Stolz und Bescheidenheit

Von Reinhard Mohr / Spiegel Online

Die ARD sendet heute Abend ein außergewöhnliches Feature über den Alt-Kanzler Helmut Schmidt. Sandra Maischberger porträtiert darin einen elder statesman, der aus einer anderen Epoche zu stammen scheint – samt Reihenhaus, Kellerbar und eigener Meinung.

Es ist die Saison der alten Männer. Ob Günter Grass oder Martin Walser, ob Dieter Hildebrandt, Richard von Weizsäcker, Heiner Geißler oder Peter Scholl-Latour – sie alle stehen in diesen Tagen wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Dabei scheint es fast egal, ob es um eine vermeintliche Mitgliedschaft in der NSDAP, ein neues Buch oder eine polemische Wortmeldung geht. Die Achtzigjährigen sind präsent wie nie – mitten im voll globalisierten Jugendwahn. Und ganz gleich, ob man sich freut oder ärgert – man hört ihnen zu und reagiert auf sie.

Das kann nur einen Grund haben: Es wird sonst, politisch wie intellektuell, nicht allzu viel geboten in Zeiten, da der SPD-Vorsitzende und mögliche Kanzlerkandidat Kurt Beck heißt, der auf seiner jüngsten Afrikareise Weisheiten wie diese verbreitete: “Meine Mutter hat immer gesagt: Die Treppe wird von oben gekehrt.” Wenn das kein Tipp zur Entwicklungshilfe ist.

Helmut Schmidt sagt da lieber etwas anderes: “Es wird ein schlimmes Jahrhundert werden.” Er meint das 21., und er meint es ernst. Heute Abend, gleich nach den “Tagesthemen” um 22.45 Uhr, widmet das Erste dem inzwischen 88-Jährigen volle 90 Minuten für ein außergewöhnliches Porträt des Alt-Kanzlers und “Zeit”-Herausgebers. Titel: “Helmut Schmidt außer Dienst”. So soll auch sein neues Buch heißen, das 2008 herauskommt.

Über vier Jahre lang haben Sandra Maischberger und Jan Kerhart Helmut Schmidt auf seinen Reisen nach Amerika und China begleitet, Gespräche mit alten Weggefährten wie Henry Kissinger beobachtet und zugleich immer wieder recht intime Momente festgehalten, bei denen sonst meist abgeblendet wird.

Doch auch zu Hause in Hamburg-Langenhorn, am Brahmsee und im brandenburgischen Kloster Chorin haben die Autoren Loki und Helmut Schmidt getroffen. Die meisten Begegnungen stammen aus den Jahren 2003 und 2004, die letzten Szenen aus dem Sommer 2006.

Dies ist nicht Sandra Maischbergers erster Film über Helmut Schmidt, aber wohl ihr bester. Er versucht erst gar nicht, die Lebensstationen brav chronologisch abzuhandeln, Verdienste zu würdigen und die berüchtigten “Zeitzeugen” zu befragen, auch wenn immer wieder biographische Sequenzen mit alten Aufnahmen eingeblendet werden.

Konkurrenzlos nüchtern

In dieser erstaunlich leicht und gleichwohl dicht komponierten Dokumentation geht es vielmehr um eine subtile, von Krankheiten und anderen Imponderabilien immer wieder unterbrochene Annäherung an eine Person, die tatsächlich aus einem anderen Jahrhundert zu kommen scheint. So gegenwärtig und präzise, ja, brillant der Nachfolger Willy Brandts im Kanzleramt sich trotz Gehhilfe und Schwerhörigkeit immer noch präsentiert, so scheint er doch einer anderen Epoche zu entstammen. Nicht nur sein Englisch, etwa während einer Rede vor dem Harvard Club in New York, ist dramatisch besser als das Deutsch aller versammelten Generalsekretäre der Bundestagsparteien. Auch der immerwährende Versuch, Zusammenhänge zu begreifen und beim Namen zu nennen, hat etwas Erfrischendes, selten Gewordenes, Außerordentliches.

Schmidt hat das schon immer gemacht, aber jetzt erst fällt es richtig auf, denn es gibt praktisch keine Konkurrenz mehr auf dem Gebiet einer nüchternen, klaren und dennoch rhetorisch funkelnden Weltbetrachtung – in der politischen Klasse schon gar nicht.

Mag sein, dass dies auch zum Privileg der elder statesmen gehört, die keine Rücksicht mehr nehmen müssen auf Wiederwahl, Parteiposten und die nächste Forsa-Umfrage. Andererseits schließt dies auch grandiose Irrtümer, blühenden Unsinn und steile Fehlprognosen nicht aus. Aber das Bewegendste an diesem Feature, das eben keine “Home-Story” ist, bleibt die biographisch beglaubigte Melancholie der Vernunft, deren historische Siege immer wieder vom irdischen Gang der Dinge bedroht sind, im Großen wie im Kleinen, in der Weltpolitik wie im Privaten.

