Mein Temperament: Beethoven. Meine Seele: Bach

Beethoven gilt heute als der Vollender der Wiener Klassik und Wegbereiter der Romantik. Insbesondere in den für die Epoche der Wiener Klassik grundlegenden Formen der Sinfonie, der Klaviersonate und des Streichquartetts hat er Werke geschaffen, deren musikgeschichtlicher Einfluss kaum zu überschätzen ist. So legte Beethoven beispielsweise wichtige Grundsteine für die fortschreitende Einführung der Kategorie des Symphonischen in die Solokonzerte der weiteren Musikgeschichte. Auch eine immer weiterführende Konzentration von Sinfonien und Solokonzerten, sich von Quantität zu Qualität bewegend, kann Beethoven zugesprochen werden.

In der ersten Periode seines Schaffens schloss er sich noch aufs engste an Haydn und Mozart an, bis er zu seinem ganz eigenen Stil fand. Was ihn nun vor diesen Vorgängern auszeichnet, die ja ihrerseits schon die Sprache der Instrumente zu reicher Entwicklung geführt hatten, ist zunächst die weitere Ausgestaltung der übernommenen Formen zu größeren, den neuen Ideen angemessenen Dimensionen. Unter seinen Händen erweiterte sich das Menuett zum vielsagenden Scherzo, das Finale, vor Beethoven meist nur ein heiter und lebhaft sich verlaufender Ausgang, wurde bei ihm zum Gipfelpunkt der Entwicklung des ganzen Werks und übertrifft an Wucht und Breite nicht selten den ersten Satz. Das andere Neue war die überall erkennbare Einheit eines zusammenfassenden Gedankens. Was er in einzelnen Werken (z. B. in den Klaviersonaten Pathétique und Appassionata, Les Adieux, in der „Eroica“ und in der Pastoral-Sinfonie) schon durch den Titel deutlich machte, lässt sich auf die Mehrzahl seiner Instrumentalwerke anwenden: dass die in den einzelnen Teilen dargestellten Seelenzustände in einer inneren Beziehung zueinander stehen und daher die Werke recht eigentlich als Tondichtungen zu bezeichnen sind.

Seine Skizzenbücher zeigen, mit wie viel unermüdlicher Arbeit und wiederholten Versuchen er seinen Werken die Gestalt zu geben suchte, in der sie ihn schließlich befriedigten. Man staunt, wie O. Jahn schrieb:

… über seine Art, „nicht bloß einzelne Motive und Melodien, sondern die kleinsten Elemente derselben hin und her zu wenden und zu rücken und aus allen denkbaren Variationen die beste Form hervorzulocken; man begreift nicht, wie aus solchem musikalischen Bröckelwerk ein organisches Ganzes werden könne…. Und machen diese Skizzen nicht selten den Eindruck unsichern Schwankens und Tastens, so wächst nachher wieder die Bewunderung vor der wahrhaft genialen Selbstkritik, die, nachdem sie alles geprüft, schließlich mit souveräner Gewißheit das Beste behält.“

O. Jahn: Gesammelte Aufsätze, S. 243

Von ebensolcher Unvergleichlichkeit wie sein temperamentvolles Schaffen scheint auch sein Leiden gewesen zu sein. Der Einfluss seiner Gesundheit auf sein Werk ist spürbar, die in nahezu völliger Taubheit geschriebene 9te Sinfonie (Freude schöner Götterfunken) ist nicht ohne Grund eine sinfonische Kakophonie, unbändiger Krach und unsensible, stille Momente zeichnen die Komposition aus. Dennoch hat sie die Fähigkeit, gerade Neulingen der Klassik einen ersten Einblick zu geben, welcher Sturm und Drang sich in dieser Musik nachempfinden läßt. Ludwig van Beethovens körperliche Leidensgeschichte beschäftigt Wissenschaftler bis heute und führt auch zu medizinischen Spekulationen.

Analysen, die das US-amerikanische Argonne National Laboratory in Chicago Anfang Dezember 2005 veröffentlicht hat, bestätigen, dass er von Jugend an unter einer schweren Bleivergiftung litt. Das Labor untersuchte einen der von kalifornischen Wissenschaftlern identifizierten Schädelknochen Beethovens mit einem Röntgengerät. Anschließend verglich es die Werte mit einem fremden Schädelfragment aus der damaligen Zeit. Demnach litt der Komponist wahrscheinlich schon vor seinem 20. Lebensjahr massiv unter dem giftigen Einfluss von Blei.

Historischen Berichten zufolge traten bei Beethoven in diesem Alter Veränderungen seiner Persönlichkeit zutage. Gleichzeitig begann er, über Magen- und Darmbeschwerden zu klagen.

Nicht klar ist dagegen, ob auch der Verlust von Beethovens Gehör auf die erhöhten Bleiwerte zurückzuführen ist. Mit etwa 30 Jahren machten sich bei ihm erste Anzeichen einer Otosklerose bemerkbar, die sich unaufhaltsam verschlimmerte. Um sein dadurch schlechter werdendes Hörvermögen auszugleichen, ließ er sein Klavier mit bis zu 4 Saiten bespannen. Bis zum Jahre 1819 war Beethoven völlig ertaubt, so dass er selbst keine Konzerte mehr geben und auch nicht mehr dirigieren konnte. Gespräche führte er mit so genannten „Konversationsheften“, was ausgesprochen mühselig war.

Am 29. Juni 1801 schreibt Beethoven an seinen Jugendfreund Dr. Franz Georg Wegeler:

„…; nur meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort. Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu; seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach, so ging’s noch eher; aber in meinem Fach ist das ein schrecklicher Zustand.. . Sollte mein Zustand fortdauern, so komme ich künftiges Frühjahr zu Dir: Du mietest mir irgendwo in einer schönen Gegend ein Haus auf dem Lande, und dann will ich ein halbes Jahr ein Bauer werden; vielleicht wird’s dadurch geändert. Resignation! Welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzige übrige. -“

Durch eine besondere Behandlungsmethode des Wiener Arztes Vering fasst Beethoven wieder Mut und schreibt am 16. November in einem Brief an Wegeler die berühmt gewordenen Sätze:

„Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. – Oh, es ist so schön das Leben tausendmal leben! – Für ein stilles Leben, – nein, ich fühl’s, ich bin nicht mehr dafür gemacht. – …“

Als seine Schwerhörigkeit, verbunden mit den quälenden Ohrgeräuschen, wieder schlimmer wurde, schrieb er ein Jahr später am 6. Oktober 1802 verzweifelt sein „Heiligenstädter Testament“. Dennoch komponierte er in Heiligenstadt die von Lebensfreude und Heiterkeit erfüllte 2. Sinfonie in D-Dur, deren Erfolg nur mäßig war.

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