Shinkansen vs. ICE

2 Wochen lang bin ich in Japan mit dem Shikansen unterwegs gewesen, dem japanischen Hochgeschwindigkeitszug. Pfeilschnell, immer verlässlich, immer pünktlich. Einfach irre gut. Und durfte dann bei meiner Rückkehr in Deutschland wieder das täglich Brot des ICE-Fahrgastes erleben: “Meine Damen und Herren, unsere Abfahrt verzögert sich um eine noch nicht bekannte Dauer, da wir erst eine Zange finden müssen, um ein am Zug hängendes loses Teil abzumachen, dass auf den Gleisen schleift. Wir bitten die Verzögerung zu entschuldigen!”Bei einer geplanten Zugfahrtdauer vom Frankfurter Flughafen zum Kölner Hauptbahnhof erreicht die Bahn satte 37 Minuten Verspätung. Man kennt das ja. Aber ist das alles, warum Shinkansen-fahren für deutsche Bahnkunden wie der feuchte Traum der Fortbewegung auf 2 Gleisen wirkt?

Wenn man über den Shinkansen etwas liest, dannn gibt es so allerlei kurioses. Z.B. dass ein Zugführer abgemahnt wurde, der wegen eines Toilettenganges seinen Führerstand verlassen hatte. Aufgefallen war dies, weil der Zug eine Minute Verspätung hatte. Diese eine Minute war Anlass genug für eine Untersuchung (!), bei der das Fehlverhalten herauskam. Wir können uns leicht vorstellen, dass die Bahn vor Untersuchungsverfahren gar nicht wüßte, wo sie anfangen sollte bei einer so absurd geringen Verspätung. Übliches Verhalten für den Shinkansen-Zugführer und seine Zugbegleiter ist noch etwas anderes: Fährt er seinen Zug nur Sekunden zu spät am Zielbahnhof ein, ist das Grund für einen Kotau, eine große Entschuldigungsgeste. Das habe ich auf der Fahrt Tokio-Kyoto selbst erlebt: Der in einer Uniform und weißen Handschuhen gewandte Zugführer verbeugt sich vor den Zuggästen (es ging um wenige Sekunden). Da kann man leicht über den Umstand der Verspätung besser hinwegsehen, während in Deutschland die Entschuldigungsgebete derart oft und kraftlos aus dem Lautsprecher quäken, dass es den Frust über das Bahnchaos in Deutschland selten dämpft. Doch was sind die echten Unterschiede zwischen den Angeboten:

Ein echter Schnellzug

Der Shinkansen ist auf dem Papier kaum schneller als ein ICE4, er schafft 300 km/h in der Version N700. Aber er ist viel schneller. Nein, er ist sauschnell, weil dass tatsächlich schon nah in Richtung Durchschnittsgeschwindigkeit geht. Er ist dermaßen schnell unterwegs, dass er das geographisch viel ausgedehntere Japan in kleine Häppchen unterteilt und Fliegen umständlich macht. Wer überhaupt fliegt, der tut dies auf Strecken >1.500 km würde ich mal annehmen, vorher sind die Nachteile des Fliegens größer (Flughafen erreichen, Abfertigung, Kontrollen, Warten, usw.). Der Shinkansen erreicht schon Minuten nach Verlassen einer Station 300 km/h. Ich konnte kaum fassen, dass er das auch immer durchhält. Es gibt einfach keine Streckenabschnitten, die Temporeduzierung erfordern. Wenn man mit 30km/h mit dem ICE für 10 – 15 km auf der angeblichen “Rennstrecke” Frankfurter Flughafen-Köln Hbf am Zielbahnhof einläuft, dann wirkt der ICE nur noch wie ein Bummelzug. Auch der ICE schafft ab und zu seine Maximalgeschwindigkeit, aber schon kurze Zeit später muss er vom Gas gehen – halt in einem Dorf wie Montabaur. Die neue Shinkansen-Generation Alpha X wird übrigens ab 2023 mit 400 km/h Marschgeschwindigkeit an den Start gehen. Und sie wird diese Geschwindigkeit auch erreichen, nicht nur auf dem Papier.


YouTube-Video: Ein N700 schiesst neben uns mit knapp 300 km/h durch den Bahnhof Himeji. Können Sie sich das in Deutschland vorstellen?

