Telekolleg: Bekenntnisse einer Matheniete

Der Algorithmus von YouTube diente mir ein außergewöhnliches Angebot an: Ein offensichtlich mit günstigen Mitteln erzeugtes Video zeigte einen Mann vor seiner Lehrbuchwand. Er verglich Aufgaben indischer Schüler mit den Anforderungen, die wir 1974 an deutschen Realschulen gestellt haben. Er kam in diesem Vergleich zum vernichtenden Fazit: Das kann ein Abiturient oder Studienanfänger in Deutschland heute nicht mehr! Mein Reaktion war drastischer: Das könnte ich ja niemals im Leben!

Der Mann im Video war der Paderborner W3-Professor in Mathematik, Prof. Dr. Bernhard Krötz. Seine Videos sind informativ, in seinen Bemerkungen dreist zynisch und in jedem Falle alarmierend, wenn man an den Wert der Mathematik noch ein wenig glaubt. Es ist etwas ins Rutschen gekommen in der Qualität des deutschen Mathematikunterrichts und zwar erst nicht erst seit gestern, sondern stetig seit über 40 Jahren. Und nun rauschen wir in den traurigen Höhepunkt: Bei uns geht es mit dem Hauptwerkzeug der der Naturwissenschaftler, der Ingenieure und Handwerkern in das rein Verbale und das Banale. Schauen Sie sich mal als Einstieg dieses Video an, es wird sie nach einigen Minuten in einen Zustand denkwürdigen Erstaunens bringen:

Das Niveau hat sich, soviel ist schwer zu bestreiten, nicht nur an Gymnasien und Realschulen in den letzten 40 Jahren massiv verflacht. Natürlich zahlt man einen Tribut, wenn 60% eines Jahrgangs plötzlich zum Gymnasium gehen. Oder wie meine Tante, Sekundarschulleiterin, einmal sagte: “Tja, erstaunlich, da sind die wohl alle über Nacht nun sehr klug geworden.” Unser Schulsystem ist, politisch und gesellschaftlich motiviert, zu einer Art von Wohlfühlzoo mutiert, bei dem Herausforderung und Leistung nur mit Samthandschuhen besprochen werden. Diese Lehrarbeit wird dann im Studium in Tutorien entweder unter Hochdruck nachgeholt oder gar niemals. Der Verlust des mathematischen Wissens ist natürlich dauerhaft fundamental und zeigt sich nicht nur daran, dass die Deutschen bis heute bspw. schlechte Geldanleger sind oder sich vor allem hervorragend zu verschulden wissen. Irgendwo kommt es ja her….

Politisch ist wohl die letzen 40 Jahre so einiges an Maßstäben verrutscht, aber auch unsere Gesellschaft bildet sich langsam einen (Alp-) Traum der Gleichheit und der mäßigen Anstrengung ein, der uns aber zielgerichtet ins Mittelfeld bringt. Weder ist es möglich, dass alle immer alles gleich beherrschen werden können, noch tut man den Schülern einen Gefallen, wenn man sie mal überfordert, mal völlig unterfordert. Frustrieren, dass können zudem schlechte Schulbücher und ungeeignete Pädagogen. aber wessen Auftrag ist dies? Ob diesen die Grundlagen schon fehlten oder ob die Mathematik nur schlecht unterrichtet wird, dass überlasse ich Ihrem Urteil. Gesellschaftlich ist aber auch etwas passiert, dass man die Mathematik allgemein nicht mehr wertgeschätzt wird als das was sie ist: Die basalste Grundlage unseres Wohlstands, der eben nicht mehr durch immer ausgefeiltere Diversitätsregeln kompensiert wird.

Die Freiheit des Einzelnen ist alles, die subjektive Maximierung des Individuums führt aber zu Blüten. Wie kann der maximal selbstzentrierte Schüler denn unter Zwang zum Lernen verdammt werden? Immanuel Kant schrieb dazu, es sei eines der größten Probleme der Erziehung, wie man die Unterwerfung der Zöglinge unter den erzieherischen Zwang mit ihrer Fähigkeit vereinigen könne, sich ihrer Freiheit zu bedienen: „Der Zwang ist nötig! Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ Ich bin kein Lehrer, jedoch wäre es gut, wenn nicht ich, sondern der Lehrkörper dazu Antworten hat.

