Ausgerechnet Jesus Christus. Der Heiler der kranken Seelen, der Messias und “beinahe” Kommunist aus Galiläa, ausgerechnet sein Porträt als Symbol für die ungleiche Verteilung von Vermögen auf der Welt. Ein Treppenwitz der Menschheitsgeschichte, der Kunst- und auch der Religionsgeschichte.
Am 15. November 2017 wurde in der Abendauktion Christies für zeitgenössische Kunst, die die zur Zeit höchsten Erlöse für Kunstwerke erzielt, für $ 450.312.500,00 “Salvator Mundi” von Leonardo da Vinci (oder Werkstatt) an einen unbekannten Bieter versteigert. Die Summe ist insoweit natürlich pervers, als dass man damit sehr vieles, wirklich christliches für die Menschheit wohl ganz im Sinne Jesu Christi, dem Motiv des Werkes, hätte tun können. Relativ zum Kunstmarkt ist der Preis auf ökonomische Weise nahezu zwingend und risikofrei für den Bieter. $130m für einen Basquiat, der ein guter Künstler, aber wohl sicher keiner der ganz Grossen war, das war verrückt. Dieser Preis dagegen hat wenigstens eine zwingende Logik. Obwohl letztlich zeigt das Werk nun ein typisch muffiges, düsteres Jesusporträt von Leonardo, der Tausendsassa der Renaissance, dessen Mona Lisa-Kaffeetassen noch sicher hundert Jahre verkauft werden. Sicher meisterhaft gemalt, aber eines von tausenden von Ikonenbildern und sicher nicht eine eigene Bildkategorie. Nur ein (freier) Leonardo ohne Museumseinschluss, der überall hinkommt, wo der Käufer es möchte. Für den letzten (freien) Leonardo (als wären die anderen unfrei, sie sind für jedermann frei zugänglich in Museen zu sehen) ist die Summe aus Sicht von Ökonomen quasi ein klassischer Marktpreis, der Angebot und Nachfrage offensichtlich unbegrenzt widerspiegelt: „The cool beauty and purity of a capitalistic market“. Ob er in Nassau, auf einer 250m Yacht, im Zolllager oder an der Kaffeetafel von Leonardo-Sammler Bill Gates gelandet ist, spielt schon eigentlich kein Klavier. Im schicken neuen Louvre Abu Dhabi vermutlich nicht, der Religion wegen, sie verstehen. Oder darf man dass doch, quasi als Zeichen der Überlegenheit den Messias aller Christen als “legales Raubgut” auzustellen in einem islamischen Land? Leidlich wäre, wenn er nicht durch einen Fonds gekauft worden ist, denn das wäre es nur Audruck des Finanzsystems und (in christlicher Romantik gedacht) noch entseelter. Aber entseelt, ein Käse, letztlich ist es zunächst mal ein Bild und sonst gar nichts.
Interessant ist das Konundrum, das sich gedanklich auftun könnte: Kauft man, als Sammlermotiv, in einer Auktion für zeitgenössische Kunst “Salvator Mundi” als Christ, der Nähe zur Ewigkeit sucht? Der dem Seelenheiler der Welt nahe sein will, weil er selbst eine verletzte oder vernarbte Seele hat wie wir Sünderlein alle? Und wenn ja, ist man dann wohl eher ein Protestant, Evangelikaler oder ein Katholik? Ein dogmatisch menschliches Missverständnis, das Ethik sprengt und lächerlich macht? Oder ist es genau das, dass man aus christlichem Nahgefühl, für einen Hauch Göttlichkeit diese Unmengen von Geld verprasst, nicht schon perverser Frevel? Es ist eigentlich nichts anderes wie ein neues Beispiel für kirchliche Opulenz, wie es auf der Erde ausgerechnet in katholischen Kirchen vielen als Beispiel der Verschwendungssucht gilt. Auf der arabischen Halbinsel landete es wohl vermutlich nicht, da hat man so ein Problem mit seinen jüdischen Predigern. Oder ist es eher der ultimative Stinkefinger gegenüber der Religion, da der Ersteigerer sich selbst als wahrhaft göttlich begreift? Als Katholik geht das eigentlich nicht, aber als reformierter Protestant schon eher. Der höchstmögliche Wert als Beweis der eigenen Auserwähltheit, das hätte Calvin gefallen. Dann haben wir es vielleicht mit einem amerikanischen Pietisten oder Freikirchler zu tun, einem Calvinisten mit dickem Portmonnaie oder ein orthodoxer Russe, der vor lauter Gold und Weihrauch keine klaren Gedanken mehr fassen kann. All das würde es doch wirklich interessant machen. Dass der aktuelle Papst nicht der Käufer ist, wenigstens das kann noch als halbwegs gesichert gelten.
Ansonsten ist diese Auktion eine weitere merkliche Erschütterung für die kuschelige Welt der bürgerlichen, vielleicht bildungsbürgerlichen und idealistischen Kunstfreude, die noch vor Jahrzehnten die einzigen Interessen für zeitgenössische Kunst waren und dieses Sakrileg, einen Leonardo nicht im Museum zu sehen, kaum verstanden hätten. Hätte man als Bieter da nicht gleich den Stifter gegeben und das Werk ausgestellt, weil eben die Unfreiheit des Bildes ein größerer Frevel ist? Die Zeiten heute sind wohl andere als noch vor 50 Jahren. Für die neuen Potentaten und reichen Sammler, die im Zuge der Globalisierung aus Kunst ein Spekulationsinteresse oder Statussymbol machten, deren Kunstverstand oder echte Neigung oder Verehrung der Kunst aber oft begrenzt ist oder sich auf Augenhöhe mit vergoldeten Wasserhähnen im Gulfstream bewegt, für diese Schicht gibt es gar kein Sakrileg wie es scheint. Und auch wenn die früheren Besitzer des Bildes mit diesem Werk schon immer Besitzerstolz oder kirchliches Prestige verbanden (3 “von Gott“ erwählte Könige Englands, die vom Papst abgefallen waren und so auch ein spezielles Interesse an diesem Werk hatten), die Spekulation mit Kunst ist eine Erfindung, die erst ab 1970 begann und der Kunst viel von ihrer Seele, immateriellen Existenz (und wohl auch Sozialverträglichkeit) nimmt. Würde es wirklich zu einem Zusammenbruch des globalen Kapitalismus kommen und die Paläste gestürmt werden, ein jeder wäre froh, der die Finger nicht an dieser Obszonität hatte.
Also für die Kunstfreunde mit dem Herzen und dem Geiste nicht wirklich ein Feiertag, eher für den globalen Kapitalismus, der seine Gewalt an etwas Zartem zeigt. Meint ein abgefallener Katholik, der mit dieser Art von Prahlerei seinen Frieden nicht machen kann. Aber für Freunde des Marktes, für die Freunde eines unbegrenzten Kapitalismus mit dem gesellschaftlichen Siebeffekt, für den ist es ein Beweis der Göttlichkeit: „The cool beauty and purity of a free and global capitalistic market“. Amen.
04.01.2017: Es halten sich hartnäckige Gerüchte, dass tatsächlich der Kronprinz Saudi Arabiens das Werk erstanden hat. Wie die Wächter Mekkas und Medinas auf diese Idee kamen, ist mir unbegreiflich – es ist entweder gedacht als ultimatives Statussymbol ohne Inhalt oder aber als Provokation, wenn es denn tatsächlich so war.