkt Treue und Ehe wäre ja noch das harmloseste, was man sich da vorstellen kann. Je mehr Menschen auf den Netzwerken aktiv an Ihrer virtuellen Identität basteln, desto angreifbarer werden sie und desto mehr lässt sich die öffentliche Meinung manipulieren. Erfundene Bots und Accounts kombiniert mit zumindest rudimentär “intelligentem” Content, basierend auf den Mustern echter Nutzer, verfremden den Feed, verändern die Interessen anderer Nutzer und haben somit meinungsbildende Wirkung ohne je persönlich exponiert zu werden. D.h. eigentlich ist es schwer vorstellbar, dass wir im Netz anonym bleiben dürfen, denn die Regeln in öffentlichen Demonstrationen besagen eben auch, dass die Vermummung und Anonymisierung verboten ist. Muß man aber dann auch fürchten, dass die eigene Meinung gegen einen selbst missbraucht wird? Wäre bspw. die lesbische Liebe einer Nutzerin im Kontext von Arbeitskollegen tatsächlich nur das Teilen von Informationen oder kann es subtil und unbewußt zu Irritationen oder gar Verleumdung und Diskriminierung führen? Wir bewegen uns offensichtlich in einem großen Experiment mit mehr als eine Milliarde Nutzern, alleine das sollte uns zu denken geben.

Nur folgerichtig dass die Elite der alten Medien endlich Morgenluft wittert für politische Regulation: Selbst politisch reguliert lobt man sich als Anker der Demokratie, während die neuen Medien eine Bedrohung darstellen. Eine Heuchelei zum Teil, bedenkt man doch dass ohne den Datenverkehr und die aktive Teilnahme klassischer Medien an der Contentversorgung Facebooks nur aus Katzenbildern und privatem Allerlei bestehen könnte. Julia Jäkel zum Beispiel, die Frontfrau von Gruner & Jahr. Sie postuliert: Gruner & Jahr will zur Demokratie beitragen. Aha. War es nicht der Stern, der die Hitlertagebücher weltweit veröffentlichte? Jäkel wirft Facebook etwas vor, was der Verlag genauso praktiziert hat: Mit Aufregung, Neugier und produzierten Inhalten die Auflage erhöhen und mehr Werbegelder verdienen. Nur ist G&J als Verlag technologisch aus dem 19ten Jahrhundert, die teuren Inhalteproduzenten, die man sich leistet, nutzen da überhaupt nicht zur Verteidigung. Wenn aber der Algorithmus von Facebook viel effizienter ist und die Verteilermedien wie das Smartphone überall präsent, wenn das Medium eine echte Plattform darstellt und nicht nur den Versuch davon, dann bestimmen eben die Konsumenten die Inhalte und das ist teils dumb, naiv und hasserfüllt. Meinungsführerschaft der alten Medien war eben auch Meinungsherrschaft einer alten Elite, die nun Ihre Toposition verloren hat auf die echte Meinungsbildung in der Bevölkerung. Wollte man vorher Meinungsführer erzeugen und Debattenführer in der Politik beeinflussen, so erzeugt „Bibis Beautypalace“ im Zweifel viel relevantere und glaubhaftere Meinungen in der Zielgruppe. Vorher, also noch in den “analogen” 90ern, was es aber auch zu einfach: Für werbefinanzierte Dekomagazine wie “Schöner Wohnen” oder “Essen und Trinken” bezahlten die Verbraucher für 200 Seiten Werbung auch noch 7,-€ am Kiosk. Alle diese generischen themen, die mit Inhaltsfabriken immer wieder die gleichen Themen in neuer Form erzählen, sind im Internet besser gelöst durch Pinterest & Co. Zudem ist das billiger und günstiger für die digitalen Verleger, die vollkommen unabhängig vom Medium Print agieren. Das Verlage mit diesem teils banalem Content viel Geld verdienten, war eben „ready for disruption“. Aber vor den „Farmen der Desinformation“ zu warnen, erscheint dennoch angemessen: Vor allem muß etwas dafür getan werden, dass die Manipulation transparent wird. Wenn der FSB tatsächlich Kampagnen zur Desinformation im Wahlkampf offener Gesellschaften einsetzt, dann ist das keine Kleinigkeit, sondern wirklicher Bestandteil hybrider Kriegsführung, der offene Gesellschaften destabilisiert. Das wird uns aber nicht davor schützen, dass Werbetreibende, Lobbygruppen oder Parteien die Medien für Ihre Zwecke weiterhin einspannen, ganz legal und im Sinne des Marktes wünschenswert.

