TTIP oder: Warum Wirtschaftspolitik im globalen Kapitalismus auch Außenpolitik ist

Balance of Powers in the old Days
Balance of Powers in the old Days

Balance of Powers in the old Days

Jüngst machen mal wieder neue Argumente die Runde, die die Kritik an TTIP und den USA auf immer absurdere und gefährliche Gründe stützen. Das ist nicht deswegen für mich von Belang, weil es den Abschluss eines Handelsabkommens verzögert. Sondern weil es bei der Betrachtung der sicherheitspolitischen Weltlage von Auswirkung ist. Diese Argumente werden schließlich auch dann wieder aufgegriffen, wenn europäische Diskussionen geführt werden. Sie beweisen auch, dass man Diskussionen in einer multipolaren Welt mit einem einheitlichen Wirtschaftskonzept, dem Kapitalismus, nicht mehr zweidimensional führen darf. Ein Denken in Polen und Blöcken, also bspw. wie im kalten Krieg, benötigte lediglich eine zweidimensionale Ideologie, die wir in Deutschland “Links-Rechts” Diskussionen nannten und eigentlich auch auf dem wirtschaftlichen Systemgegensatz vom Kapitalismus zum Kommunismus fußt. Dazwischen, zwischen diesen extremen Polen, wurde eigentlich jede Debatte geführt. Nach Ende des Kommunismus und der Planwirtschaft, ist der Kapitalismus die einzige, aktuell herrschende Wirtschaftsordnung. Ob sie auch noch in hundert Jahren existiert, ist unklar, aber bis auf Nordkorea verfolgt kein Staat, weder Kuba noch China, ein System, dass nicht kapitalistisch ist.

Wohl sind die politischen Ordnungssysteme stark unterschiedlich, von Ein-Parteiendiktatur über föderal, subsidiäre Republiken (wie Deutschland) zu präsidial-republikanischen wie bspw. die USA. Wenn alle jedoch ein Wirtschaftssystem verfolgen, sind die wirtschaftspolitischen Interessen gleich, sie bestehen natürlich aus einem globalen Handel. Soweit besteht Konsens, unabhängig davon, ob dies ökologisch langfristig möglich ist. Am weitern Horizont ist natürlich erkennbar, dass ein massiver Klimawandel, verursacht durch den Menschen, massive soziale Konflikte bedeuten würde. Die aktuellen Konflikte bestehen aber aus Interessenkonflikten (Ukraine) zwischen der einzigen Supermacht und Großmächten (militärisch wie Russland mit dem vor allem wirtschaftlich starken Block EU) oder wirtschaftlich (Chinas Aufstreben in Asien) als auch Probleme durch zerfallende Staatensysteme (Syrien, Naher Osten, Saudi Arabien) und der einzig verbliebenen stalinistischen Diktatur (Nordkorea) mit seinen kapitalistischen Nachbarn. Daraus wird eines klar: Es kann keine 2 Pol-Lösungen geben, die Welt ist multipolar, nicht mehr dualistisch, sie benötigt entsprechend komplexe Handlungssysteme und vor allem keine 2-Pol Ideologien wie sie in Deutschland immer noch vorherrschen. Kein Wunder vielleicht nach Teilung und Wiedervereinigung, dennoch ist eine multipolare Welt ein Fakt und wird dadurch kompliziert, dass wirtschaftlich schwache Staaten dennoch gefährlich sein können (Russland) und wirtschaftlich starke Staaten militärisch handlungsunfähig (Deutschland). Sprich, wir reden nicht nur von Netzwerken von klaren Polen, sondern ein Netz von dualistischen Polen. Dieser Komplexitätsgrad ist selbst bei Computern unerreicht, es gibt ihn höchst in Form von Neurologischen Netzen im Gehirn, wenn man über Selbstorganisation spricht. Das führt hier jedoch zu weit und selbst die Supercomputer können heute solche komplexen Systeme nicht berechnen.

