“Es geht so nicht mehr”. Die Deutschen sind sich weitgehend einig, dass das Land in eine Schieflage geraten ist. Und Europa gleich dazu. Es gibt noch Optimisten, Antreiber und mutige Freidenker, die einen Ausweg suchen aus der Deutschen und damit auch europäischen Misere. So wie heute Malte Fischer in der NZZ: Es braucht mehr Unternehmer und kreative Zerstörung als Kapitalismuskritik, fordert er berechtigt. Aber das wird so nicht passieren und ich bin leider überzeugt, dass es strukturelle Gründe gibt, die weit über den Bedarf an Leuchttürmen und guter Stimmung hinaus reichen. Das System, so könnte man es drastisch sagen, arbeitet stärker an der Konservierung als an seiner Erneuerung. Und die Lösung ist zwar denkbar, aber aktuell weit weg und hat vor allem mit Europa zu tun.
Einer der von Journalisten gelieferten, ziemlich plumpen Analysen lautet, dass das deutsche Geschäftsmodell nur deswegen zum erliegen gekommen ist, weil es nun nicht mehr an der Trias von amerikanischer Sicherheit, russischem Gas und chinesischem Absatzmärkten hängt. Die eigentliche Misere sitzt viel tiefer, trifft die Kulturnation in einer kulturell-epochalen Veränderung, die von 1870 bis 2025 reicht und nun an ein Zyklusende kommt. Nicht nur die politischen Veränderungen zwischen den Blöcken Russland/China, Europa und den USA sind epochal, die wirtschaftlichen Veränderungen begleiten diese Veränderungen und unterstützen sie. Und sie laufen gerade alle nicht auf Europa zu, da Europa nicht in der Lage ist, die nächsten politischen Schritte zur Vollendung der eigenen Einheit einzuleiten. Genauso argumentierte es auch Hans-Werner Sinn in der FAZ, aber das ist noch nicht alles. Europa scheitert an sich selbst, weil es nicht den Willen zu Europa hat und weil seine Strukturen das aktuell noch verhindern.
Der wichtigste Grund für verhärtete Strukturen sind die Erfolge der Vergangenheit. Das Erfolgsmodell der deutschen Industrie ist so stark im gesellschaftlichen und im politischen Leben verankert, dass vielen nicht klar sein dürfte, wie tiefgreifend die nötige Veränderung ist, um auch im 21. Jahrhundert seinen Wohlstand zu erhalten. Denn die Zukunft der Industrie ist nicht so rosig, wie es scheint und zwar in keinem Land der Welt. Und um es vorwegzunehmen: Die Innovation und kreative Zerstörung ist so groß, dass es nur zwei Antworten darauf gibt, die möglich sind. Wir erfinden uns nicht neu mit einer Digitalisierungsoffensive, solange die bestehenden Strukturen nicht genau das verhindern helfen. Dafür müssten diese Strukturen zerstört werden und rein praktisch bin ich überzeugt, dass sie nur in einer fulminanten Krise zerstört werden können. Solange das System scheinstabil operiert, sind die Beharrungskräfte so groß, dass eine Reform “aus sich selbst heraus” unmöglich ist.
Bevor man die Strukturen erklärt, die die Reform behindern, kann man schon mal einen Ausblick auf eine Lösung geben, die aber wohl erst in 10-20 Jahren passieren kann. Die eine Antwort für die Zukunft führt in ein neues Europa mit einer politischen Union und eigener Armee, dass sich vereint und im Wettbewerb mit anderen Blöcken neu erfindet. Ein Europa, dass als starker Partner Amerikas funktioniert, denn im Wettbewerb zwischen den Blöcken China/Russland und USA kann es nur verlieren: Europa ist sicherheitspolitisch ein niemand, das bewies uns jüngst Nahost und das wird noch lange so sein. Es wird kein souveränes Europa ohne Amerika geben können, all diejenigen, die das anstreben und behaupten (so wie in der AfD) dürften trotz guter Absichten eher ein Tor in die Vergangenheit damit öffnen, dass schon einmal ins Desaster geführt hat. Deutschland ist für Europa zu groß, aber für die Welt zu provinziell, um eine globale Führungsmacht zu sein. Es fehlt auch eine politische Elite, die Zusammenhänge von Sicherheit bis Ökonomie in weltweiten Zusammenhängen denken kann.