Der große Wurf im System

Der Shinkansen sieht nicht nur nach Speed aus, sein ganzes System ist ein Quantensprung zum normalen IC-Verkehr. Dazu gehört die sehr breite Kabine, bei der 5 Gäste auf Flugzeugsesseln mit sehr viel Beinfreiheit sitzen. Es schaukelt nichts, der Zug kann zu jeder Zeit zu Fuß durchgangen werden. Das versuche man mal beim ICE! Grund ist natürlich das Schienennetz, dass diesen Quantensprung erlaubt. Im Gegensatz zum deutschen System sind alle Gleise auf Highspeed-ausgelegt und i.d.R. einfach pfeilgerade mit sehr geringen Radien. Die IC-Verkehr? Existiert nicht, es gibt in Japan entweder die U-Bahn oder ein Regionalzug ähnliches System. Frachtzüge verlieren nie den Weg aufs Hochgeschwindigkeitsnetz, weswegen der Shinkansen zu jeder Tages- und Nachtzeit fährt.

Der Takt ist der Takt ist der Takt ist der Takt

Als ich in Osaka mal angstschweißgetrieben wie bei deutschen Bahnkunden üblich zum Bahnhof rannte, um unseren gebuchten Sitzplatz nicht zu verlieren, merkte ich erstmals, was Taktung in Japan heißt. Alle 10 Minuten geht es von dort aus nach Tokio. Und zwar auf 3 Gleisen gleichzeitig. Alle großen Metropolen werden mit einem sehr engen Takt angefahren und: Sie sind pünktlich. Sowohl bei An- und Abfahrt gilt immer: Wir erreichen die pünktliche Sekunde. Und wie das wie ein japanisches Uhrwerk läuft, ist beeindruckend.

Kein Chaos, nur Ordnung, Sauberkeit und Disziplin

Wenn man bei der deutschen Bahn die Schwachstellen als Passagier zusammenfasst, dann ist es eigentlich fast immer das gleiche:

– Verspätung wegen technischer Defekte
– ungeplante neue Wagenreihung (Run, Forrest, run!)
– ungeplanter überraschender Gleiswechsel
– überraschender Fahrplanwechsel (von dem Sie nichts wußten!)
– Anschlusszug verpasst als Folge von s.o.
– kein WLAn, usw.
– hohe Preise
– kein Sitzplatz
– usw.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das WLAN im Shinkansen funktioniert auch bei 300 km/h immer, auch im Tunnel. Niemand telefoniert deswegen, es ist leise und Datenpackete verlassen den Zug absolut leise. Am Bahnhof erlebt man schon die wunderbare Seite der japanischen Ordnung, dass es nie zu Wagenreihungsänderung oder Gleiswechsel kommt. Es ist sogar so, dass man auf den Meter genau am Gleis schon sehen kann, wo der Wagen halten wird, der für den Fahrgast auch der Richtige ist. Und da hält der Zug immer und immer wieder genau an – jeden Tag! Das ist etwas, wonach nicht mal jemand fragt, auch der Fahrplan bleibt über das Jahr hinweg…. gleich. Es ist deswegen vollkommen überflüssig, Fahrplanwechsel vorab zu prüfen – es gibt sie einfach nicht. Alles ist verlässlich. So wie die Sonne von Japan aus im Osten aufgeht, jeden Tag.

Auch dass diese Zuverlässigkeit nicht wie Manna vom Himmel fällt, sondern aus sehr viel Disziplin herrührt, ist in Japan schnell offensichtlich: Es ist zunächst mal überall EXTREM sauber. Es gibt auch keine vollen Mülleimer, denn in Japan fühlt sich jeder Fahrgast für seinen Müller tatsächlich verantwortlich und nimmt ihn mit, wenn er ihn nicht entsorgen kann. Das verleitet mich dazu, eine kleine Anekdote einzustreuen, die mir ein Rentner aus Singapur erzählte. Ich fragte ihn, ob Singapur noch sauberer sei als Japan wegen der hohen Strafen. Diese Strafen, meinte er, seien eh nur für Ausländer. Das Prinzip der Sauberkeit sei aber in beiden Ländern genau gleich aufgebaut. Wenn ich in einem deutschen Zug fahren würde, würde ich sicher erleben, wie Menschen Ihren Müll achtlos entsorgen. In Japan würde die Erziehung zur Sauberkeit in der Familie beginnen und in der Schule würde sie nur verstärkt. Danach sei alles so dermaßen eingebrannt, dass man nichts mehr tun müsse. Jeder trage die Verantwortung für seinen Müll. Würde ich in Japan also im Zug meinen Müll fallen lassen, würde der Zugführer am Tagesende diesen finden und ihn dann zu “Lost & Found” bringen.