Unsere Gesellschaft rutscht aus einer Gesellschaft, die im 19. Jahrhundert die Naturwissenschaften geradezu vergöttert hat (Haber, Bosch, Einstein, Planck, Koch, usw.), zu einem qualitativ debattierenden Meinungsclub, wo nur noch gesellschaftswissenschaftliche Themen maßgeblich sind. Daran profitieren alle verbal starken Schüler, doch auch ich weiß, dass wir in Summe verlieren, wenn wir dieses Thema der mathematischen Grundlagen nicht angehen. Herr Prof. Dr. Kroetz tut dies und ich habe ihm einen Brief hierzu geschrieben – eine Art Bekenntnis meiner Schulzeit. Vorab aber noch ein schönes Video von ihm, Zuschriften anderer Mathematikgeschädigter Lehrer und Schüler:

Nun aber zu meinem Brief, den Herr Prof. Krötz recht erstaunlich in wenigen Minuten beantworteten konnte (s.u.):

Verehrter Herr Prof. Dr. Kroetz,

Ihre Videos haben in mir alte Wunden aufgerissen. Zum Guten denke ich, denn Sie bestärken einen Handlungsimpuls: In Mathematik muß sich vieles an der Schule verbessern! Ich komme nicht umhin, Ihnen meine Geschichte kurz und knapp zu schildern. Ich bin 45, Vater zweier Kinder im Schulalter, Unternehmer und oft zwischen BWL und Informatik unterwegs – hier spielt Mathematik von Stochastik bis Finanzmathematik eine gewichtige Rolle. Es ist vielleicht nach dem Werkzeugkasten der Mathematik keine sonderlich anspruchsvolle Form, aber Ihre Beherrschung macht einem das Leben leichter.

Ich bin mit sehr guten Noten in meiner Gymnasialzeit geschlittert, wo ich für die ersten Jahre meine guten „Grundschulgrundlagen“ guter Logik aufzehrte. Danach ging es leider steil bergab, nicht nur die Noten verschlechterten sich, vor allem das Verständnis. In allen anderen Fächern dagegen weiter “Gut” bis “Sehr Gut”. Das empfinde ich noch heute als kurios, denn ich konnte stets auch komplexe Sachverhalte nachvollziehen und bin eigentlich gewissenhaft in der Erledigung von Aufgaben. Schlimmer noch als die Noten zerfiel nach und nach meine Selbstwertgefühl, Mathe einfach nicht in den Griff zu kriegen. Ein Lehrer, der leider Alkoholiker war, gab mir zusätzlich noch Nachhilfe, wo er meine Fehlversuche mit lauten Beschimpfungen meiner Person quittierte. Auch das half also nicht – nun, sowas passiert leider und ist wohl sicher kein systematisches Problem in unserem Bundesland. Es hatte aber Einfluss auf meine Studienwahl, ich traute mir die VWL mathematisch nicht zu und hoffte in der BWL zu bestehen mit einem 1.9er Abi. Warum mein Abi 1996 doch noch eine 1.9 trug? Ich schreibe das Jahr dahinter, denn heute schämen sich ja schon Schüler mit einer 1.1 als Abiturnote. Also, das lag an meiner “Exzellenz” in allen anderen Fächern, denn im Abitur hatte ich in der Matehmatik als 3. Fach (NRW) eine glatte 5 (Mangelhaft) und das war eine “Gnaden-Fünf”. Ich rechnete immer gerne, war ziemlich flott im Kopfrechnen und mit dem Dreisatz konnte ich mir im Alltag die Mathematik immer dienlich machen. Dennoch, es war ein Debakel, denn offensichtlich konnte ich quasi fast nichts richtig aufs Papier bringen.

Mein Lehrer in der Oberstufe war immer erstaunt: “Du versteht doch aber alles, kriegst aber nichts gelöst!?” Dennoch habe ich mein Diplom in BWL ja dann gemacht. Nur durch die erbarmungsvolle Arbeit eines Tutors an der Uni in Berlin schaffte ich als NRWler den Matheschein im Studium – ich gebe zu, es ging in den Bereich des reinen Auswendiglernens. Ich konnte mir Lösungswege nur bildlich merken, weil ich den Inhalt überhaupt nicht mehr verstand. Termumformung konnte ich nicht. Nicht die Logik, ich konnte das alles auch wiederum bildlich ja lösen, aber technisch war das alles eine Katastrophe. Es fehlte mir der Werkzeugkasten. Dass ich an der Uni ein “Gut” bekam, halte noch heute für einen Gnadenakt des Schicksals. Mathe verfolgte mich – noch bis in die 30er Lebensjahre hatte ich in Regelmäßigkeit Alpträume, wo ich in Mathematik dieser geträumten Schulstunde vor dem Lehrer schlicht total versagte – ein für mich nicht aushaltbares Gefühl, Stress, um nicht zu sagen traumatisch, war das Grundgefühl. Danach begann Statistik, welches quasi ein Neustart für mich war – ein glattes Sehr Gut erklärte mir langsam, dass es auch andere Gründe haben könnte als mich selbst allein. Heute bin ich aufgeräumter – ich mag die Mathematik eigentlich immer noch, was wohl bei diesen Erlebnissen kaum verständlich ist, aber ich liebe ja auch die Musik aus gleichen Gründen. Ich kann sie aber nicht über die Grundlagen hinaus. Was ist also schiefgegangen? Ich halte hier 3 Punkte für maßgeblich:

1.) Chaos im Unterricht hilft erstmal nichts

Ab der Klasse 7 hatte unser Lehrer die Aufgabe, Algebra und später Analysis zu unterrichten. Das tat er exakt nach dem Schulbuch, praktische Anwendung oder Beispiele eher gleich null. Aber maßgeblicher: Es gab es keinerlei Arbeitsatmosphäre – die Stunde war ein einziger, undisziplinierter Trubel, denn der Quereinsteiger konnte seine Formeln, aber hatte die Klasse „nicht im Griff“. Das hatte turbulente Folgen, vor allem aber waren die Klassen 7-10 ein einziges Dauerrauschen, wo ich einfache Termumformungen nicht lernte – selbst binomische Formeln wurden zum Stolperstein. Lineare Algebra ist ein Handwerkszeug und lineare Optimierung nicht so schwer – aber nun, ich lernte diese Grundlagen nicht so, dass die Ergebnisse brauchbar waren. Dieses wurde in der Schule dann zum Skandal, als ich eine absolut chaotische Stunde als Schüler mit der Videokamera filmte – es war nicht in böser Absicht, hatte aber beinah einen Schulverweis zur Folge. Der Lehrer wurde „ersetzt“ und der Nachfolger konnte aber nur scheitern daran, diese fehlenden Grundlagen aufzubessern. Eigentlich fehlte hier in meiner Schullaufbahn etwas, was Sie auch mal betont haben: Stetigkeit im Lernen und stetig steigende Herausforderungen. Es gab einfach 3 Jahre „Pause” und die rächten sich übel in der Oberstufe.

Ergo: Pädagogische Grundlagen fehlten den Unterrichtenden, um das zu unterrichten, was der Schüler wohl hätte bewerkstelligen können. Keine Stetigkeit war so im Lernen gegeben. Es muss in Ruhe gearbeitet werden – das muß ja auch ohne Rohrstock irgendwie gehen.

2.) Ernsthafte Beschäftigung muss auch ohne Psychoterror möglich sein: Fehlerkultur etablieren

Ähnlich leider auch mein Einstieg in Klasse 5. Erneut eine Quereinsteigerin als Lehrerin, die unseren Rabaukenhaufen mit verbaler Härte versuchte in den Griff zu kriegen. Sie schwankte zwischen übermäßiger Freundlichkeit zu schlimmer Bösartigkeit, auch hier hatte leider im Münsterland der Alkohol wohl eine Rolle gespielt. Das brachte einfach nur Angst in Verbindung mit der Mathematik – Angst zu scheitern und wieder eine harte Klatsche zu bekommen. Denn: auch in der Mathematik lernt man besser, wenn man Fehler macht – das scheint in D-land aber ein kulturelles Problem zu sein, dass man auf dem Weg zur Fehlerfreiheit nicht Fehler machen soll.

Ergo: Wir fördern eine merkwürdige Lernkultur, wenn wir Lehrer/Quereinsteiger uns Fehler und Experimente mit psychischen Methoden verübeln. Psychischer Druck und Stress hilft nicht, die „dummen Schüler“ klüger zu machen. Es erzeugt aber wohl wirklich bei sensibleren Schülern etwas Traumatisches, dass niemandem hilft.