Die andere, eher dunkle Aussicht auf die nächsten Jahre ist leider aktuell wahrscheinlich. Strukturelle Erstarrung und Verteilungskämpfe werden schlimmer. Sie werden einen dauerhaften Bedeutungsverlust Europas zementieren, der die Nationalstaatlichkeit zunächst wieder verfestigt. Ein Europa, das soziale und gesellschaftliche Spannungen in eine eher autoritäre Staatsform drängen wird, ist denkbar. Sie mag Demokratie genannt werden, aber wird mit repressiven Methoden ihre unzufriedenen Bürger kontrollieren. Eine DDR 2.0 mit linkem Einschlag ist da so wahrscheinlich wie eine rechte Technokratie mit Ressentiment. Es wird aber nicht gut ausgehen können, wenn sich Europa nicht in allen Dimensionen neu erfindet und dazu braucht es ein großes gemeinsames Projekt. Eine Grand Strategy, so wie Sie Gerald Braunberger vorschlägt, hat noch nicht die Hürden zu einer erfolgreichen Zukunftsplanung adressiert, dafür müssen Strukturen überwunden werden und die Zeichen der Zeit müssen richtig stehen.
Kommen wir auf die eigentlichen Gründe für den Niedergang zu sprechen, damit klar wird, worum es grundsätzlich geht:
1.) Das Ende der industriellen Wertschöpfung
Das Wirtschaftswachstum dürfte dauerhaft gering ausfallen, nicht weil die deutsche Industrie Schwierigkeiten mit dem eAuto hat oder mit KI in der industriellen Automation. Der Kern des Problems liegt in der geringen Wertschöpfung, die alle industriellen Anwendungen eint. Und sie sind der Kern des deutschen und europäischen Wirtschaftsmodells bis heute. Natürlich gibt es Software oder KI-Unternehmen gewisser Qualität in Europa, aber es sind viel zu wenige und sie wachsen nicht stark genug. Deutschland hat den raketengleichen Aufstieg des Automobils ab 1870 erlebt wie der industriellen Chemie, sie hat es aber nicht vermocht, neue Industrien zu erfinden und das hat strukturelle Gründe wie die enge Verpflechtung von Politik und Wirtschaft bis heute. Schwerindustrie, Metall- und Elektroindustrie kamen, verließen aber wegen Billiglohnkonkurrenz den Standort auch teils schon seit Jahrzehnten. Allen Sektoren der europäischen Industrie ist gleich, dass sie für einen technologischen Entwicklungszyklus stehen, der jetzt über 100 Jahre alt ist. Und für die Menschheit sind die Produkte so selbstverständlich und groß im Angebot, dass sich nach deutschen Produkten niemand mehr so stark die Finger leckt wie nach iPhone und ChatGPT. Basischemie kann man aus Arabien oder aus China günstig beziehen, niemand ist auf tariflich bezahlte deutsche Chemiewerker angewiesen wie es mal der Fall war. Im Fahrzeugbau sprechen einige Beobachter sogar von einem technologischen Vorsprung der Chinesen, die erheblich mehr experimentieren. Keine der deutschen Industrien (bis auf Ausnahmen in der Pharmazeutik) zeigt eine Überlegenheit, die dauerhaft Wohlstand sichert durch Exporte. Die Wertschöpfung eines kleinen iPhones ist erheblich größer als die eines deutschen Kleinwagens. Die Profite, die mit Software erzielt werden können, sind denen von chemischer Industrie oder Maschinenbau um Größenordnungen voraus. An diesem Strukturwandel aber nimmt Deutschland kaum Teil, denn die neuen Informationstechnologien finden in Deutschland nur in vergleichbar geringem Umfang statt. Erschwerend hinzu kommen noch Fehlsteuerungen wie die überteuerte #Energiewende und die überambitionierten Klimaziele. Sie werden den Niedergang der europäischen Industrie nur beschleunigen, aber sicher nicht abmildern helfen.