“War ich ein Optimist?”, fragt Helmut Schmidt sich und seine Frau Loki? “Nein. War ich ein Pessimist? Nein.” Dann hilft Loki weiter: “Realisten” seien sie beide schon immer gewesen, von Anfang an. Hoffnungsvolle Skeptiker. Wahrscheinlich waren sie es schon 1929, als sie in dieselbe Schulklasse gingen, 1935 erste zarte Küsse tauschten, sich ein paar Jahre später am Berliner U-Bahnhof Nollendorfplatz verlobten und dennoch nicht ahnen konnten, dass sie ein Paar fürs Leben werden würden. “Ganz erstaunlich” sei das, sagt Schmidt nach sechzig Ehejahren in gebotener Zurückhaltung. “Soll erstmal einer nachmachen.”

“Das muss man hinnehmen”

Ansonsten aber bleibt es dabei: “Emotionen sind sowieso nie meine starke Seite gewesen.” Zweimal geweint habe er wohl im ganzen Leben. Das eine Mal muss im Frühjahr 1945 gewesen sein, als er, Soldat an der Ostfront, Loki glücklich wieder traf.

“Betroffenheit”, die Leitkultur der Linken aus den achtziger Jahren, war ihm jedenfalls immer suspekt gewesen. Er hielt es lieber mit Kant und Mark Aurel, dem deutschen Philosophen der Aufklärung und dem römischen Philosophen der Abklärung. Vernunft und Gelassenheit sind Schmidts Leitwährungen bis heute, und auf diesem eher trocken-rationalen Hintergrund wirken einige Filmmomente durchaus melodramatisch, tränendrüsenwirksam. So, als er dem alten Freund Henry Kissinger beim Abschied – womöglich zum letzten Mal – hinterher schaut und dann mit dem Stock wieder ins Hamburger Reihenhaus humpelt, so, wenn er kurz über die fünf Fehlgeburten seiner Frau und den sehr frühen Tod des einzigen Sohnes kurz vor Kriegsende spricht, um zu resümieren: “Das muss man hinnehmen.”

Hinnehmen musste er auch, dass er von den Linken in- und außerhalb der SPD gern als bloßer “Macher” abgestempelt wurde, als theorieloser Pragmatiker, der es mit der normativen Kraft des Faktischen hält, kurz: als “Büttel” des kapitalistischen Systems.

Zugegeben und Pardon: Auch mir schien Helmut Schmidts geschäftsmäßige Kälte damals, in den späten siebziger Jahren, geradezu eine Bestätigung dieses Zerrbilds zu sein. Heute bin ich um jeden froh in diesem Lande, der noch klar denken und sprechen kann und es mit Argumenten versucht statt mit ideologischen Ressentiments und kruden Verschwörungstheorien.

Rauchen bis die Feuerwehr kommt

So war Helmut Schmidt auch nie Pazifist im klassischen Sinne, obwohl er in den fünfziger Jahren gegen Wiederbewaffnung und Atomrüstung demonstriert hat. Später initiierte er die Nato-Nachrüstung gegen die sowjetischen SS-20-Raketen, und heute kritisiert er all “jene Leute”, vor allem Bush und Co., “die über Krieg und Frieden entscheiden und gar keine Ahnung haben, was Krieg ist”.

Seine Lebensweise hat Helmut Schmidt auch nach dem vierten Herzschrittmacher nicht geändert, und so ist er wahrscheinlich der einzige Deutsche, der in einem amerikanischen Restaurant raucht. Jedenfalls so lange, bis die Feuerwehr anrückt.

Respekt ist ihm sowieso wichtiger als Liebe, und die Zuneigung mancher Fans bei öffentlichen Auftritten, die Autogramme und wer weiß was noch haben wollen, nachgerade “lästig”. Kardinal Ratzinger, unterdessen Papst geworden, hält er für “rechthaberisch” und moraltheologisch völlig unbefugt, über Liebesbeziehungen, Kinderkriegen und Verhütung zu urteilen, weil er von diesen Dingen ja gar keine Ahnung habe.

Im Grunde ist Helmut Schmidt der letzte Bundesbürger im wiedervereinten Deutschland – mit Reihenhaus, Kellerbar und eigener Meinung.

Ob er Stolz auf seine eigentümlich protestantische Bescheidenheit hege, fragt Sandra Maischberger.

“So ist es richtig gesagt”, antwortet Helmut Schmidt.

One Comment

  1. Rodrigo says:

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