Gut, die Anekdote ist am Ende ein wenig überspitzt, aber die Erziehung zur Sauberkeit merkt man eben überall. Den Rest, würde ich hinzufügen, erledigt der kollektive Druck, den Japan begreift sich als eine Art Familie, ein Versagen der Disziplin ist ein Affront gegen alle und isoliert das Individuum von der Familie. Doch damit ist auch klar, dass es im japanischen System für die Sauberkeit zwei Spieler gibt, die Bahn selbst und die Fahrgäste. Im ICE, wo übervolle Mülleimer ab nachmittags die Regel erscheinen, sieht man eher, wie die Erziehung sich in unserem Land eher in die Verantwortungslosigkeit verflüchtigt hat. Es mag sich ja drastisch anhören, aber selbst ein neuer ICE4 wirkt, wenn man im Flughafen in Deutschland wieder ankommt, ziemlich siffig. Der Shinkansen hat dies auch teils durch seine Materialauswahl geschickter gelöst, statt dicken Teppich gibt es glatte Oberflächen, Griffstellen sind aus poliertem Aluminium wie in einem Flugzeug. Im Shinkansen gibt es nur 1 großen Mülleimer am Ausgang (mit 300 l Volumen, selten überfüllt deswegen), den die Zuggäste befüllen können. Der Vorteil: Er kann in Sekunden vom Zugpersonal entleert werden. Einen ICE zu reinigen dauert durch die Vielzahl an Mülleimern natürlich viel länger. Da liegt das Problem teils auch am Design des Zugs – wo gibt es sowas im Flugzeug? Da hat die Bahn nicht so mitgedacht.


Abbildung: Wie in einem Jet ist der Innenraum des Shinkansen (hier 2. Klasse) gestaltet, 5 Personen nebeneinander. Die Beinfreiheit ist üppig an jedem Platz.

Danke Shinkansen, danke Zugbegleiter für Eure Ruhe & Stille

Läuft einer der Zugbegleiter durch den Shinkansen, dreht er sich am Ende des Wagens immer um. Das erste Mal konnten wir das kaum fassen. Er dreht sich um, um sich zu verbeugen. Vor uns! Den Fahrgästen. Ich weiß nicht, ob sie das nur für eine kulturelle Besonderheit halten, für mich drückt es aus, dass jeder Bahnmitarbeiter ganz genau weiß, wen er da befördert: Menschen, die er respektiert und deren Respekt er genauso sucht. Ich kann gar nicht sagen, wie ich es zu schätzen wußte, dass man als Fahrgast einfach nie pressiert wird. So ist es bspw. niemals nötig für einen Zugbegleiter, die Fahrscheine zu prüfen. Dafür gibt es überhaupt keinen Prozess oder gar Geräte. Im Shinkansen wird das ganze Thema durch die automatischen Gatter am Bahnhof geregelt – ohne Ticket kommt einfach niemand rein. Peng, aus, fertig. Wenn Sie am Zugang Schwierigkeiten haben, dan gehen Sie zum Bahnhofpersonal oder Ticketbüro. Selbst das steht übrigens auch in Japan an jedem Zugangsautomaten, es wurde also nicht nur gespart. So einfach das ist mit dem Zugang am Bahnhof, so wenig Ärger gibt es im Zug. Apropos Bahnhof, auch hier gibt es große Unterschiede zu Deutschland.

Bahnhöfe – Erholungsoasen für Reisende und Shopping-Meilen der Extraklasse

Japanische Bahnhöfe sind x-mal größer als deutsche Bahnhöfe. Sie sind unterirdisch zu hunderte Meter langen Passagen ausgebaut worden. Sie zu durchlaufen ist eine ziemliche Anstrengung, das ist eher kein großes Plus für den Fahrgast. Dafür haben sie aber ein unglaubliches Angebot an Restaurants und Märkten. Diese Märkte sind aber nicht wie in deutschen Bahnhöfen einfache Ketten wie Douglas oder Husserl. Für Pralinen und Süssigkeiten gibt es mehrere Anbieter mit handgemachten Produkten. Es gibt Luxusshops von Chanel bis Gucci neben Discount-Anbietern. Ich glaube, es gibt nicht sehr viele Shopping-Meilen in Deutschland, die so edel sind wie die Malls am Bahnhof Kyoto oder Tokio. Ein Grund zudem sind die Food-Malls: Wer in Japan die besten Ramen essen will, muss nicht in irgendwelche abgelegenen Straßen, nein, er geht in Tokio zur Ramen-Street im 2. Untergeschoss des Bahnhofs und hat dort zwischen 6 exzellenten Läden die Qual der Wahl (nur für Ramen!).