Kommen wir zurück zu den merkwürdigen Argumenten der Kritiker des TTIP, die manchmal hilflos wirken. So heißt ein Grund für die expansive Politik der USA sei die hohe Verschuldung. Daraus folgt, dass die USA aus Schulden heraus getrieben sind, sich ökonomisch zu vergrößern und schlimmstenfalls dies militärisch zu unterstützen. Dahinter steckt natürlich die klassische Überfalltheorie von Staaten, der von innenpolitischen Problemen ablenken will, indem er außenpolitische Gegner produziert. Das ist eine ziemlich heuchlerische Sicht der Dinge, solange man dies auf die USA begrenzt. Denn niemand ist stärker zur außenwirtschaftlichen Expansion getrieben als Deutschland, gleichsam jedoch sicherheitspolitisch vollständig abhängig von den USA. Wie also die USA kritisieren, wenn Deutschland gleiche Interessen verfolgt? Das kann man natürlich, wenn man die eigene Wirtschaftsordnung und die Politik insgesamt in der BRD ablehnt. Ansonsten ist es absurd bis lächerlich, denn diesen Kritikern fehlen die Alternativen, sie bieten nur die Utopien an, die auch schon den Ostblock zum scheitern brachten.

Außerdem verkennt sie stichhaltige Argumente, die den USA den Abschluss des TTIP als gar nicht so zwingend für die USA erscheinen lassen. Falls es noch niemand bemerkt hat: Die USA machen überhaupt keinen Druck auf Europa, das Abkommen abzuschließen. Amerika expandiert viel massiver in Asien als in Europa oder im Nahen Osten. Der Überfall der USA auf den Irak darf nicht davon ablenken, dass dies für die USA kaum profitabel war. Ökonomisch gesehen haben die USA viel mehr Gewinn davon gehabt, sich von den Ölexporten des Irak unabhängig zu machen durch Fracking. Das bringt aktuell alte Alierte wie Saudi Arabien unter immensen Druck, deren Öl nicht mehr viel wert ist und somit ein wahabitisches Königreich als weltpolitischen Dinosaurier entlarvt. Ähnlich weltfremd die Golfnachbarn, die vermutlich geschockt sind vom Aufstieg des Iran, den die USA als Regionalmacht und Stabilisator neuerdings akzeptiert haben. Das schockiert nicht zuletzt die Türkei, deren Vormachtspläne erschüttert sind, das schockiert nicht zuletzt Russland. Für die USA öffnet sich gerade Kuba und die Destabilisierung Südamerikas ist Risiko wie Chance zu gleich. Export und Import allerdings intensivieren sich massiv mit Asien, natürlich vor allem China. Die Verschuldung der USA, die tatsächlich dramatisch gestiegen ist seit 2007, fällt maßgeblich mit der Finanzkrise zusammen. Obama hat zielgerichtet immense Investitionen und auch Rettungspackete (ja, natürlich für Banken) gefahren, um den Kollaps der amerikanischen Volkswirtschaft zu verhindern. Das ist gelungen. Absolute Verschuldung muss immer in Bezug zur Wirtschaftsleistung gesehen werden. Die hat sich rasant erholt nach 2008. Das rettete Amerika den sozialen Frieden, der von Arbeitslosigkeit immens stark getroffen ist. In den USA lindert keine Arbeitslosenversicherung oder gar HartzIV die Folgen von Arbeitslosigkeit, ansteigende Arbeitslosigkeit führt durch den Wahlen im Kongress und Senat (alle 2 Jahre) zu immensen und intensiven Handlungsdruck in der Politik. Destabilisieren aber die Schulden die USA? Nein, in keinem Fall, der Dollar ist überraschend schwach im Verhältnis zum noch viel stärker verschuldeten Europa, wenn man dies bezieht auf die tatsächliche Wirtschaftsleistung. Die einzige Regionalmacht, die destabiliert wird durch die Verschuldung ist Europa – die Konflikte zwischen Griechenland und Deutschland waren da nur ein Vorgeschmack.

Wenn man das TTIP kritisiert, was man durchaus darf und sollte, muß man zwei Punkte beachten. Erstens fußt das Verständnis von Außenpolitik auf einer intellektuell antiken Doktrin des “Balance of Powers”, die sich als wissenschaftliche Maxime bereits im Zweiten Weltkrieg überholt hat. Stattdessen ist seit 60 Jahren in der Politologie Konsens, dass die friedliche Zusammenarbeit von Staaten nur dann funktioniert, wenn es neben einem respektvollen Umgang (bspw. Nichteinmischung in die Innenpolitik) es für beide Staaten eine Nettomarge gibt. Sprich Frieden herrscht dort, wo nicht nur Partnerschaft besteht, sondern auch wirtschaftlicher Vorteil für beide Nationen. Die USA und Deutschland bspw. arbeiten deswegen gut zusammen, weil neben strategischen ähnlichen Interessen beide Volkswirtschaften einen positiven Wachtsumsertrag liefern. Der Benefit war für Deutschland größer als die USA, was diese bereit waren zu aktzeptieren, solange Deutschland sicherheitspolitisch an der Seite der USA gegen Russland aufgestellt war.