3.) Last but not least: Anschaulichkeit und Anwendung

Die Mathematikbücher der 90er (Spektrum) bemühten sich nur am Rande um Anschaulichkeit. Die Beispiele wirkten absolut weltfremd, wenn sie mal da waren. Wozu also die Algebra einsetzen, welche Probleme kann die Analysis mir helfen zu lösen? Das blieb für uns immer im Dunkeln. Ich halte es deswegen für mangelhaft, dass man aus rein „formaler Mathematik“, die einem wie Rätsellösen serviert wird, die Anschaulichkeit aufgibt. Denn natürlich unterstützt es maßgeblich die Motivation dazu, warum etwas gerlernt wird. Ich weiß kein anderes Fach, wo man sich um diese Anschaulichkeit so wenig bemüht hat – Physik, Chemie, Wirtschaft – überall ist die Mathematik das Handwerkszeug, doch warum ist das nicht vernetzt?

Ergo: Mangelnde Vernetzung der Mathematik im Lehrbuch mit seinen „Schwesterfächern“ im MINT Bereich fördern Motivationsprobleme und mangelnde Erkenntnis. Die Motivation fällt, wenn man im Lehrbuch auf methodische Fertigkeit vor Anschaulichkeit setzt.

Wie Sie erkennen, ich hatte bei meinen Lehrern wohl auch einfach etwas Pech – aber dass die Mathematik nicht von den besseren Lehrern unterrichtet wird und gute Pädagogen Geschichte oder Sport unterrichten, ist doch komisch – ich kenne die Lehrerausbildung nicht aus dem eigenen Erleben, aber wenn gute Mathematiker auch oft schlechte Pädagogen sind, dann muß sich auch da etwas ändern.

Nichtsdestotrotz: Viel hat mir unserer Gesellschaft zu tun, wo bald die zweite Generation in mathematischer “Grundverachtung” ausgestattet sein wird. Das hilft natürlich niemandem. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Arbeit und Ihr Engagement, vielleicht kann ich irgendwie helfen etwas zu verbessern, damit dieses Debakel wenigstens meinen Kindern erspart bleibt. Nach 2 Jahren Corona und der Kenntnis der Schulhefte meiner Kinder muss ich leider sagen – das wird noch sehr spannend! Ihre Videos aber helfen, dass die Gesellschaft merkt, wo sie steht – es geht in die falsche Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

Markus G. Bußmann

—–Brief Ende ——

Wie ich schon sagte, es dauerte nur Minuten bis der Antwortbrief von Prof. Krötz mich erreichte. Das Briefgeheimnis macht es für mich natürlich nicht möglich, dass jetzt hier einfach einzukopieren. Aber ich kann sicher ein paar Punkte referenzieren, da er sie in seinen Videos auch bespricht:

Abstrahierte und gekürzte Antwort von Prof. Dr. Krötz:

– Disziplin in der Klasse lässt sich natürlich auch ohne Rohrstock erreichen. Hier verwies er auf den sokratischen Eid, der mir so gar nicht geläufig war (Hippokrates kannte ich, aber den Eid des Sokrates las ich besser nochmal nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Sokratischer_Eid). Den Eid in deutschen Lehrerzimmern besser zu kennen dürfte mal ein Anfang sein.

– Nun der für einige Pädagogen wohl provokantere Teil: Er verwies auf die Notwendigkeit hin (zurück) zu einem disziplinierten Frontalunterricht (https://www.amazon.de/Lob-Disziplin-Streitschrift-Bernhard-Bueb/dp/3471795421). Das ist deswegen provokant, weil heute alles Effektive und Moderne im Bereich der Gruppen- und Projektarbeit verortet wird. Ja, in der Tat war Reform lange nicht Teil der Pädagogik und es erscheint wie ein konservativer Schritt in die preussische Bildungsvergangenheit. Darüber muss man dennoch neu nachdenken, wir waren schließlich schon bei Sokrates und der ist immer Aktuell. In den letzten Monaten bin ich durch die Schulwahl meiner Tochter mit der Selbstverständlichkeit der Koedukation wieder in Berührung gekommen und ob die Geschlechtertrennung nicht auch Vorteile habe. Mädchen können in reinen Mädchenschulen offensichtlich und mit Evidenz den Physik-Unterricht erfolgreicher absolvieren. Ansonsten mögen die Unterschiede gering sein. Wenn man vorurteilsfrei über diese Dinge nachdenkt, kann man auch gegen den Zeitgeist zu alternativen Lösungen gelangen, die Erfolg nachweislich versprechen. Und manchmal eben doch in die Vergangenheit gehen, weil die Reform ein Murks war. Bekanntes gut machen erscheint mir in jedem Falle aber besser als Reformiertes schlecht zu machen.

