Clint Eastwood

SZ (Alexander Gorkow): Ist Ihnen Ihr eigener Ruhm unheimlich? Sie werden nicht verehrt, sondern vergöttert.

Eastwood: Ich denke darüber nicht nach. Das sind keine Kriterien. Ich denke eh’ nicht in Kategorien. Ich denke in Einheiten.

SZ: In welchen Einheiten?

Eastwood: In Arbeitseinheiten. Wie behandle ich ein Drehbuch? Wann setzen wir das um? Mit wem? Was kostet mich das? Wird der Stoff die Leute berühren? Soll ich alter Sack selbst mitspielen oder nicht?

SZ: Das klingt nüchtern.

Eastwood: Das ist nüchtern. Stellen Sie sich vor, neulich fragte mich wer, ob ich noch mal Harry Callahan geben will . . .

SZ: . . . aus “Dirty Harry” . . .

Eastwood: . . . seit Sly (Stallone, die Red.) noch mal als Rocky ‘rausging, sind die Studios ganz geil drauf, die Alten noch mal für eine Runde ‘rauszuschicken. Die kriegen einen wässrigen Blick, wenn ich hier übers Studiogelände gehe. Ich bin 78.

SZ: Es wird demnach keine weitere Folge von “Dirty Harry” geben.

Eastwood: Ich bin weder pleite noch lebensmüde.

SZ: Es ist naiv, aber man erwartet von einem Regisseur, der so bewegende Filme wie “Million Dollar Baby” oder “Gran Torino” dreht, eine gewisse emotionale . . .

Eastwood: . . . es zahlt sich nicht aus, während der Arbeit mit seinen Gefühlen hausieren zu gehen. Sie stecken in der Geschichte und im Drehbuch. Ich brauche ein ruhiges und konzentriert arbeitendes Team, um diese Geschichte umzusetzen. Ich brauche den richtigen Rhythmus, verstehen Sie?

SZ: Alles eine Frage des Rhythmus?

Eastwood: Rhythmus, ja, das können Sie vom Jazz lernen. (Pause). Verantwortung. (Pause). Demut schadet auch nicht. Ich hab’ Demut meinem Team gegenüber. Verunsicherte Leute killen jedes Projekt. An einem Film hängen viele Leute, Familien, Häuser, die sie abbezahlen müssen. Also liefert man besser gute Arbeit ab. Dazu gehört, dass der Häuptling seinen Indianern vermittelt, dass sie gute Indianer sind. Und ich bin der Häuptling.

SZ: Da sind wir bei der Verantwortung.

Eastwood: Exakt. Ich bin aber übrigens eh absolut nicht der Typ, der sein Leben analysiert.

SZ: Aber Sie sind doch Schauspieler!

Eastwood: Kein typischer. Ich fühle mich auch nicht in Rollen rein und so was. Ich spiele die Leute, die da im Drehbuch stehen, und so ist es gut.

SZ: Lägen Sie nun aber mal auf der Couch, was käme dabei ‘raus?

Eastwood: Sagte ich nicht gerade, dass ich es nicht tue? Doch, oder?

SZ: Aber da Sie nun selbst lächeln müssen, so erlauben Sie sich mal den Spaß!

Eastwood: Aufgewachsen in der großen Depression in den Dreißigern. Einige Frauen haben Glück gebracht, andere weißgott nicht. Einige gute Filme, einige andere Filme, an die sich zum Glück keiner mehr erinnert. Wenn Sie mir Psychotropfen geben und ich zu plaudern anfange, was meinen Sie, was dann los ist. No way, Sir.

SZ: Sie sprachen von Demut. Wie steht es um Ihre Demut vor Gott?

Eastwood: Hm . . .

SZ: Ich frage, weil Sie sowohl in “Million Dollar Baby” wie in “Gran Torino” die Vertreter der Kirche karikieren, oder?

Eastwood: In beiden Filmen sind diese Vertreter keine wirkliche Hilfe, Sie haben recht.