Wie es zu einer Krise zwischen Staaten kommt, ist bspw. am Thema Ukraine/Krim/Russland gerade gut zu erkennen: Russland bekommt durch die massgeblich von Deutschland verhängten EU-Sanktionen keinen positiven Nettoertrag mehr aus dem Export von Gas/Öl. Was unbedeutend klingt, zerstört die russische Volkswirtschaft, die kaum eigene Güter produziert und nun wenig Import zum Konsum nur durch Propaganda gegen den Westen und vor allem USA/Deutschland ausgleicht. Russland destabilisert mit KGB Methoden der Desinformation die Ukraine, Polen, Ungarn und jüngst sogar in Deutschland (Lawrovs Statements/Aufmischung der vergessenen, russlanddeutschen Minderheit). Aber auch Deutschland leidet wirtschaftlich unter den verhängten Sanktionen, der Export ist blockiert, Investitionen auch. Für Deutschland ist der Export aus sicherheitspolitischen Erwägungen blockiert, nur der Export nach China fängt dass für Deutschland aktuell auf. Diese neue Abhängigkeit verschlechtert die außenpolitische Balance, die “Elenina”-Propaganda ist ein gutes Beispiel hierfür.

Gegner des TTIP sind vermischt mit ökologischer Kritik. Die Kritik am Wachstum aus ökologischen Gründen ignoriert leider, dass Wachstum sozialpolitisch für Entspannung sorgt. Wo was zu verteilen ist, wachsen Gesellschaften und wenn alle genug bekommen, lernen sie Konflikte zwar nicht zu verhandeln, aber immerhin sind sie mit vollem Bauch befriedet. Ökologische Zerstörung führt aber auch zu sozialen Konflikten. Der, dessen Land untergeht, von Wüsten geplagt ist, hat Konflikte, die sich auf den Rest der Welt negativ auswirken. Eine Idee davon macht der von Dürren geplagte Nahe Osten, der durch Öl zwar immerhin ein wenig kompensieren konnte, jedoch nie in der Lage war, aus eigener Kraft zu wachsen, da schon die Landwirtschaft dort völlig versagt. Ich bin sicher nicht defätistisch und erkenne die ökologischen Probleme – aber sie zu lösen braucht weitaus mehr Zeit, als wir uns das wünschen. Wenn die Wachstumsdoktrin attackiert wird, ist man bei TTIP Gegner schnell in der klassischen Kapitalismuskritik – wenn man sich auf dieses Thema stürzt, hat man aktuell aber leider nur noch Nordkorea auf seiner Seite. Alle anderen Nationen verfolgen dieses Konzept nicht mehr, setzen zwingend auf Wachstum aus dem Kapitalismus, was auch Ressourcenverbrauch, vor allem von Energie, bedeutet. Solche Diskussionen führen politisch schnell in Sackgassen. Sie zwingen uns dazu, Alternativen zum Kapitalismus zu formulieren, die wir nicht kennen. Die Planwirtschaft funktioniert scheinbar nicht, wenn Wettbewerb verhindert wird. Die Eigeninitiative des Menschen ist begrenzt, wenn der Staat sich um alles versucht zu kümmern. Das können auch Befürtworter eines Grundeinkommens wohl kaum leugnen, was sicherlich auf den ersten Blick Sicherheit verspricht, aber keine Antwort auf die Frage was passiert, wenn eben Wachstum ausbleibt.

Nicht dass man mich falsch versteht, generelle Kapitalismuskritik ist notwendig, aber nicht in der absoluten Form, die ihn völlig verneint: Selbst früher neoliberal genannte Advokaten des unbeschränkten Marktes unterschreiben mittlerweile, dass ein ungebändigter Kapitalismus zum Siebeffekt führt, sprich eine starke Polarisierung von Arm und Reich ist die Folge. Dass ist nirgendwo besser zu erkennen in den USA, wo sowohl Milliardäre des Silicon Valley als auch der Wall Street nur da noch sozialen Kredit erwarten können, wenn sie ihr riesiges Vermögen dem “guten Zweck” zur Verfügung stellen (The Giving Pledge). Dieser Konflikt wird sicher in den Präsidentschaftswahlen deutlich, wo Trump und Sanders beide Vertreter einer radikalen Elitenkritik sind, die aber ohne Antwort bleiben auf die tatsächlichen Probleme der USA. In Deutschland ist dagegen der soziale Frieden gar nicht das größte Thema – der Staat verteilt um, sein Sozialsystem funktioniert dank schwachem Euro noch gut. Angst vor Überfremdung durch Asylsuchende darf nicht dazu führen, dass wir unser eigentlich Problem nicht im Arm-Reich Schema sehen sollten. Der Gini-Koeffizient, der sozusagen die “Vernichtung” der Mittelschicht dokumentieren sollte, ist in Deutschland immer noch stabil im Gegensatz zu den USA. Trotz einzelner Auswüchse wie Steuerbetrug ist das deutsche Problem gar nicht die Umverteilung, sonder die Demographie.