2.) Die strukturellen Verpflechtungen in der Gesellschaft verhindern die kreative Zerstörung
Am Beispiel des Finanzsektors lässt sich aufzeigen, warum in Deutschland junge Technologien und Startups erschwerte Bedingungen vorfinden. Mal abseits von der Misere in Bildungsinstitutionen und Universitäten ist das Finanzsystem in Deutschland nur teilweise privatwirtschaftlich organisiert. Die Politik spricht mit und Wirtschaftsführer sprechen auch in den Banken mit. In kommunalen Sparkassen und Volksbanken finden Sie überall diese personelle Verpflechtungen, sie vergeben den Schmierstoff des Systems, das Kapital. In Beiräten sitzten die Führer großer Industrieunternehmen, die dort mit Bankern und der Politik zusammentreffen. Die gleichen Politiker finden sich dann auch in Aufsichtsräten wieder, man kennt sich. Das deutsche Modell bedeutet, dass ein industrielles Unternehmen mit beträchtlicher Größe und Tradition sich erheblich leichter finanziert als eine junge Tech-Industrie. Es finden sich kaum Software-Unternehmer in Beiräten von Banken, denn es gibt ja auch vergleichsweise wenige in Deutschland.
Als Steve Eismann und Greg Lippton, die den berühmten “Big Short” 2007 in der Finanzkrise gegen Großbanken platzierten, sich über “Stupid Money from Dusseldorf” amüsierten, meinten Sie genau diese Strukturen (https://www.youtube.com/watch?v=DJPrmT847Vo). Banken wie kommunale Sparkassen und die Landesbank WestLB waren in der Finanzierung von traditioneller Industrieunternehmen erfahren, tappsen aber noch heute wie ein Elefant im Porzellanladen durch junge Gründerstrukturen und finanzieren im Zweifel lieber bekannte Anwendungen als junge Disruptoren. Soviel Provinz und Politik wie in der WestLB sorgt dann auch dafür, dass sie große Risiken einkaufen, die sie besser gar nicht kaufen sollten. Sie sind blind sowohl für innovative Finanzprodukte wie für auch privatwirtschaftliche Chancen und Risiken. Im Zweifel hindert die Sparkasse die kommunale Aufsicht daran, Risiken einzugehen wie es sonst nur Venture Capital und Hedgefunds tun könnten. Diese Industrie existiert in Deutschland aber kaum. Als kleiner Business Angels mit 100.000 bis 500.000 € Risikokapital wie ich selbst sind sie schon ein Riese von Kapitalgeber im deutschen Markt. Im Silicon Valley sind sie dagegen da nur einer von vielen, erheblich größeren Investoren, die siebenstellig investieren. Kein Wunder, dass sich Startups da viel leichter tun, sich in den USA zu finanzieren, das System arbeitet mit Ihnen daran, neue Stars zu produzieren und nicht Denkmäler bspw. aus sozialpolitischen Gründen zu konservieren (Grüner Stahl ist wohl das teuerste Beispiel solcher Fehlallokation).
3.) Weltpolitische Verschiebungen fallen in Summe dauerhaft nachteilig für Europa aus
Die Deutschen betreiben unwissentlich eine Art Merkantilismus und zwar bis heute. Deutscher Wohlstand beruhte immer auf dem Export, über 50% der Privatwirtschaft basierten darauf, was zu einer dauerhaften Aufwertung der D-Mark führte und viel politischen Druck aufs Ausland entlud. Ausgeglichene Handelsbilanzen waren den Deutschen fremd, sie fanden es normal, eigene Lohn- und Gehaltsstrukturen so konkurrenzfähig zu halten, dass sie mehr exportierten als importierten. Trump ist nur ein Politiker von mehreren, die mit diesem System, das für Verwerfungen sorgt auf sozialen wie politischen Ebenen, Schluss machen will. Das bedeutet, dass die Deutschen ohne eigene Sicherheitspolitik und ohne die Garantie des Freihandels gar nicht mehr so agieren können – sie sind verletztlich und angreifbar, selbst wenn sie in der Lage wären, Lohnnebenkosten und teure Energiekosten irgendwie wieder auszugleichen. Warum deutscher Merkantilismus so schwierig ist, lässt sich gut am chinesischen Modell erklären, die es ähnlich betreiben: Sie subventionieren Ihre Industrie und sorgen für eine knallharten Wettbewerb auf Auslandsmärkten, wo die Produkte unerreicht günstig und gut sind. Für das Land, dass diese Produkte importiert, ist es dagegen kaum möglich, ähnliche Exporte ins Absenderland zu liefern. Das ist in der Tat weder fair noch gerecht, das System der Leistungsbilanzüberschlüsse erzeugt Probleme und diese werden aktuell nicht richtig adressiert.