SZ: Stattdessen entscheiden die von Ihnen gespielten Figuren selbst über Leben und Tod. Ein Rest aus Dirty-Harry-Zeiten?

Eastwood: Nein, denn ich schieße niemanden mehr über den Haufen. Aber ich glaube, dass nicht irgendein Gott für unser Leben verantwortlich ist, sondern dass wir selbst das sind. Teils müssen wir es auch ertragen, das Leben, die Krankheiten, die Sachen, die unseren Kindern zustoßen, all das. Es bleibt uns nichts übrig. Ich habe Demut sicher nicht vor dem einen großen Gott, erst recht nicht will ich etwas mit der Kirche zu tun haben. Aber ich habe Demut vor der Schönheit, auch davor, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, diese Schönheit zu erkennen. Wieso rührt es mich zu Tränen, wenn ich Charlie Parker höre? Wieso, wenn ich in den Rocky Mountains stehe? Von München aus sehen Sie die Alpen, oder?

SZ: Absolut!

Eastwood: Ich erinnere mich kaum, schon mal eine so schöne Verbindung von Bergen, Seen und einer Stadt gesehen zu haben wie in München. Ob das ein Gott gemacht hat? Fragen Sie mal den Papst, der weiß es ja sicher. Es ist mir egal. Deswegen genieße ich diese Schönheit nicht ohne Demut. (…) Nur entlastet mich diese Demut nicht von meiner Verantwortung für mein Leben. Wir müssen unsere Sachen selber regeln.

SZ: Das Bild Amerikas, das Sie in Ihren jüngsten Filmen zeichnen, ist sehr düster.

Eastwood: Meine Heimat befindet sich keiner guten Lage, wie Sie wissen.

SZ: Sind Sie ein enttäuschter Republikaner?

Eastwood: Ich verbinde mit Politik keine Leidenschaften. Insofern hält sich meine Enttäuschung über die Republikanische Partei deutlich in Grenzen.

SZ: Wenn Sie ihr auch angehören.

Eastwood: Ich werde nicht austreten, nur weil sie gerade nicht cool ist. Ich fühle mich halt nur nicht für ihren Gesamtzustand verantwortlich. Ich bin Anfang der fünfziger Jahre in diese Partei eingetreten, weil ich Eisenhower verehrte, ich bleibe ihr bis heute verbunden, wenn auch stets kritisch. Ike (Eisenhower, die Red.) war ja auch kein lupenreiner Republikaner, wie Sie vielleicht wissen . . .

SZ: . . . er sympathisierte lange ebenso mit den Demokraten, oder? Ein eher überparteilicher Präsident, könnte man sagen.

Eastwood: So ist es. Und er arbeitete schon an der Aufhebung der Rassentrennung, als die Schwarzen noch für 80 Prozent der Weißen hier Menschen zweiter Klasse waren.

SZ: Sie nun waren zum Beispiel stets ein Gegner der US-Invasion im Irak.

Eastwood: Richtig. Ich mochte am republikanischen Gedanken immer diesen Willen zu einem starken, unabhängigen Amerika – mit freien, eigentverantwotlichen Bürgern, die ihre Freiheitsrechte verteidigen, zur Not auch mit der Waffe. Ich verstehe darunter aber nicht, dass wir in Länder einmarschieren und Religionskriege anzetteln. Da sehen Sie, wo die Religionen hinführen mit ihrem Nebel! Ich verstehe auch nicht, dass wir die Geheimdienste so gut bezahlen und dann trotzdem Zigtausende junge Soldaten opfern müssen.

SZ: Haben Sie sich mal eingemischt? Ihre Stimme hat Gewicht hier in den USA.

Eastwood: Ich habe – wie andere auch, mein demokratischer Kollege Paul Newman zum Beispiel – früh vor einem Flächenbrand gewarnt. Den haben wir nun. Was wir nicht haben: einen Plan, wie wir wieder rauskommen und was wir hinterlassen. Unsere Jungs wollen nach Hause zu ihrer Mum. Stattdessen gibt es jetzt noch andere Probleme, und ihr habt sie auch . . .