Unser Land steht so oder so vor der Auslöschung, wenn man sich die Demographie anschaut. Nur Japan ist älter als wir, doch Deutschland erreicht mit einem Durschnittsalter von 46 Jahren schon jetzt leider Greisenstatus. Menschen mögen älter werden, möglicherweise etwas länger arbeiten können – aber nicht in dem Maße, wie wir überaltern. Dieses Thema ist in Deutschland genauso ignoriert wie der Tod, der überall stattfindet, aber nur am Rande erkennbar durch Diskussionen wie Sterbehilfe, Kollaps des Gesundheitssystems, Infrastruktur, Renten und insgesamt einer Ausrichtung auf den Niedergang, einer pessimistischen Sicht auf die Welt.

Gert Hofstede, der Kulturen intensiv untersuchte, kam zu einer klaren Feststellung über Unterschiede hierzu: Alte Gesellschaften sind risikoavers, sie sind ängstlicher, sicherheitsorientierter als junge Gesellschaften. Das ist ganz natürlich und kann sich nur ändern, wenn Ängste allgemein akzeptiert sind als ein Gefühl. Sie ändern aber nichts daran, dass eine alte Gesellschaft immer risikoaverser sein wird als eine junge Gesellschaft. Somit ist die Kritik des TTIP nicht eine Kritik der jungen Menschen, sondern vor allem die Kritik der mächtigsten Gruppe in Deutschland, den herrschenden Alt-68ern (siehe Durschnittsalter der Parlamentierer und Wirtschaftsbosse) und ihren ideologischen Kindern, die auch schon Mitte 20-Mitte 30 sind und sich vor einem Staat sehen, der nicht in der Lage ist, Arbeit und Kinder miteinander zu vereinbaren. Junge Menschen wählen die Karriere, weil sie die Grundlage für Kinder ist. Je älter wir jedoch sind, um uns wirtschaftlich etabliert zu nennen, desto weniger Kinder bekommen wir. Auch dass lässt sich nicht ändern, die Mehrzahl der alten, der Rentner, wird nicht freiwilig abtreten, denn sie haben nicht genug verdient, um auf die Rente zu verzichten. Es ist, wenn man so will, leider immer noch die Spätfolge eines völlig zerstörten Landes, dass nun in der ersten Generation Vermögen aufgebaut hat, was nicht durch den Krieg vernichtet wurde. Doch vererbt werden soll viel, in der Mehrzahl passiert es aber erst durch den Tod und der ist oft noch weit entfernt. Das mag alles zynisch klingen, entspricht aber den gefühlten Lebensrealitäten von der Mehrzahl der Menschen meiner Altersgruppe von 30-Mitte 40, bei der die Eltern (gott sei Dank) noch vital und lebendig sind. Gleiches trifft übrigens in überstimmender Genauigkeit auf Japan zu, dass ähnliche Voraussetzungen hatte.

Die Befürchtungen der TTIP Gegner in Deutschland sind wie gesagt auch aus Ihrer eigenen Demographie zu verstehen. Themen wie das berühmte Chlorhuhn greifen Ängste auf: Vor schlechter Nahrung, vor Umweltzerstörung, vor einem imperialen, gewaltätigen Staat. Auch wenn es den USA nicht gefällt, die Wahrnehmung in Deutschland ist die eines militärisch gewaltätigen Staates, der die Rechte seiner eigenen Bürger nicht für Nicht-Amerikaner garantiert. Selbst Alliierte wie Deutschland werden massiv überwacht, Guantanamo ist leider der Beweis für eine falsche Rechtsauffassung. Ängste vor dem Chlorhuhn sind natürlich auch kulturell erklärbar. Während die USA die Freiheit zuerst wählen und dann die soziale Sicherheit, ist es in Europa anders herum. Hier ist der generelle Verbraucherschutz komplett verschiedener Ausdruck eines anderen Rechtssystems. Die EU und die USA verfolgen hier zwei komplett verschiedene Modelle – in den USA entsteht der Verbraucherschutz durch die Endhaftung, sprich bspw. durch radikale Schadensersatzklagen. Bei uns ist Schadensersatz quasi unbekannt, stattdessen vertrauen wir auf den starken Staat, der seine Bürger schützt. Wenn doch der Bürger betrogen wird (bspw. bei der VW-Affäre), ist der Staat mit im Boot, Schadensersatz jedoch ist kein Treiber für die politische Diskussion. Kein Wunder, dass wir nicht verstehen können, warum die USA sich hier auf den Markt verlassen – sie setzen auf Abschreckung, wo wir auf Vorsorge setzen.