– Ebenso zeigt Krötz sich überzeugt, dass er den Stoff persönlich anschaulicher und freudvoller hätte vermitteln können als mir das im Leben passiert ist. Das glaube ich ihm mal aufs Wort, so gab er als Beispiel das Plancksche Strahlungsgesetz an. Und zu vernünftigen Anwendungen hatte er mit seinem Kollege Bandelt mal was erarbeitet:

https://de.wikipedia.org/wiki/Plancksches_Strahlungsgesetz
https://drive.google.com/file/d/13FIBfBlAeBPniV0x_ueLYUJjYkBt91pq/view

Für besonders qualifizierte Kollegen hält er selbst den Beruf nicht für attraktiv genug. Dies zu ergründen ist interessant, denn vordergründig ist der Beruf nicht schlecht bezahlt (wie der Spiegel diese Woche nachrechnete, gerade im OECD Vergleich). Er sieht dies anders. Es scheint für mich jedoch relevanter zu beurteilen, ob die nötige Freiheit in der Unterrichtsgestaltung nicht einen starken Einfluss auf die Attraktivität des Berufes überhaupt hat. Dem würde ich immer zustimmen, denn einem klugen Kopf muss erlaubt sein, seine Lösungswege selbst zu gehen und auch den Irrtum persönlich korrigieren zu können oder kreativ-innovativ zu sein. Auch merkt Krötz an, dass das Ansehen (berufliche Reputation) gesellschaftlich schlecht ist (was sich irgendwie auch wieder gegenseitig durch die Erfahrung der Schulzeit bedingt, würde ich einwerfen) und auch meiner Wahrnehmung entspricht. Respekt wäre schön, doch wie begründen wir ihn? Der Unterschied muss auch in der Didaktik und den Schulen passieren, die Gesellschaft muß Wertschätzung ausdrücken. Das tue ich gerne.

Krötz merkt noch etwas polemisch an, dass uns allen nicht geholfen ist, wenn wir immer mehr Professuren und Promotionen erreichen, aber deren Qualität gering ist. Das geht in die gleiche Richtung wie die von mir erwähnte Abiturientenquote von 60% eines Jahrgangs. In Köln im Jahr 2023 werden wohl knapp 75% des Jahrgangs am Gymnasium beginnen und das wird einem als Bildungserfolg verkauft. Statt hier zu hohe Hürden überspringen zu wollen, sollte es nicht ein gewisses Selbstverständnis dafür geben, dass man dann als Lehrer an der Schule nicht mehr großes Niveau erreichen kann? Das erinnert mich ein wenig an die Handwerker-Debatte: Warum müßt Ihr alle studieren und danach schlechte Jobs ausüben und keiner wird mehr (hoch-) qualifizierter Handwerker? Wie unzufrieden und traurig verläuft ein Leben, dass professionell wirkungslos ist? Wo ist die Qualität in den Dingen, die vordergründig einfach und weniger reputiert erscheinen? Es scheint, es ist nicht nur in der Mathematik viel aus dem Lot, sondern unsere Gesellschaft erlebt eine Transformation, der sich wie ein Niedergang beschreiben läßt. Die Menge wuchs, die Qualität fiel. Was in Summe ist also besser geworden? Das klingt wahrlich nach einen zivilisatorischen Schaden unbekannter Art. Sind die Herausforderungen unserer Zeit etwa zu gering, dass wir nicht mehr wachsen können? Krötz hat wie ich keine Lust, dem weiter zuzuschauen. Es ist einfach schwer zu ertragen für einen Menschen, der etwas erreichen möchte im Leben, was doch möglich sein müßte.

Unsere Abiturienten schaffen nicht das, was ein Realschüler 1974 in der Prüfung leisten mußte. Wie kann man da von Fortschritt sprechen? Wer baut den Quantencomputer, wer operiert uns in 2050? Und lösen wir diese Probleme oder andere für uns, deren billige Angestellte wir sind?

P.S. Natürlich gab es auch früher in 60er und 70er Jahren schon erste größere Probleme an den Schulen. Es war uns bewußt, dass langsam etwas ins Rutschen kam, war vorher kein Thema war. Und kostenlosen Nachhilfeunterricht für alle lieferte als große Innovation der Telekolleg (wer kennt es noch?) – eine kleine Bildungsrevolution, nachmittags auf den dritten Programmen für jedermann und jederfrau kostenlos. Heute gibt es die YouTube Videos von Jung & Co – dass Sie so erfolgreich geklickt werden, ist leider kein Qualitätszeichen für den aktuellen Mathematikunterricht in Deutschland. Aber immerhin eine kostenlose Hilfe.

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