Entsprechend der Größe des Angebots und seiner Qualität findet der Reisende alles für effiziente Reisen: Was zu essen, Kleidung, Geschenken für die zu Besuchenden, Haushaltswaren, Drogerieartikel, Bentos, usw. Als großer Fan der japanischen Küche auch hier ein Unterschied, der wesentlich sein dürfte: In Deutschland gibt es die berühmten Mitropa-Speisewagen, in denen das Bier noch das Beste Angebot sind. Beim Essen aber, seien wir ehrlich, wird ansonsten Pampe angerührt und teuer verkauft. Im Shinkansen gibt es gar KEINEN Speisewagen und niemand vermisst ihn. Warum? Weil stattdessen die Bahnhöfe abertausende Bentos anbieten: Sie suchen sich also aus dem riesigen Angebot eine Bento mit mehreren kleineren Gängen aus und das kostet sie vielleicht 10 Euro. Bier, Softdrinks & Co, alles gibt es in den Shops am Bahnhof eisgekühlt für kleines Geld. Im Zug hat jeder Sitz natürlich eine ausklappbare Tabletlösung, wo sie komfortabel speisen können und das tun die Japaner auch nahezu allesamt (im Gegensatz zur U-Bahn übrigens). Wer will da noch in den Speisewagen? Zudem, bei dem Speed dauert in Japan fast keine Zugverbindung zwischen den großen Metropolen mehr als 3h, während Hamburg-München locker 7 h im Bummelzug (pardon) dauert. Da freut man sich auf den Speisewagen als Trostplaster in der Hölle, aber ist das wirklich ein Highlight?


Abbildung: Im Shinkansen gibt es Bentos. Nicht so wirklich vergleichbar mit dem ICE Speisewagen, was man so sieht…

Kurios dann doch noch, dass die Raucher weiter eine Lobby in Japan haben: Zwar wird nirgendwo laut geredet, was einen Ruhewagen nötig machen könnte, aber einen Raucherwagon gibt es trotzdem weiterhin. Davon habe ich allerdings nur gehört, dieses Abteil habe ich nicht betreten. Wohl aber habe ich die Raucherabschnitte in den Bahnhöfen gesehen, die neben den Lounges am Bahnhof gibt (gibt es das bei der Bahn überhaupt?)

Ist der Shinkansen am Ende teurer oder billiger, wäre noch eine interessante Frage. In Deutschland möchten einige ja am liebsten den kostenlosen Schienenverkehr, aber in Japan ist das nicht der Fall. U-Bahn und Regionalzüge sind sehr günstig, teils kosten lange Strecken in Tokyo nur 2-3 € pro Fahrt. Der Shinkansen ist eher preislich angemessen: So kostet die Strecke Osaka-Tokio 14.200 Yen, also etwa 130,-€ für eine 1200 km lange Fahrt. Deutsche Bahnfahrer würden nachfragen: Gibt es die Bahn-Card, gibt es Flex- und Sonstwastarife? Es gibt KEINEN anderen Tarif. Es gibt keine Sparmeilen, es gibt keinen Bonus. Ganz, ganz einfach. Weil nämlich viele deutsche Kunden vergessen haben, was der Sinn des ganzen Tarifdschungels ist: Verkleistern, was die Chose kostet. Transparenz geht sicher anders und ich vermute mal, die kosten sind in Deutschland wegen der insgesamt schlechteren Auslastung so oder so höher.

Zeit, die Bahn zu rügen?

Ach nein, sparen wir uns den “Rant”. Dass bei der Bahn sehr viel im Eimer ist, wissen wir doch alle. Es ist ja fast so üblich wie das Meckern über die mäßigen Schulen und fehlenden Kindergärtenplätze in unserem Lande. Es ist leider auch eine harte Erinnerung daran, dass Deutschland nicht nur in einem Bereich längst nicht mehr Weltspitze, sondern eher Mittelmaß ist. Was echte Hochgeschwindigkeitsnetze sind, was Fahrgastliebe bedeutet, daran können die Japaner uns mal wieder erinnern, während wir hier denken, es sei halt “normal”. In Deutschland geht es doch dann üblicher Weise so weiter: Wer ist der Schuldige und wird einen Kopf kürzer gemacht? Meist die Bahn selbst und das ist wirklich dumm.