Abseits davon besteht natürlich auch eine Grundangst vor einem ungezügelten Kapitalismus. Das ist natürlich eine gesunde Diskussion darüber zu streiten, ob bspw. die USA nicht eine stärkere Besteuerung höherer Einkommen braucht und natürlich auch, ob die Kapitalsteuer nicht zu niedrig ist. Die Berichte über Orgien römischer Art von Hedgefonds-Milliardären sind schwer erträglich, wenn in New Orleans die armen Ihre Häuser nicht retten konnten. Aber wir müssen hier Verzicht üben: Höhere Steuern kriegen die Amerikaner nur dann, wenn sie selber diesen Kurs politisch folgen wollen. Da kann die EU rein gar nichts machen, dass ist eine amerikanische Angelegenheit, welchen Grad an ungerechter Verteilung sie ertragen. Im Gegensatz dazu sollten wir uns anschauen, welchen guten Dienst die Steuerprogression in Deutschland getan hat. Wo es sie nicht gibt, was für mich durchaus gefährlich ist, ist bei der Kapitalertragssteuer.

Absurder Weise hat gerade Deutschland ein Problem mit der Erhöhung der Kapitalsteuer, da die Rentenkasse nicht in der Lage ist, auf das demographische Problem in Deutschland angemessen zu reagieren. Wenn die Bürger in Deutschland privat vorsorgen würden, wozu man sie mehrfach ermuntert hat, würde ausgerechnet die private Selbstvorsorge massiv behindert. Was aber tun, wenn wir nicht mehr Zahler für die Rentenkasse finden? Auch noch weiter den Selbständigen die Motivation nehmen, indem wir sie in die Rentenkasse zwingen? Genauso dumm wäre es aber, einen einheitlichen Satz für die Kapitalertragssteuer zu fahren. Sinnvoller wäre es, genauso wie in der Einkommenssteuer eine Progression zu fahren. Bspw. 25% auf Zinseinnahmen von 10.000€ pro Jahr beizubehalten, aber ab Zinseinnahmen von >125.000 € wieder volle 50% zu fahren. Dass dies bei großen Vermögen >10.000.000 € wieder zu einer Verschiebung in Steuerparadiese führt, ist natürlich so. Aber die Anzahl dieser Bürger ist in Deutschland fast schon vernachlässigungswert klein. Zudem versucht man aktuell durch besseren Datenaustausch die einfache Form der Steuerflucht zu verhindern. In Zukunft muss es heißen: Wer die Steuersätze in Steuerparadiesen nutzen will, der muss auch zu mehr als 50% seiner Zeit dort wohnen – das wird kaum einer schaffen, wer bspw. mal ein paar Tage in Monaco gewesen ist. Wer da mal länger als zwei Wochen in seiner Betonburg gewohnt hat, will nur noch weg – ich spreche da nicht aus persönlicher Erfahrung, aber ich habe Monaco zumindest mal besucht – es ist wirklich angenehmer, den restlichen Teil Südfrankreichs zu bewohnen als die Piratenhochburg Monaco. Weniger Ideen und viel interessanter wie auch zahlentechnisch wertvoller ist es aber darüber nachzudenken, wie man damit umgeht, dass Konzerne Steuerschlupflöcher nutzt – und die sind nicht auf den Bermudas, sondern in Europa bekanntermaßen vor allem in Holland, Irland, Jersey (britisch), Andorra und Luxemburg. Und nicht, wie man immer meint, in der Schweiz, die, für Deutschland typisch, Kritik einfährt, weil es weiterhin neutral sein will und nicht in die EU eintritt.