4.) Die Deutschen verhindern den nötigen Liberalismus selbst
Alle wissen, dass die Bürokratie in Europa zu restriktiv und risikoavers ist. Und das ein fehlender Wirtschaftsliberalismus im Geiste der Wirtschaftspolitik nicht zu Marktwirtschaft führt, sondern in noch mehr staatliche Regulierung. Eine Staatswirtschaft mit sozialistischen Zügen ist immer deutlicher erkennbar, sowohl auf deutscher wie auch europäischer Ebene. Dass die Deutschen selbst Kapitalimus, Markt und vor allem der Idee der Liberalität kritisch gegenüber stehen, hat eine lange Geschichte. Der aktuelle Cicero hat mit “Der Disruptor” die Unterschiede im argentinischen Modell von Javier Milei zu deutschen Problemen hervorragend ausgearbeitet. Sie zitiert Thomas Petersen vom Allensbach Institut für Demoskopie. Petersen sagt, dass sich Argentinien und Deutschland in einer langen Tradition des Obrigkeitsdenkens gleichen. All den Umfragen von Allensbach seit fast 80 Jahren sei zu entnehmen, dass “die Deutschen trotz Lippenbekenntnissen zur sozialen Marktwirtschaft den Gedanken zu freien, sich selbst organisierenden Wirtschaft wie in den USA nie wirklich akzeptiert haben.” Für die Deutschen ist es schlicht nicht vorstellbar, dass die Sachen besser laufen, wenn sie nicht vom Staat reguliert werden. An diesem Gedankengut ist aber Argentinien zu Grunde gegangen und Milei versucht es davon zu befreien: Er kämpft dabei gegen eine jahrzehntelang von Peronisten und Linken betriebenen Gehirnwäsche, die in Deutschland nicht weniger stark ausgeprägt ist.
Besonders deutsch ist die Tradition autoritärer Staatsführung und staatlich organisierter sozialer Sicherheit. Dieser “Geburtsfehler” rührt auf preußischen Obrigkeitsstaat einerseits zurück und die Arbeiterbewegung andererseits. Bismarck wie die Arbeiterbewegung hat die die Ideen von Freiheit und Rechtstaatlichkeit der Revolution von 1848 gemeinsam bekämpft, sie hat sie nicht wirklich aufgegriffen. Liberalismus in Deutschland ist immer staatstragender Liberalismus geblieben. Bismarck führte die Sozialversicherung ein als Tribut an die Linke, um sie zufrieden zu stellen. Und um so gemeinsam den Liberalismus, den gemeinsamen Feind, zu verhindern. Dieser deutsche Sozialstaat könnte sich als stärker erweisen als alle liberalen Ideen für die Wirtschaft, die es tatsächlich heute bräuchte. Deswegen werden wirtschaftliberale Ideen erneut von autoritären Politikern selbst aus der Mitte der Gesellschaft von SPD bisCDU bekämpft. Egal, ob von AfD oder Linkspartei, ein ordoliberales Denken wie es Ludwig Erhard gepredigt hat, dass haben die Deutschen eigentlich nie wirklich in sich aufgenommen. Sie haben es falsch verstanden als ein gut geregelter Staat, dem eine Politikerkaste für sie vorsitzt mit einer großen Sozialversicherung. Der Staat ist für die Deutschen kein Wohlstandsexperiment freier Individuen und freier Märkte mit einem sozialen Versicherungsprinzip für die Schwachen, selbst wenn es auf dem Papier so ist. Die 68er haben später sogar noch dafür gesorgt, dass die Erwartungen an den Staat immer weiter aus dem Ruder gelaufen sind und der Staat selbst, so sagt es ja Bundeskanzler Friedrich Merz längst, sich den Sozialstaat nicht mehr leisten kann. Hand in Hand mit der grünen Bewegung hat Merkel den Sozialstaat so ausgebaut, dass er wirtschaftliche Properität und Freiheitlichkeit behindert. Und da die Politik ihn so nicht reformieren kann, dürfte der Sozialstaat ein Ballast sein, der die Wirtschaft weiter nach unten ziehen dürfte. Und zwar noch für einige Zeit, bis ein gewisser Kipppunkt erreicht ist, wo auch harte Reformen wenig Wirkung für die Wirtschaft zeigen dürften.