Die Verschwörungstheoretiker wichen schon lange vor der Existenz von Facebook auf das Netz aus, weil sie dort eine Chance hatten Ihr Publikum unzensiert zu finden, während good old print bzw. die Elite diese Themen nicht wollte und so auch vom politischen Diskurs fern gehalten hat. Die Autorität der Wissenschaft ging mit dem Internet gleichsam verloren, so dass krude Theorien sich viral verbreiten können, von Schwachsinnigen für Schwachsinnige, von Demagogen zu Opfern. Es war aus heutiger Sicht eine Wohltat, als Informationen noch von gebildeten Menschen mit dem Glauben an die Logik, die Aufklärung und die Wissenschaft kuratiert wurden statt Dummheit und Propaganda ungeprüft via Algorithmus zu vervielfältigen. Wenn der Nutzer “Lesbische Nazinutten von Außerirdischen entführt und auf dem Mars zu einer Hungerkur gezwungen” clickt, dann bekommt er noch mehr ähnlichen Content geliefert und folgerichtig wird dieser auch stärker produziert. Jäkel und ihre gutbezahlten Inhalteproduzenten konnten viele Jahre Innovation erfolgreich auf die Qualität der Druckpressen reduzieren oder produzierten guten Content für sich selbst und Journalistenkollegen – nicht unbedingt war das deckungsgleich mit dem, was die Leser interessierte und je reißerischer und kruder desto wirksamer scheint es zu sein. Es gibt einen Pressekodex, nicht jedoch einen Kodex für die Inhalteverbreitung auf sozialen Medien (das Netzwerkdurchsuchungsgesetz versucht das, wird aber gleichsam zum Zensurmedium). Letztlich ist der Kampf gegen den Einfluss der Algorithmen ein verlorener Kampf, die Regulierung muss politisch auf anderer Ebene erfolgen und mündige Bürger haben ein Recht darauf zu wissen, wer Inhalte bezahlt, wer versucht zu manipulieren und wie Algorithmen aufgesetzt sind.

Es muß also immer die Frage gestellt werden, wie sinnvoll FB, Google & Co reguliert werden müssen, so dass nicht undemokratische Kräfte die Kontrolle über die Meinungsbildung übernehmen oder die Bevölkerung schlicht aufgehetzt wird. Das ist das, was der Gesetzgeber eigentlich von seiner Presse erwarten darf in unserem Land und was für jede Art von Publizismus gelten sollte, ob analog oder digital. Ironisch, dass ausgerechnet die Helden des Silicon Valleys sich doch selbst für die Guten hielten und nun erleben, wie Ihre eigenen Maschinen sich teils als Frankensteins Erben entpuppen. Und wie Hass- und Desinformationskampagnen auch für den digitalen Verleger zum rechtlich haftbaren Problem werden, dem er selber habhaft werden muss, ist eine zwingend notwendige Frage, nicht erst seit Russland im US-Wahlkampf mehr oder minder stark für zusätzliche Unruhe sorgte. Dass die freiheitliche Presseordnung der USA nicht kompatibel ist mit der parentifizierten Presseordnung in Deutschland, wo die Erfahrung der NS Zeit noch nachwirkt, ist aber ein kaum zu lösendes Problem für Facebook – es ist schlicht für deren Geschäftsmodell undenkbar, dass Inhalte auf Ebene eines Nutzers reguliert werden – ähnliche Zensurbehörden wie die Chinas müßten sich auf die ganze Welt ausdehnen. Schlaue Algorithmen, die gutes vom falschen trennen, kann es nicht geben, denn diese Kategorien sind in einem anderen kulturellen Kontext nie gültig. Frauenverachtung mag salonfähig in der einen Kultur sein, aber heißt es die Gleichberechtigung der Frau zu proklamieren durch die Zensur der Frauenverachtung, dass man damit vielleicht etwas wünschenswertes tut, aber eigentlich sich in die Angelegenheit anderer Kulturen massiv einmischt? Außer, man packt die Verlage dort, wo die Einnahmen herrühren – aus den jeweiligen Ursprungsländern der Werbegelder, denn irgendwo findet ein Zufluss statt – man muß den springenden Hamel dort packen, wo die Beine auf dem Boden stehen. Dies aber zu lösen und die Grundversprechen des Internets auf Anonymität und Gleichberechtigung aller Nutzer weiter zu behalten, erscheint mir anarchisch und deswegen unmöglich bis gefährlich. Wir brauchen eine Regulierung und wir brauchen keine Anonymität, denn das richtet in offenen Gesellschaften Schäden an und die Urheber würden dadurch straffrei gestellt.