Wenn man all dass an Argumenten kontra TTIP vorrübergehend ad acta legt, dann sollte man doch einfach mal fragen, welches Interesse unsere eigene Volkswirtschaft verfolgt. Welche Interessen besitzen denn wir? Und gerade Deutschland lebt zu 80% davon, Exportmärkte intensiv zu bearbeiten. Niemand profitiert davon stärker, niemand wurde dadurch reicher als Deutschland mit der Ausnahme vielleicht von Japan, die auch auf Binnenkonsum immer verzichtet haben und stattdessen positive Außenhandelsbilanzdefizite aufgefahren haben. Und wenn wir das nicht wahrhaben wollen, heucheln wir weiter von morgens bis abends. Ja, wir Deutschen konsumieren leider viel zu bescheiden als wir es wahrhaben wollen. Weiterhin sparen wir und geben nichts aus, stattdessen haben wir es geschafft selbst unseren Immobilienmarkt in aberwitzige Höhen zu treiben. Die Angst vor der Deflation ist so hoch, dass wir alles in Sparstrümpfe ohne Zins, Lebensversicherungen und Immobilien gesteckt haben. Dagegen verweigern wir, Aldi & Co sei Dank, den Griechen üppigeren Verbrauch bspw. von tatsächlich hochwertigem Olivenöl, sondern bevorzugen weiter lieber Tiefkühlpizza mit Palmöl. Wer dass nicht wahrhaben will, der besuche bitte mal die Tiefkühlauslagen deutsche Supermärkte um zu sehen, wie aberwitzig und krank unser Umgang mit lebensbejahenden Dingen wie Esskultur, Trinkkultur (Bierpreis vs. Qualität) oder anderen Kulturgütern sind (Kunst, Theater, etc.). Der deutsche Bürger hat ein Nettovermögen von 140.000€ (Bundesamt für Statistik, davon sind ca. 100.000 € der Wert des Eigenheims (50% der Bürger), ca. 40.000€ Barvermögen und lächerliche 25.000€ Schulden. Die Dänen können mit 280.000€ Schulden pro Kopf über diese deutsche Sparsamkeit nur müde lächeln, die Schweizer kommen deswegen wohl kaum in den Schlaf – sie zahlen ihre millionenteuren Häuser nie ab, sondern zahlen lediglich den seit Dekaden niedrigen Zins. Und was tun wir? Investieren weiterhin Vermögen in Häuser, die kaum noch Renditen bringen werden und haben Angst vor dem wieder steigenden Zins – dabei haben wir durchschnittliche Eigenkapitalquoten von 40%. Sprich, statt auf unternehmerische Themen wie Aktien oder gar eigene Firma zu setzen, gehen wir auf Nummer sicher und investieren unser ganzes Geld plus Erbe weiter in absurd teuren Häusern, die bestenfalls Ihren Wert halten werden – wahrscheinlicher aber in den nächsten 20-30 Jahren starke Wertverluste in den Metropolen erfahren werden, solange die Löhne nicht steigen.

Kein Staat hat so eine starke Rendite durch Außenwirtschaft wie Deutschland – nicht Amerika, die auch einen hohen Binnenkonsum haben, nein, die sind da verhältnismässig moderat, weil sie noch einen hohen Inlandskonsum haben. Wir dagegen haben Nettovermögen aufgehäuft, die für eine Volkswirtschaft von 80 Millionen fast schon pervers sind – und erleben gerade den größten Boom unseres Sozialsystems, weil wir von der Überschuldung der südlichen Länder Europas profitieren – natürlich schwächt dass den Euro, natürlich steigert dass unsere Exportfähigkeit außerhalb Europas. ABER: die größten Exportmärkte Deutschlands war lange nicht China. Lange nicht die USA. Das waren die Niederlande und Frankreich, danach Großbritannien und Italien. Sowohl Frankreich als auch Italien liegen am Boden, weil sie Ihre Sozialsysteme nicht reformiert kriegen. Genauso schauen wir zu, wie die östlichen Neuländer der Eurozone Polen, Rumänien, Bulgarien, Tschechei und Ungarn von Russland destabilisiert werden. Wir müssen uns viel stärker um diese Länder kümmern, am allerersten durch intensivere Zusammenarbeit in wirtschaftlichen Themen. Wenn diese Länder wirtschaftlich stabil sind, schaffen wir es auch, Russland abzuschrecken. Würde dass passieren, würden die politischen Eliten vor allem in Frankreich und Italien nicht so versagen, wir würden unser Wachstum ausreichend befeuern, soziale Verteilungskonflikte damit besser befrieden können und letztlich den Abschluss des TTIP so lange verzögern, bis wir bspw. beim Verbraucherschutz stärker Annäherung gefunden haben.