Die Lösung ist leider nicht so einfach, wie wir uns das wünschen würden. Sie hat nichts mit dem Mut der Politik zu tun, wir müssen große Strukturen aufbrechen und Ihre Kräfte, die sie stabilisieren. Wer heute wirtschaftsliberal und freiheitlich denkt, ist Teil einer kleinen, unbedeutenden Minderheit in Deutschland. Die Antwort, wie die großen Reformen von 1871 Deutschland mal gelungen sind, wie ein neues Zeitalter mit einem modernen Staat begann, den es jetzt wieder bräuchte, die brauchen ein wenig Geschichtsverständnis. Die großen Reformen waren nur möglich wegen der deutschen Vereinigung, einem gigantischen Reformprojekt. Es war 1871 das Ende der Kleinstaaterei, vorsintflutlicher Verwaltung und der Zollgrenzen – ohne ihre Abschaffung wäre es nie zum Aufschwung Deutschlands gekommen. Es darf aber kein Geheimnis bleiben, was Bismarck für die Vereinigung Deutschlands brauchte: Krieg. Und zwar mehrfach. Die Vereinigung geschah nicht von selbst, sie wurde aktiv behindert, aber ohne sie hätte sich Deutschland nie auf einen modernen Weg gemacht. Dass Preußen im ersten Weltkrieg dann seinen Untergang findet, ist keine Konsequenz dieser Reformen, sondern vieler späterer Fehler nationalistischen Denkens in Europa.
Ohne diese Form von Machtpolitik, die über den Krieg zur Vereinigung findet, wäre es nie zum Deutschen Reich gekommen. Deutschland wäre in der Kleinstaaterei hinter England und Frankreich zurückgefallen. Heute fällt ganz Europa gegenüber China und Amerika zurück und fällt erneut durch Kleinstaaterei in Europa auf sowie ein technokratisches Brüssel, das nur sich selbst dient. Niemand will einen Krieg zur Vereinigung Europas, aber da dürften doch alle schlucken, wenn man darauf hinweist: Der Krieg ist doch längst da. Was ist denn in der Ukraine anderes zu erkennen als der Beginn kriegerischer Handlungen. Den Krieg zu beenden könnte nicht nur sicherheitspolitische Veränderungen bedeuteten, ausgerechnet aus diesem Krieg könnte sich eine positive Veränderung ergeben, nämlich eine Chance, Europa doch als Einheit politisch, militärisch und wirtschaftlich zu vollenden. Wie, das ist noch nicht zu sehen, aber es ist eine ferne Möglichkeit. Die Vereinigung Europas bedeutet sicher nicht, die kulturelle Identifikation und die Vielfalt Europas abzuschaffen, im Gegenteil, für diese kulturelle Vielfalt ist Europa doch der beste Hafen und es macht ihn zum schönsten Kontinent der Welt. Und dieses Europa kann im Binnenverhältnis dauerhaft befriedet werden, wenn es nationale Besonderheiten so achtet wie es ein förderaler Staat in Deutschland ja auch tut.
