Die neuen Buddenbrooks – wer ist der deutsche Franzen?

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Ich habe versucht mich in den letzten Tagen zu erinnern, ob es in der deutschen Literatur ein Werk gibt, dass die Geschichte des 20. Jahrhunderts der Deutschen glaubhaft nachzeichnet. Für den Osten ist sie mit “Der Turm” für einen kleinen Teil der Gesellschaft geschrieben worden. Für den Westen sehe ich hier eine Lücke.

Eine Familiengeschichte über 3 Generationen, aus Vor- und Kriegszeit, dem Aufbruch im Wirschaftswunder und den Umbrüchen einer globalisierten, kapitalischen Welt, der Religion und Tradition verloren gehen. Mir ist keine solche bekannt, i.d.R. sind es Reflexionen auf eine Generation oder der Versuch der wiederbelebten Kindheitserinnerung. Dies auch nicht in einer Großstadt zu verorten, sondern eher in der Provinz. Sagen wir mal ein expliziter Umbruch versinnbildlicht im Untergang eines sozialistischen Katholizismus dunkelster Prägung, bpsw. im Münsterland hin zu einer individualisierten Generation, die mobil bis in die Großstadt in dritter Generation lebt. Also ein preussisch besetztes Westfalen kooperiert mit der katholischen Kirche und stickt “ein weißes Band”. In der ersten Generation ist sie gefesselt auf die bäuerliche Scholle, die Fortführung in der nächsten Generation führt nach den Kriegswirren dazu, dass der erstgeborene wirtschaftlich benachteiligt wird, weil er gerade das größere, aber bäuerliche Erbe fortführt. Der Jüngere dagegen, der abgefunden wird, wählt die eigene wirtschaftliche Existenz und beginnt den Strukturwandel. Gründet in handwerklicher Tradition ein Unternehmen und wächst in der BRD zum Unternehmer heran. Er erlebt den Krieg nicht so wesentlich wie die Flurbereinigung, die für böses Blut sorgt. Die Stadt verliert ihren dörflichen Kontext, der Einfluss der Kirche auf den alltäglichen Ablauf schwindet, der Takt der Industrie wird deutlicher spürbar. Mit dem Wohlstand verliert die Kirche auch Ihre moralische Autorität, weil sie auf die Sinnfindung der neuen Generation keine Antworten finden kann, die Ihre Autorität absichern helfen. Die 68er lösen diesen Kontext auf, die Kirche ist keine Institution, die wirklichen Sozialismus will. Nur mit Gewissensknute und Einschüchterung behält sie länger das Oberwasser als in den Metropolen, wo die Studenten stark sind. Die letzte Generation findet eine aufgelöste Gesellschaft vor: Zerstörte Rollenbilder, ohne spirituellen Halt außerhalb des Konsums und des Geldes, mit arbeitenden Frauen wie Männern, unklarer Zukunft, umrahmt von einer gealtertern Gesellschaft, ohne Optimismus, dennoch reich und hysterisch. Das Wettbewerbsprinzip des Kapitalismus zerstört alte Verbindungen, die Gesellschaft bekommt ein unbestimmtes Denken von Unter-, Mittel- und Oberschicht, wobei die Extreme wachsen, nicht die Mittelschicht, die unter hohem Druck steht. Traditionen kirchlicher Art wie Prozessionen oder Schützenfeste verlieren ihre Sinnstiftung, werden zu Parties mit viel Suff und stampfender Musik. Der Paartanz löst sich ab durch den individuellen Schritt, Schützenkönig ist kein Ehrentitel für die Freudenmacher, sondern Marketing in eigener Sache, um das eigene Unternehmen voranzubringen. Die Beziehungen nehmen ab in ihrer täglichen Intensität, werden zu Happenings und Events. Beziehungen müssen flexibiliert werden, wenn sie die Globalisierung überstehen wollen. Als dies vor typisch deutschen kulturellen Gesichtspunkten an einer Familienbiographie illustriert, dies scheint mir noch nicht geschrieben worden zu sein. In Form von TV-Filmen gab es da Annäherungen, die wirkten aber platt und provinziell, sie waren in Ihrem realistisch zu bieder. Die Buddenbrooks feierten Feste der besseren Gesellschaft, sie verlor Ihren Platz in der Kaufmannselite. Es ist der Roman eines Zusammenbruchs. Hier aber steht wirtschaftlicher Aufschwung der Masse gegen der Verlust einer anderen Form von Menschlichkeit, vom Verlust fassbarer Autoritäten zu den Schwierigkeiten, die die Freiheit mit sich bringt. Wer ist der Autor hierfür, der deutsche Jonathan Franzen? Ich bin überzeugt, er muss erst noch gemacht werden.

P.S. Manche sagen, dass Fernsehen hatte diese Chronik bereits hervorgebracht. “Heimat” von Edgar Reitz. Ich habe nicht das Gefühl, dass diese Serie eher eine Pflichtübung war. Keine Liebe für den Stoff.

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