Es ist aber moralisch und ethisch vollkommen absurd, wenn wir lieber mit einer Diktatur wie China Geld verdienen wollen als mit den 3 ehemaligen Besatzungsmächten, die uns unseren Staat aufgebaut haben: den USA, Frankreich, Großbritannien. Mit letzterem Land verbindet uns immer weniger und dass sollte uns nicht egal sein, dass sollte uns alarmieren – Großbritannien ist auch als Insel vor allem ein europäisches Land, nicht der Vasall der USA, solche Unterstellungen sind in Ihrer Gänze absurd. Allerdings müssen wir eine starke Entfremdung Großbritanniens, hauptsächlich von der City of London und der britischen Eliten, von Europa konstatieren. Daran konnten wir wenig tun. Die grundsätzlich liberalen Überzeugungen, die enge Zusammenarbeit von Wall Street und City of London in Finanzthemen und das imposante Wachstum des Silicon Valley hat neben den kulturellen Interessen beider Länder in einer (fast) gemeinsamen Sprache haben dazu geführt, dass Europa wirtschaftlich schlicht uninteressanter geworden ist. Die Finanzindustrie lieferte massives Wachstum für die City of London und half England aus der Rezession. Jeder Milliardär der Welt, sei er noch durch so kriminelle Methoden zu Geld gekommen, lebt gern in London. Auch der Nachbar Irland profitierte immens davon, sich als Brückenstaat für die USA zu verstehen, hier sogar teilweise industriell, weil die Löhne für Amerikaner akzeptabel waren und die betriebliche Mitbestimmung im Gegensatz zu Deutschland gleich null. Irland trug allerdings auch die Folgen, als die Finanzindustrie besonders schnell in Irland/Dublin kollabierte und den Hypothekenmarkt in den Abgrund riss. Die Kosten für die Reorganisation trugen aber nicht die USA, sondern die EU. Geblieben sind in Irland die Bevorzugungen der allgemeinen Unternehmensbesteuerung, für die nicht nur Google oder Apple sich gerne bedanken. Deutschlands Kritik hieran ist aber ebenso verlogen, denn es ist für England oder Irland kaum möglich, einen Gegenpol zur deutschen Industrie zu bilden. Neben hoher Produktivität waren es vor allem Ihre geographischen Nachbarländer im Osten (von Slowakei, Polen, Ungarn bis Rumänien) die dazu genutzt wurden, Lohnkosten in Deutschland weiter zu drücken und die Produktionskosten insgesamt wettbewerbsfähig zu halten – trotz Verlustes der Hauptabsatzmärkte wie Spanien (Katastrophe), Italien (keine Dynamik), Frankreich (miserabel!) und auch Portugals (ein Wunder, wie stabil der Staat noch ist).

Das Referendum in England (EU Yes or No) ist zu allererst eine interne Abstimmung Großbritanniens, ob es den Weg gen Amerika gehen will oder lieber (propagandistisch) die zentralistische Ausrichtung eines Martin Schulz (verhasst dort wie kein Zweiter). Die EU torpedieren oder die EU als reine Handelszone begreifen? Letzteres wäre gefährlich wie schade, denn gerade die verkrusteten Sozialstrukturen Frankreichs, Italiens und Deutschlands profitieren von der liberalen Ausrichtung Großbritanniens. Dagegen braucht Großbritannien selber zur Zeit wohl eher wieder mehr Sozialstaat und weniger Abhängigkeit von der Finanzindustrie. In England wurde sowohl unter Cameron wie unter Brown der Staat weiter in einer Weise gekappt, welches teilweise selbst für die USA undenkbar ist und die eiserne Lady wohl begeistert hätte. But the cold war is over, Maggy! Cameron hat sich mit dieser Politik zunehmend Feinde geschaffen – und die Folgen nicht auf Finanzindustrie geschoben, sondern auf die EU. Aber man darf nicht vergessen, dass die Briten als größte Gefahr stets den Verlust Ihrer eigenen Freiheit sehen. Abhängigkeit von den Franzosen, gar den Deutschen? Völlig undenkbar, gerade die Stärke Deutschlands treibt englische Konservative den amerikanischen Profiteuren in die Arme, denen diese europäischen Probleme ziemlich egal sind, solange sie in London Geld verdienen können. Selbst eine rein föderale Ausrichtung der EU können die Briten kaum teilen, solange die sicherheitspolitische Ausrichtung der EU so schwach ist oder Länder wie Polen in Minuten von den Russen überrannt werden können. Wer gebietet Putin in Polen oder der Ukraine einhalt? Wer schreckt Putin davor ab, weiter in Ungarn Innenpolitik und Desinformationspolitik zu betreiben? Handelssaktkionen wirken gegen Russland durchaus, aber ohne militärische Abschreckung und Geheimdienste wirken sie hilflos und schaden leider auch der europäischen Volkswirtschaft, nicht nur Russlands. Das wirtschaftliche Schwert funktioniert nicht, es ist nur einseitig scharf.