Es ist nicht der Bahn anzulasten, dass sie so schlecht im Vergleich dasteht. Dass wir kein echtes Hochgeschwindigkeitsnetz haben liegt historisch schon daran, dass wir in Deutschland sehr viel später als Frankreich oder Japan überhaupt in das Thema eingestiegen sind und dann nur den Kompromiss ertrugen, große Teil des alten Schienennetzes für echte Bummelzüge dafür zu nutzen. Während uns die Autobahnen wichtiger waren, wurde die Bahn in Japan einfach nie in dieser Form und so sträflich vernachlässigt. Sie war stets als Verkehrsmittel populär, sie wurde für Ballungsräume wie die von Osaka-Kyoto oder Tokio-Kawasaki-Yokohama zwingend benötigt. Und sie wären nie so bevölkert, wäre die Bahn nicht auch so effizient, alles verweist aufeinander. In Deutschland war es wiederum Zeichen des Erfolgs der Politik, wenn mehr Menschen als vorher Auto fuhren. Man sollte nicht vergessen, dass bei der Einführung des ICE die Strecke Köln-München wie natürlich zu fast 95% von allen Reisenden mit dem Auto bewältigt wurde. Die alten ICs zu nutzen, das war so sexy wie eine orthopädische Fußeinlage anfertigen zu lassen. Als dann der ICE erschien, kamen erste Reise aus reinen Komfortgründen auf die Idee, dafür die Bahn zu nutzen. Heute scheint es mit dem Komfort eher zu hapern, weswegen die ultimative Karte ausgepielt wird: Weltklimarettung dank Bahnfahren!

Komfort halte ich beim Reisen für so wichtig wie die Reisezeit. Es sind maßgeblichere Gründe als eher abstrakte Gründe wie die Rettung des Klimas (die so beim genaueren Hinsehen auch selten voll überzeugen). Geschäftsreisende, sagen wir mal in der Klasse 1., sind weiterhin eher selten Nutzer der Bahn. Der 5er oder die E-Klasse mit allen Komfortextras ist da zu verlockend und der Flug in der Business-Class ist schneller und bringt mehr Meilen. Hier scheint die natürliche Grenze, um zahlungskräftige Kunden für die Bahn in ihrem jetzigen System zu akquirieren, langsam erreicht. In Japan dagegen geht es eher um die Versorgung zur Bevölkerung, kaum jemand würde Auto oder Flugzeug als Ersatz betrachten.

Bei der ganzen Mobilitätsdebatte hierzulande, wo die ganzen Feldzüge gegen das Auto als altes Landei selten meine Zustimmung finden, fand ich es dann doch einfach unglaublich, wie wenig Autoverkehr japanische Großstädte (Tokio hat 39 Millionen Einwohner!) kennzeichnet. Ich dachte teils, es wäre in Tokio Feiertag, so wenige Autos fuhren durch die Straßen. Aber die Menschen hatten für den einfachen Arbeitsweg Ihr Auto gar nicht erst angerührt und sind in einer sauberen, pünktlichen und effizienten Art und Weise für wenige Euros zum Ziel gekommen. Wir haben in Deutschland die Bahn, wenn sie jemals auch gut war, sicher immer stiefmütterlich gegenüber dem Auto behandelt. Auch das heißt nicht, dass es in Japan schlechte Straßen gibt, aber deutlich weniger Autobahnen. Den Vorteil, den Japan heute hat, alleine beim Schienennetz jemals wieder aufzuholen, kann in Deutschland vermutlich nicht mal in 30 Jahren gelingen. Von den Mitteln, die das kostet ganz zu schwiegen – wo sollen die neuen Schienenwege denn gebaut werden? Welche Bahnhöfe lassen sich überhaupt derart ausbauen, um ein Angebot wie die Bahnhöfe Japans für Reisende zu erlauben? Die Bahn in Deutschland ist völlig überfordert mit dem, was sie leisten soll. Was ist die Konsequenz hierzulande? Wir stellen noch größere Forderungen auf. Das Ergebnis ist bekannt und bleibt auch so.