SZ: . . . die Finanzkrise.

Eastwood: So ist es. Was heißt also Enttäuschung über die Republikaner? Was interessiert mich die Partei? Das Land ist wichtig.

SZ: Froh über Obama?

Eastwood: Wie gesagt: Ich bin da leidenschaftslos. Er ist sympathisch. Ein junger Kerl.

SZ: Schafft er es?

Eastwood: Wenn er die verdammten Finanzhaie und den Schaden, den sie angerichtet haben, nicht in den Griff kriegt, kann er bald schon wieder abdanken. Ich bin ein Patriot, er scheint ein integerer Kerl zu sein: Also wünsche ich mir, dass er sich durchsetzt. Er macht den Leuten Mut, das ist wichtiger als alles andere.

SZ: Demnach weinen Sie Bush nicht nach.

Eastwood: Sprachen wir über Demut? Diese Administration hat sich aufgeführt wie eine Horde betrunkener Seemänner bei Windstärke zwölf. Ja, meine Trauer über diesen Abschied ist überschaubar.

SZ: Sie waren Bürgermeister Ihres Heimatstädtchens Carmel hier in Kalifornien.

Eastwood: Richtig. In den Achtzigern.

SZ: Und?

Eastwood: Ich brauche das nicht noch mal, nein. Ich bin ein Kontrollfreak. Ich will, dass die Dinge so laufen, wie ich es sage.

SZ: Ein Diktator?

Eastwood: Na, schon demokratisch. Also, man berät ein bisschen, und dann sage ich, wie es zu laufen hat. So sollte es doch sein, oder?

SZ: Sage ich auch immer.

Eastwood: So ist mein Verständnis von Demokratie. So drehe ich auch meine Filme. In Carmel nun kam damals alle paar Tage eine neue Interessengruppe – wie aus einem Hinterhalt: “Sir, wenn das so und so gemacht wird, entstehen denen da drüben Vorteile, uns aber Nachteile, und wir fragen uns, wieso Sie uns derart übel schaden wollen!” Jede dieser Gruppen beschwörte exakt dann eine neue Verhandlung herauf, wenn gerade was entschieden war. Ich wusste nicht mehr, wo ich war!

SZ: Sie waren in der Politik.

Eastwood: Und es ist nichts für mich. Ich bin auch nicht gut darin, immer nett zu sein. I am not good in kissin’ ass that much. Müssen Sie schauen, ob Sie das für Ihre Leser ins Deutsche übersetzen wollen . . .

Eastwood: Sie sind ein paar Jahre jünger als ich. Aber der Gran Torino gefällt Ihnen?

SZ: Wunderschönes Auto – aber das war ja auch noch vor der Ölkrise 1973, damals hatte die US-Automobilindustrie offenbar noch ein Selbstbewusstein. Oder?

Eastwood: Meine Frage an Sie ist: Wieso bauen sie heute überall diese scheußlichen Autos? Diese sinnvollen Hybridautos, die jetzt überall angepriesen werden, warum sind sie ohne jeden verdammten Sexappeal?

SZ: Ich würde Ihnen gerne widersprechen.

Eastwood: Diese Autos heute, sie schauen allesamt, als hätten sie in eine Zitrone gebissen! Diese verzweifelten und vulgären Visagen! Diese hochstehenden Ärsche! Was ist los? Nehmen die Designer die falschen Drogen? Will man in so einem Auto mit seinem Mädchen herumfahren?

SZ: Auch beim Anblick eines Autos müsste die Seele schwingen, oder?

Eastwood: So ist es. Wie bei einer schönen Frau.

SZ: Wer will schon eine vulgäre Lady?

Eastwood: Exakt. Wer will eine vulgäre Lady in einem Stretchanzug, wenn er eine schöne Dame in Chanel haben kann?

SZ: Mr. Eastwood, jetzt sind wir durch meine Fragen gehetzt in großer Eile . . .

Eastwood: . . . grüßen Sie mir das wundervolle München und die Seen und die Berge bitte!

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