Deutschland ist blind, wenn es meint, dass es rein militärisch nicht zu existieren hat. Aber es sollte dies im europäischen Verbund tun, wie es dies mit den Niederlanden mit dem gemeinsamen Chor bereits tut. Beide Länder profitieren davon ungemein und können sich gleichsam darauf verlassen, dass keine Armee mehr die gegenseitigen Grenzen überrennt, die nicht die eigene ist. Frankreich und Polen sollten hier folgen, dies würde dauerhaft Sicherheitserwägungen der Polen und Franzosen erschüttern, Italien und Großbritannien wären danach folgerichtig an einer stärkeren Integration an diesem europäischen Chor interessiert, dass selbstverständlich auch nur aufgrund europäischer Sicherheitsinteressen eingesetzt werden dürfte und nicht nationaler Überlegungen. Auf lange Sicht ist die NATO jedoch gleichsam wichtig – das beweist die Situation in der Türkei und die weiter massive Abhängigkeit der weltpolitischen Sicherheitslage von den USA. Nur Ihre Armee ist in der Lage, Russland, China oder terroristische Staaten wie Nordkorea abzuschrecken. Ohne die USA und Ihre Sicherheitszusagen an die Japaner als auch Südkorea wäre die Situation in Nordkorea vielleicht schon außer Kontrolle geraten. Wen Nordkorea Südkorea attackiert, wird Nordkorea vernichtet, diesmal wohl mit furchtbaren Konsequenzen auf die Weltwirtschaft wie auf das Leben beider Länder. Wie China hier agiert, ist schwer vorherzusagen – eine amerikanische Besatzung würden sie sicher nicht akzeptieren können, ein Stellvertreterkrieg droht. Was macht Deutschland bei diesen Szenarien, ohne Zuzuschauen? Wissen die deutschen Wähler, wie abhängig ihre Arbeitsplätze bspw. vom Handel mit Südkorea und Japan sind? Was, wenn dieser Konflikt China dazu bringen würde, die Wirtschaftspolitik mit Deutschland zu überdenken, Autofabriken von VW bis Daimler zu verstaatlichen? Wissen die deutschen Wähler dass? Sicher nicht, sondern wäre ein Rücktritt wie der von Horst Köhler kaum denkbar gewesen. Er hat bewußt und ohne Ideologie erklärt, wie abhängig die deutsche Wirtschaft von sicheren Exportnationen ist – eben mehr, als die USA, in dessen Schatten man agiert. Deutschland ist natürlich in diesen Dingen weder in Europa noch weltpolitisch souverän – dass wollte Deutschland ja nie wieder sein. Wenn aber Europa jetzt zerbricht, wenn dass TTIP nicht weiter verhandelt wird, was dann? Deutsche Alleingänge? Dass kann nicht die Antwort sein.

Aber eine starke Verhandlungsposition für ein TTIP führt nur über einen Weg – über Europa. Und Europa muss erstmal gesunden, bevor es weitergehen kann. Nicht Martin Schultz sollte unser Signal sein, wie wir mit Europa verhandeln. Und auch nicht Merkel mit Hollande in Verhandlungen mit der Ukraine. Italien und Großbritannien müssen wieder mit dabei sein. Und Osteuropa braucht mehr Aufmerksamkeit als wir uns vielleicht gedacht haben. Sie sind nicht nur Lohnfertiger, sie wollen realistische Wachstumsperspektiven. Und sie wollen sicher sein vor Russland. Wollen wir dass nicht zu allererst auch? Wer gleichsam mit Russlandkritik die Kritik an den USA aufmacht, der zerlegt sich selbst. Trotz aller kultureller Unterschiede zwischen Europa und den USA – niemand ist uns global gesehen dann doch näher als die Amerikaner. Dass müssen auch die Kritiker des TTIP zumindest bemerken, bevor sie vernachlässigen, dass Wirtschaftspolitik im Kapitalismus gleichsam Außenpolitik ist.

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