Heute wäre das logische, zwingend nötige nächste Projekt also die echte politische und wirtschaftliche Vereinigung Europas. Hunderte Milliarden an Wachstum wären so möglich, wenn man einen Wirtschaftsraum schafft, der wirklich mit dem Amerikas mithalten kann. Aber die Vereinigung heute zu starten würde bedeuten, wie Ikarus vom Himmel zu fallen. Es gibt kein Momentum, es genau jetzt zu tun, eher spricht der Lauf der Zeit aktuell noch gegen ein solches Projekt. Dazu hat besonders die verfehlte Migrationspolitik beigetragen. Wie es aussehen könnte, das ist nicht so schwer zu erkennen: Mit einer gemeinsamen Armee, die Interessen weltweit durchsetzen könnte. Europa ist kein Spielplätz externer Mächte, Europa müßte stark werden und zusammenfinden. Europa wird dies langfristig am besten auf Augenhöhe mit Amerika tun, denn im freien Spiel der Kräfte geht es für Europa aktuell schlecht aus. Souverän zwischen Blöcken wie Russland, China und Amerika wird Europa nicht funktionieren, sondern auseinandergenommen. Am besten wäre der Kontinent als ein neuer Hybrid aus Marktwirtschaft, Sozialsystem und Liberalimus zu denken. Europa muß die Freiheit jedes einzelnen Europäers genauso betonen lernen wie den fairen Sozialstaat, somit unbedingt auch die Briten wieder einschließen. Diese werden sicher nicht einen ausufernden Sozialstaat kopieren, woraus sich die Chance für einen reduzierten Sozialstaat auch im Süden Europas ergeben kann. Innovation, Technologie und Disruption können jedenfalls nur stattfinden, wenn der Staat wieder das freie Spiel der Kräfte in einem großen europäischen Binnenmarkt erlaubt. Erst dann hat man eine echte Chance gegen amerikanische oder chinesische Wettbewerber. Nur ein paar Panzer und Raketen zu beschaffen, das wird Europa alleine nicht helfen. Die Zukunft ist technologisch noch in vielen Bereichen offen, aber europäische Unis müssen Spitzenforschung auch wieder wollen müssen.
Noch ist dieses Projekt nicht zu erkennen und es dürfte noch Jahre des Niedergangs brauchen, bis die Europäer erkennen, dass sie gar keine andere Wahl haben. Und gegen die Gehirnwäsche von noch mehr Staat werden wir uns noch lange wehren müssen. Dieses neue Europa darf sicher nichts mit dem aktuellen Brüssel zu tun haben, das selbst dysfunktional geworden ist. Europa vollenden oder untergehen – Helmut Kohl hatte diese Idee schon vor 30 Jahren, aber da kam ihm die deutsche Einheit dazwischen. Nun schreien Krisen wie Ukraine, die Blockade in Frankreichs Innenpolitik, die deutsche Misere und der Brexit eigentlich danach, dass alle eine ganz große Reform gemeinsam brauchen. Damit die Zeit und die Geschicke für eine europäische Einheit sprechen, braucht es aber erst den richtigen Zeitpunkt, die richtigen Personen und das gemeinsame Ziel, den Hauch der Geschichte. Das ist aktuell noch nicht der Fall, die Krise ist leider noch nicht groß genug und erst in der dunklen Stunde wird man entscheiden können, wo das Licht ist und wo die Dunkelheit. Es ist nicht gesagt, dass dieses Projekt Europa wirklich passiert, die Vorbehalte und Ressentiments sind wegen Brüsseler Fehler bspw. in der Migration aktuell so groß, dass es definitiv zu früh für ein solches Projekt wäre. Die Alternative ist aber so düster, dass wir darüber nicht lange nachdenken sollten, sondern die Angst vor dieser Phantasie als Antrieb nutzen für ein besseres Europa, dass seinen Platz auf der Welt finden wird. Es gibt auf Dauer eh keine Alternative, das dürfte der Lauf der Geschichte von uns allen eines Tages fordern.