“Reichtum und Schnelligkeit ist, was die Welt bewundert und wonach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle möglichen Fazilitäten der Kommunikation sind es, worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren.“

1825, also vor fast zweihundert Jahren schrieb der alte Goethe das an seinen Freund Karl Friedrich Zelter, skeptisch geworden dem gegenüber, was die technische Innovation seiner Zeit zu bringen versprach. „Fazilitäten“, also „Erleichterungen“ der Kommunikation, sah er mit erheblichem Argwohn, weil sie sich einem, wie er meinte, der menschlichen Natur unangemessenen Beschleunigungswillen – er spricht vom „Veloziferischen“ – verdankten. Dieser Beschleunigungswille ist im Wissensdurst greifbar geworden und er steht ausgerechnet mit dem Autoritätsverlust der Wissenschaften in Zusammenhang. In Erinnerung an Definitionen Luhmanns wissen wir, dass Vertrauen ein notwendiges Konstrukt ist in einer Welt, in der Wissen und Information nicht vollständig verbreitet sind. Der Mensch gestand sich ein, dass er einen Arzt braucht, weil er selbst nicht in gesundem Maße in der Lage sein würde, sich selbst die Fähigkeiten anzueignen, die zur Selbstheilung notwendig wären (wenn sie überhaupt möglich ist, so die Heilung bspw. mit Schmerz einhergeht). Das Internet schürt jedoch die Illusion, dass es eigentlich nicht die jahrelange Auseinandersetzung mit einer Materie ist, die einem Wissen und Erfahrung verschafft, sondern dass das Wissen wie in Geheimgesellschaften gehütet wird. So man also danach im Internet sucht, kann man fündig werden und es gibt genügend Rattenfänger, die genau diesen Dran nach Geheimwissen geschäftstüchtig auszubeuten verstehen. Es ist ein animalischer Instinkt, der uns sagt, dass Wissen und Hierarchie zusammengehen, wir jedoch im Internet diese Hierarchien umgehen können und so, nicht durch Fleiß und langes Studium, sondern durch das Beschreiten vorgeblich geheimnistuerischer Pfade an dieses Wissen kommen können – und ergo, dieses Wissen ist das Wissen über die Macht und die Beherrschung der niederen Klassen, der Zugang zum Wissen ist die Befreiung aus dieser Fremdbestimmung. Aber es ist eben eine Illusion zu glauben, dass die Verfügbarkeit von Daten und Information schon Wissen ermöglicht, es ist wohl eher Aberglauben, der sich so manifestieren lässt. Verschwörungstheorien sind populär, weil sie einerseits einen “Aha” oder “Heureka” Moment beinhalten, dieser aber schon nach wenigen Minuten zugänglich ist und das neue Weltbild in kurzer Zeit das eigene Ungenügen vergessen macht. Diese Wissensillusion macht es nicht mehr notwendig, dass wir Institutionen und Autoritäten in der Wissenschaft vertrauen müssen, sie sind verzichtbar geworden und angreifbar. Die schiere Masse der Angriffe reicht dann manchmal schon aus, damit Autoritäten sich nicht mehr aus dem Sumpf der Anfeindungen befreien können und auf echte Evidenz verweisen können, da hilft das Gesetz der Masse und die Masse ist per Definition nicht in der Lage das gleiche zu wissen wie der Experte in einem ausgewählten Feld. Die Stabilität der offenen Gesellschaft ist in Gefahr, die Politik muss darauf reagieren oder schaufelt sonst ihr eigenes Grab.

Weitere Quellen:

Economist über Social Media (“Does Social Media threaten Democracy?”) https://www.economist.com/news/leaders/21730871-facebook-google-and-twitter-were-supposed-save-politics-good-information-drove-out?cid1=cust/ednew/n/bl/n/2017112n/owned/n/n/nwl/n/n/eu/77921/n

Auswirkungen auf Gesellschaftlichen Diskurs https://www.youtube.com/watch?v=XUVlRZxJAy0

Allen Car, Surfen im Seichten, https://www.amazon.de/Surfen-Seichten-Internet-unserem-anstellt/dp/3570552055

FAZ: Angst und Wahn der Verschwörungstheoretiker http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/chemtrails-reptiloide-eine-ex-verschwoerungstheoretikerin-berichtet-15267921.html

Russlands Einmischung in Wahlkampf: Stereotype befördern, Hass und Wut http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/russen-kampagne-in-den-usa-facebook-126-millionen-nutzern-russische-polit-werbung-gezeigt-5783580

Leave a Comment