Wer hat also Schuld für das ganze Verschnarchen? Die Bahn? Oder gar der Bürger selbst? Immerhin ist der Bürger ja Eigentümer durch seinen Vertreter, der Bund bzw. der Staat. Doch leider sind nur wenige Bürger wirkliche Bahnkunden, besonders im Vergleich dazu, wieviel Autokilometer wir fahren. Man darf mutmaßen, dass diese Stimme schon aus Prinzip eher leise ist. Und siehe da, es war dem Staat im großen und ganzen reichlich egal, was bei der Bahn passierte in den letzten Jahrzehnten. Ein Opfer des Aufschwung Ost? Des Rentenhaushalts? Der zahlreichen Krisen von Banken bis Covid? Sei es wie es sei, nach der Einführung des ICE, der vielleicht größten Innovation vor der Scheininnovation Bahncard, passierte seit 30 Jahren gar nichts wesentliches mehr. Und auch wenn nun viele rufen, die Bahn solle besser werden (der Umwelt wegen), ist das eben nur ein Grund. Die Bahn müßte besser werden, um insgesamt einfach besser zu sein. Das würde doch schon reichen, um mehr Kunden anzuziehen und weitere Investitionen auch zu begründen. In der Hinsicht passiert aber wenig, auf lange Sicht sind auch die jetzt verkündeten Megapakete, die bis 2070 (!) umgesetzt werden sollen, nur Stückwerk. Große Veränderungen an der Eigentümerstruktur Fehlanzeige. Weder wurde liberalisiert, noch wurde investiert, deinvestiert oder verbessert. Ich glaube zudem, nicht die Teil-Privatisierung ist bei der Deutschen Bahn das Problem, sondern eher schlechte Führung durch den Aufsichtsrat. Und die hat eben der Bund. Ein Interessengeflecht von Staatsvertretern, die nahtlos in Top-Positionen rutschen wie der glücklose ehemalige Kanzleramtsminister Pofalla, grenzen eher an legalisierte Korruption zum Schaden der Kunden. Der ganze Ärger über die Bahn, der an Zugbegleitern, Zugführern oder dem Management abgeladen wird, ist eigentlich falsch adressiert. Es müßte in der Politik landen, aber die hat immer andere Themen als die Bahn. Weichenstellungen aus dem Verkehrsministerium gab es in den letzten 35 Jahren keine, die mir bekannt wäre. Man würde unter M&A Beratern ganz klar zur Kundenempfehlung schreiten: Die Bahn, lieber Staat, ist für Dich keine strategische Unternehmung. Besser verkaufen an jemanden, der sich wirklich gut drum kümmert oder zumindest Dir die Last von den Schultern nicht. Eine Sperrminorität für altgediente Bahner dürfte ja noch drinsitzen, wenn man es verkauft.

Die deutsche Debatte endet da aber immer gleich da, wenn es ans Eingemachte geht. Es gibt halt niemanden, der sich so richtig für die Bahn zuständig fühlt, nicht mal die Grünen, die hier lieber antikapitalistische Scheindebatten anzetteln und vor allem den Klimaaspekt überbetonen, aber dennoch keine Schiene ins Dorf legen werden können. Die Bahn braucht gute Hochgeschwindigkeitstrassen und sollte Ihre Mittelstädte anbinden an ein hocheffizientes Netz. Den Rest machen Busse. Aber bitte legt den Traum von der Bahnschiene in jedes Dorf endgültig zu den Akten, da können meinetwegen E-Autos und E-Bikes cruisen.

Liberalisierung und mehr Wettbewerb, all dies wird vom Bahnbetriebsrat gleich als Angriff auf Arbeitnehmerinteressen aufgefasst und via politische Vertretung in Berlin hintenrum effizient torpediert. Auch die Bahnergewerkschaften wie EVG & Co sind mittlerweile beim Streik sehr wirkmächtig. Kein Wunder also, dass in der Hauptsache weiter zzu wenig passiert außer Versprechen für große Investitionspläne, die nachher teurer und noch ineffizienter sind als das, was vorher mal da war. Die Japanische Eisenbahn (JR) ist übrigens, vielleicht haben Sie es schon vermutet, zu 100% privatisiert. Und es braucht für deren Leistungsfähigkeit nicht mal einen Wettbewerber, was sich auch hier Marktwirtschaftler kaum ausmalen dürften. Und davon profitieren vor allem auch noch die Fahrgäste. Es kann also auch so gehen, ohne Teilverkauf des Schienennetzes oder Wettbewerber auf der Langstrecke? Es kann in Deutschland jedenfalls so nicht weitergehen – ich begehe teils lieber Seppuko (ritualisierten Selbstmord), als mir manche Langstrecke bei der Bahn freiwillig anzutun – da können auch Störungen im Klimagewissen mich nicht hinbringen. Nun heißt es erstmal sayonara, ICE, der Shinkansen ist für Dich wohl für Jahrzehnte nicht zu erreichen…


Abbildung: Der Fuji aus dem Shinkansen Richtung Kyoto

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